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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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potismus zum Reuter zu nehmen, um die Unordnung zu überholen. Ist das
nicht wieder eine Tröstung?

Indessen freilich ist uns der politische Brotkorb hochgehängt und die Jour¬
nalistik muß hinterm Papagcnoschloß ihr Urtheil "mukezen" wie's der Oestreicher
nennt. So viel Stoff zur Opposition und so wenig Raum! So viel Scharf¬
sinn, Erfindung, Schmiegsamkeit in Anspruch genommen, um mit halben Worten
die anerkanntesten Sätze des Rechtes zu vertheidigen! Das ist traurig und --
gut! Keine Journalistik der Welt macht eiye solche Schule von Gewandtheit und
Austand durch wie die östreichische. Das ist der sicherste Weg, das literarische
Proletariat auf die Dauer fern zu halten, und die Journalistik Wiens bis zum
November 48, die Sndelpresse, wie sie unter der Schürze der Reaction noch ve-
getirt, zeigt, wie nothwendig das ist. Wenn die publizistische Presse Oestreichs
frei wird, wird sie eine Schule durchgebildeter Stylisten haben. Darin liegt noch
eine viel reichere und tiefergehende Bedeutung. Wie selbst in der Ehe eine ge¬
wisse Keuschheit und Zurückhaltung nöthig ist, um dieses vertrauteste Verhältniß
von der groben Körpergemeinschaft daneben wegzuhalten, so bedürfen gerade die
Streitfragen um die höchsten Menscheninteressen immer wieder der Verklärung,
durch allen Geist, Adel und Zauber der Sprache. Gerade die umfassendsten tief¬
schneidendsten Sätze über Recht und Glück sind so einfach, daß sie platt werden auf
geistlosen Zungen. Und glücklich, wenn das alles ist, wenn sie nicht durch ihre
furchtbare Unmittelbarkeit dem Bestehenden genähert, es zerschmettern, statt es
umzubilden. Sind die Völker erst so weit gekommen, daß sie die höchsten Prin¬
cipien in koncrete Verwaltungsformen umgesetzt haben, ist es anders. Auch das
ist eine Tröstung.

Recht schön! aber wann kommt das alles? Wo ist der Apollo, der ihn töd-
tet, den ans tausend Kanonen zischenden, hundert politische Frohnvesten umschlin¬
genden Drachen der Reaction? -- Die Völker können es nicht, die deutschen sind
lahm, die Ungarn und Italiener haben noch nichts mit Oestreich zu thun. Die
Slaven haben selbst den Wagen umgeworfen, in dem sie fahren sollten. Nur ein
Retter kann's - und er wird's, er hat schon begonnen -- die Bureaukratie! Ja
lache, wer wolle, die Bureaukratie! Sie allein, so wie sie in Oestreich ist, hat die
Geschicklichkeit, die Ausdauer, die kolossalen Verhältnisse dazu. Sie hat sie gegen
einen Despoten wie Franz II. bewährt! Sein eiserner Wille brach an ihren
Schwierigkeiten. Und schon hat der Militärdespotismus sie herausgefordert,
sie fühlt sich bei Seite geschoben, sie will ihre Rechte zurück. Ein Schreckenssy¬
stem ist verloren das erstemal, daß es von einer angegriffenen Position zurück muß.
Dafür wird die Bureaukratie sorgen. Sie wird alles zu thun scheinen und nichts
thun, zu allem beistimmen und doch jeden Streich zum flachen machen, sie wird
den ungeschlachten hastigen Militärdespotismus mit so viel Schwierigkeiten, Fehl¬
griffen, Blamagen umwickeln, bis das müde Ungethüm sich verzweifelnd in seine


potismus zum Reuter zu nehmen, um die Unordnung zu überholen. Ist das
nicht wieder eine Tröstung?

Indessen freilich ist uns der politische Brotkorb hochgehängt und die Jour¬
nalistik muß hinterm Papagcnoschloß ihr Urtheil „mukezen" wie's der Oestreicher
nennt. So viel Stoff zur Opposition und so wenig Raum! So viel Scharf¬
sinn, Erfindung, Schmiegsamkeit in Anspruch genommen, um mit halben Worten
die anerkanntesten Sätze des Rechtes zu vertheidigen! Das ist traurig und —
gut! Keine Journalistik der Welt macht eiye solche Schule von Gewandtheit und
Austand durch wie die östreichische. Das ist der sicherste Weg, das literarische
Proletariat auf die Dauer fern zu halten, und die Journalistik Wiens bis zum
November 48, die Sndelpresse, wie sie unter der Schürze der Reaction noch ve-
getirt, zeigt, wie nothwendig das ist. Wenn die publizistische Presse Oestreichs
frei wird, wird sie eine Schule durchgebildeter Stylisten haben. Darin liegt noch
eine viel reichere und tiefergehende Bedeutung. Wie selbst in der Ehe eine ge¬
wisse Keuschheit und Zurückhaltung nöthig ist, um dieses vertrauteste Verhältniß
von der groben Körpergemeinschaft daneben wegzuhalten, so bedürfen gerade die
Streitfragen um die höchsten Menscheninteressen immer wieder der Verklärung,
durch allen Geist, Adel und Zauber der Sprache. Gerade die umfassendsten tief¬
schneidendsten Sätze über Recht und Glück sind so einfach, daß sie platt werden auf
geistlosen Zungen. Und glücklich, wenn das alles ist, wenn sie nicht durch ihre
furchtbare Unmittelbarkeit dem Bestehenden genähert, es zerschmettern, statt es
umzubilden. Sind die Völker erst so weit gekommen, daß sie die höchsten Prin¬
cipien in koncrete Verwaltungsformen umgesetzt haben, ist es anders. Auch das
ist eine Tröstung.

