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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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chen, bis in die kindischste Einzelheit entgegenzukommen. Sie werden nichts da¬
bei verlieren, im Gegentheil! Damit wird der schlimme Umstand am besten aufge¬
wogen, daß die Sprache der Regierung und des Militärs deutsch ist. Wer sich
zu beklagen hat, wirv hören, und wenn die einzelnen Stämme Oestreichs von den
übrigen gehört sein wollen, müssen sie deutsch reden. Ihre Einzelliteraturen we"
den daran nichts ändern. Es ist ein Glück, daß Rußland nicht eine Literatur
hat wie die deutsche. Sie würde sonst alle slawischen absorbiren. So, mögen es
uns die Slawophilen verzeihen, ist keine Propaganda nöthig, um Oestreich zu
germanifiren. Das ist eine zweite Tröstung! -- Aber weiter! Wer nur einiger¬
maßen die Geschichte der englischen Konstitution kennt, weiß, welche verwickelte
Rechnung von mächtigen Factoren, von blutigen Exponenten nöthig war, um die¬
ses Fazit herzustellen. Wie schwer ist jenes Problem: das Gleichgewicht der Ge¬
walten! Und die schwierigste der Schwierigkeiten ist wieder, die Last des Heeres
vom Züngelchen der Waage fern zu halten. Die englische Konstitution war das
Modell aller übrigen, und doch ist es nnr in ihr gelungen. In Frankreich ist das
Heer jeder Revolution wenigstens nachgetreten, in den übrigen Ländern hält es
noch heute alle Constitution in der Schwebe. Woran liegt das? darin, daß es
in England die innerste Natur der Gesammtheit geworden, den Siegen des Hee^
res im Ausland zuzujauchzen, daheim aber ihm nicht ein Titelchen von Thätigkeit
zu überlassen. Und wie viel hat es dazu gebraucht, die Irländer Karls des Erste",
das Reuterparlament Cromwells, die Lämmer Claverhouse und Kirkes. In Oest¬
reich ist's mit einmal so weit gekommen. Man hat es so gründlich seinen Millio¬
nen beigebracht, im Offizier nur den avancirteu Gefreiten, im Marschallsstab nur
den vergoldeten Corporalsstock zu sehen, die leidenschaftliche Verachtung für alles, was
Humanität, Billigkeit, Gesetz heißt, die Mameluckenlust und Paschagrausamkeit des
großen militärischen Haufens ist dem Bürger so nachbohrend eingeprägt, die sol¬
datische Verwaltung und Rechtspflege ist so ein Zerr- und Schreckbild geworden,
daß wenn die Völker je zu freiem Athem kommen, ihr erster Ruf sein wird: weg
damit! Das ist eine Lection, die die östreichische Bourgeoisie brauchte. Ein tüch¬
tiger Staat bedarf ein tüchtiges Heer; aber wer Freiheit will, muß stark genug
sein, sie zu erhalten und zu ertragen, zugleich. Es war empörend zu sehen,
was für schwache Nerven, was für vornehme Exklusivität gerade die Gebildeten
in Oestreich in die neue Zeit mitgebracht. Sie wollten Gleichheit, und doch
zürnte jeder bessere Rock der Ellbogenfreiheit, die sich der schlechtere nehmen wollte.
Sie wollten Freiheit, und verlangten gegen jeden Mißbrauch derselben das, was
sie aufhebt, die Präventive der Behörde, statt selbst einzustehen, mit eigner Per¬
son zu zahlen. Sie jubelten, als das Militär that, was sie hätten thun sollen. Jetzt
haben sie gelernt. Sie sind die Solidarität des Civiles durch Erfahrung inne
geworden, das neue Geschlecht wird ein anderes werden, und sich hüten den Des-


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chen, bis in die kindischste Einzelheit entgegenzukommen. Sie werden nichts da¬
bei verlieren, im Gegentheil! Damit wird der schlimme Umstand am besten aufge¬
wogen, daß die Sprache der Regierung und des Militärs deutsch ist. Wer sich
zu beklagen hat, wirv hören, und wenn die einzelnen Stämme Oestreichs von den
übrigen gehört sein wollen, müssen sie deutsch reden. Ihre Einzelliteraturen we»
den daran nichts ändern. Es ist ein Glück, daß Rußland nicht eine Literatur
hat wie die deutsche. Sie würde sonst alle slawischen absorbiren. So, mögen es
uns die Slawophilen verzeihen, ist keine Propaganda nöthig, um Oestreich zu
germanifiren. Das ist eine zweite Tröstung! — Aber weiter! Wer nur einiger¬
maßen die Geschichte der englischen Konstitution kennt, weiß, welche verwickelte
Rechnung von mächtigen Factoren, von blutigen Exponenten nöthig war, um die¬
ses Fazit herzustellen. Wie schwer ist jenes Problem: das Gleichgewicht der Ge¬
walten! Und die schwierigste der Schwierigkeiten ist wieder, die Last des Heeres
vom Züngelchen der Waage fern zu halten. Die englische Konstitution war das
Modell aller übrigen, und doch ist es nnr in ihr gelungen. In Frankreich ist das
Heer jeder Revolution wenigstens nachgetreten, in den übrigen Ländern hält es
noch heute alle Constitution in der Schwebe. Woran liegt das? darin, daß es
in England die innerste Natur der Gesammtheit geworden, den Siegen des Hee^
res im Ausland zuzujauchzen, daheim aber ihm nicht ein Titelchen von Thätigkeit
zu überlassen. Und wie viel hat es dazu gebraucht, die Irländer Karls des Erste«,
das Reuterparlament Cromwells, die Lämmer Claverhouse und Kirkes. In Oest¬
reich ist's mit einmal so weit gekommen. Man hat es so gründlich seinen Millio¬
nen beigebracht, im Offizier nur den avancirteu Gefreiten, im Marschallsstab nur
den vergoldeten Corporalsstock zu sehen, die leidenschaftliche Verachtung für alles, was
Humanität, Billigkeit, Gesetz heißt, die Mameluckenlust und Paschagrausamkeit des
großen militärischen Haufens ist dem Bürger so nachbohrend eingeprägt, die sol¬
datische Verwaltung und Rechtspflege ist so ein Zerr- und Schreckbild geworden,
daß wenn die Völker je zu freiem Athem kommen, ihr erster Ruf sein wird: weg
damit! Das ist eine Lection, die die östreichische Bourgeoisie brauchte. Ein tüch¬
tiger Staat bedarf ein tüchtiges Heer; aber wer Freiheit will, muß stark genug
sein, sie zu erhalten und zu ertragen, zugleich. Es war empörend zu sehen,
was für schwache Nerven, was für vornehme Exklusivität gerade die Gebildeten
in Oestreich in die neue Zeit mitgebracht. Sie wollten Gleichheit, und doch
zürnte jeder bessere Rock der Ellbogenfreiheit, die sich der schlechtere nehmen wollte.
Sie wollten Freiheit, und verlangten gegen jeden Mißbrauch derselben das, was
sie aufhebt, die Präventive der Behörde, statt selbst einzustehen, mit eigner Per¬
son zu zahlen. Sie jubelten, als das Militär that, was sie hätten thun sollen. Jetzt
haben sie gelernt. Sie sind die Solidarität des Civiles durch Erfahrung inne
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/430>, abgerufen am 15.01.2025.