Recht schön! aber wann kommt das alles? Wo ist der Apollo, der ihn töd-
tet, den ans tausend Kanonen zischenden, hundert politische Frohnvesten umschlin¬
genden Drachen der Reaction? — Die Völker können es nicht, die deutschen sind
lahm, die Ungarn und Italiener haben noch nichts mit Oestreich zu thun. Die
Slaven haben selbst den Wagen umgeworfen, in dem sie fahren sollten. Nur ein
Retter kann's - und er wird's, er hat schon begonnen — die Bureaukratie! Ja
lache, wer wolle, die Bureaukratie! Sie allein, so wie sie in Oestreich ist, hat die
Geschicklichkeit, die Ausdauer, die kolossalen Verhältnisse dazu. Sie hat sie gegen
einen Despoten wie Franz II. bewährt! Sein eiserner Wille brach an ihren
Schwierigkeiten. Und schon hat der Militärdespotismus sie herausgefordert,
sie fühlt sich bei Seite geschoben, sie will ihre Rechte zurück. Ein Schreckenssy¬
stem ist verloren das erstemal, daß es von einer angegriffenen Position zurück muß.
Dafür wird die Bureaukratie sorgen. Sie wird alles zu thun scheinen und nichts
thun, zu allem beistimmen und doch jeden Streich zum flachen machen, sie wird
den ungeschlachten hastigen Militärdespotismus mit so viel Schwierigkeiten, Fehl¬
griffen, Blamagen umwickeln, bis das müde Ungethüm sich verzweifelnd in seine


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[0431] potismus zum Reuter zu nehmen, um die Unordnung zu überholen. Ist das nicht wieder eine Tröstung? Indessen freilich ist uns der politische Brotkorb hochgehängt und die Jour¬ nalistik muß hinterm Papagcnoschloß ihr Urtheil „mukezen" wie's der Oestreicher nennt. So viel Stoff zur Opposition und so wenig Raum! So viel Scharf¬ sinn, Erfindung, Schmiegsamkeit in Anspruch genommen, um mit halben Worten die anerkanntesten Sätze des Rechtes zu vertheidigen! Das ist traurig und — gut! Keine Journalistik der Welt macht eiye solche Schule von Gewandtheit und Austand durch wie die östreichische. Das ist der sicherste Weg, das literarische Proletariat auf die Dauer fern zu halten, und die Journalistik Wiens bis zum November 48, die Sndelpresse, wie sie unter der Schürze der Reaction noch ve- getirt, zeigt, wie nothwendig das ist. Wenn die publizistische Presse Oestreichs frei wird, wird sie eine Schule durchgebildeter Stylisten haben. Darin liegt noch eine viel reichere und tiefergehende Bedeutung. Wie selbst in der Ehe eine ge¬ wisse Keuschheit und Zurückhaltung nöthig ist, um dieses vertrauteste Verhältniß von der groben Körpergemeinschaft daneben wegzuhalten, so bedürfen gerade die Streitfragen um die höchsten Menscheninteressen immer wieder der Verklärung, durch allen Geist, Adel und Zauber der Sprache. Gerade die umfassendsten tief¬ schneidendsten Sätze über Recht und Glück sind so einfach, daß sie platt werden auf geistlosen Zungen. Und glücklich, wenn das alles ist, wenn sie nicht durch ihre furchtbare Unmittelbarkeit dem Bestehenden genähert, es zerschmettern, statt es umzubilden. Sind die Völker erst so weit gekommen, daß sie die höchsten Prin¬ cipien in koncrete Verwaltungsformen umgesetzt haben, ist es anders. Auch das ist eine Tröstung. Recht schön! aber wann kommt das alles? Wo ist der Apollo, der ihn töd- tet, den ans tausend Kanonen zischenden, hundert politische Frohnvesten umschlin¬ genden Drachen der Reaction? — Die Völker können es nicht, die deutschen sind lahm, die Ungarn und Italiener haben noch nichts mit Oestreich zu thun. Die Slaven haben selbst den Wagen umgeworfen, in dem sie fahren sollten. Nur ein Retter kann's - und er wird's, er hat schon begonnen — die Bureaukratie! Ja lache, wer wolle, die Bureaukratie! Sie allein, so wie sie in Oestreich ist, hat die Geschicklichkeit, die Ausdauer, die kolossalen Verhältnisse dazu. Sie hat sie gegen einen Despoten wie Franz II. bewährt! Sein eiserner Wille brach an ihren Schwierigkeiten. Und schon hat der Militärdespotismus sie herausgefordert, sie fühlt sich bei Seite geschoben, sie will ihre Rechte zurück. Ein Schreckenssy¬ stem ist verloren das erstemal, daß es von einer angegriffenen Position zurück muß. Dafür wird die Bureaukratie sorgen. Sie wird alles zu thun scheinen und nichts thun, zu allem beistimmen und doch jeden Streich zum flachen machen, sie wird den ungeschlachten hastigen Militärdespotismus mit so viel Schwierigkeiten, Fehl¬ griffen, Blamagen umwickeln, bis das müde Ungethüm sich verzweifelnd in seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/431>, abgerufen am 15.01.2025.