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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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die Schlacht bei Navarin in vielfarbigem Feuerwerk vor unserer Phantasie spielen
läßt, einen türkischen Marsch anstimme, die Geister der Alhambra heraufbeschwört,
das Vorüberziehn der Djius in der Wüste Sahara mit erkünstelter Angst und
in wechselnden Versmaßen belauscht, oder auch einmal dem fliegenden Roß Ma-
zeppa's dnrch die kvsakische Steppe folgt und ihn mit dem an das Irdische ange-
fesselten Genius vergleicht, um doch auch einmal sentimental zu werden.

Dieser Mißbrauch der lyrischen Poesie, der mir z. B. bei Freiligrath noch
fataler vorkommt, weil er hier nur Copie ist, hängt mit der Grundrichtung Victor
Hugo's zusammen, die ich bei Gelegenheit des Han d'Islande entwickelt habe. Die
wahre Lyrik darf mir solche Töne anschlagen, die in jedem Herzen widerklinge",
nur Empfindungen ausdrucken, die allgemein menschlicher Natur, und daher all¬
gemein verständlich sind. Die ältere französische Literatur hatte das Kriterium des
allgemein Menschlichen in den conventionellen Vorstellungen gesucht, sie hatte sich
daher in's Phrasenhafte verloren. Die romantische Reaction setzte dieser Conve-
nienz das Recht des individuellen, eigenthümlichen Empfindens entgegen, und da
sie nicht, wie unsere Sturm- und Drangpoesie, aus der Unruhe des Gemüths,
sondern lediglich aus der Reflexion entsprang, da sie also etwas Eigenes der her¬
gebrachten Empfindungsweise nicht entgegenzusetzen hatte, so war sie genöthigt,
nach Raritäten zu suchen, sie fragte sich, wie mag ein Dalai-Lama, ein Fakir,
ein Mufti oder meinetwegen ein Gespenst oder ein Kameel in dem oder jenein an¬
gegebenen Falle empfinden, und dies Rechenexempel des bloßen Verstandes oder
der Gelehrsamkeit dichtete sie nun zu einem Gemälde aus. Sie konnte ihren
Werth, da irrationelle Empfindungen weder Tiefe noch Stärke zulassen, nur in
dem Reichthum und der Gewandtheit der Formen suchen.

Und dieser ist in der That in den "Orientalen" in einun Grade vorhanden,
wie ihn sonst die französische Poesie nicht kennt. Die wunderbarsten Verschlingun-
gen der Strophen, die seltsamsten Reime, und doch überall Correctheit und Grazie.
Der Dichter ist der Sprache vollkommen mächtig, er kann sagen, was er will,
nur -- er hat nichts Eignes zu sage". Seine Bilder, seiue Rhythmen und Reime
dienen nicht einem poetischen Zweck, sie sind selbst Zweck; 'die Wucht des Tonfalls
verschlingt die Gedanken wie die Empfindung, wir erstaunen über diese .Kunst des
Spiels, aber weder unser Nachdenken noch unser Gemüth wird betheiligt. Wir
bewundern die Sicherheit dieser chromatischen Tonleitern, aber wir hören keine
Melodie. Die Draperie, der Seidenstoff, die Landschaft, die Farbe im Allgemei¬
nen, zeugen von einer Meisterhand, aber wir sehen keine Augen, ans denen eine
Seele strahlt.

In den Herbstblättern (lLUN) sucht der Dichter zur menschlichen Natur
zurückzukehren; es ist zu spät, sie ist in dem Stoff und der Farbe verloren ge¬
gangen. Der Gedanke kann die Sprache nicht mehr überwältigen. Gewöhnt an
die glänzenden Schilderungen des Meeres, der Prairien, der Wüsten, der Säbel


die Schlacht bei Navarin in vielfarbigem Feuerwerk vor unserer Phantasie spielen
läßt, einen türkischen Marsch anstimme, die Geister der Alhambra heraufbeschwört,
das Vorüberziehn der Djius in der Wüste Sahara mit erkünstelter Angst und
in wechselnden Versmaßen belauscht, oder auch einmal dem fliegenden Roß Ma-
zeppa's dnrch die kvsakische Steppe folgt und ihn mit dem an das Irdische ange-
fesselten Genius vergleicht, um doch auch einmal sentimental zu werden.

Dieser Mißbrauch der lyrischen Poesie, der mir z. B. bei Freiligrath noch
fataler vorkommt, weil er hier nur Copie ist, hängt mit der Grundrichtung Victor
Hugo's zusammen, die ich bei Gelegenheit des Han d'Islande entwickelt habe. Die
wahre Lyrik darf mir solche Töne anschlagen, die in jedem Herzen widerklinge»,
nur Empfindungen ausdrucken, die allgemein menschlicher Natur, und daher all¬
gemein verständlich sind. Die ältere französische Literatur hatte das Kriterium des
allgemein Menschlichen in den conventionellen Vorstellungen gesucht, sie hatte sich
daher in's Phrasenhafte verloren. Die romantische Reaction setzte dieser Conve-
nienz das Recht des individuellen, eigenthümlichen Empfindens entgegen, und da
sie nicht, wie unsere Sturm- und Drangpoesie, aus der Unruhe des Gemüths,
sondern lediglich aus der Reflexion entsprang, da sie also etwas Eigenes der her¬
gebrachten Empfindungsweise nicht entgegenzusetzen hatte, so war sie genöthigt,
nach Raritäten zu suchen, sie fragte sich, wie mag ein Dalai-Lama, ein Fakir,
ein Mufti oder meinetwegen ein Gespenst oder ein Kameel in dem oder jenein an¬
gegebenen Falle empfinden, und dies Rechenexempel des bloßen Verstandes oder
der Gelehrsamkeit dichtete sie nun zu einem Gemälde aus. Sie konnte ihren
Werth, da irrationelle Empfindungen weder Tiefe noch Stärke zulassen, nur in
dem Reichthum und der Gewandtheit der Formen suchen.

Und dieser ist in der That in den „Orientalen" in einun Grade vorhanden,
wie ihn sonst die französische Poesie nicht kennt. Die wunderbarsten Verschlingun-
gen der Strophen, die seltsamsten Reime, und doch überall Correctheit und Grazie.
Der Dichter ist der Sprache vollkommen mächtig, er kann sagen, was er will,
nur — er hat nichts Eignes zu sage». Seine Bilder, seiue Rhythmen und Reime
dienen nicht einem poetischen Zweck, sie sind selbst Zweck; 'die Wucht des Tonfalls
verschlingt die Gedanken wie die Empfindung, wir erstaunen über diese .Kunst des
Spiels, aber weder unser Nachdenken noch unser Gemüth wird betheiligt. Wir
bewundern die Sicherheit dieser chromatischen Tonleitern, aber wir hören keine
Melodie. Die Draperie, der Seidenstoff, die Landschaft, die Farbe im Allgemei¬
nen, zeugen von einer Meisterhand, aber wir sehen keine Augen, ans denen eine
Seele strahlt.

In den Herbstblättern (lLUN) sucht der Dichter zur menschlichen Natur
zurückzukehren; es ist zu spät, sie ist in dem Stoff und der Farbe verloren ge¬
gangen. Der Gedanke kann die Sprache nicht mehr überwältigen. Gewöhnt an
die glänzenden Schilderungen des Meeres, der Prairien, der Wüsten, der Säbel


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[0426] die Schlacht bei Navarin in vielfarbigem Feuerwerk vor unserer Phantasie spielen läßt, einen türkischen Marsch anstimme, die Geister der Alhambra heraufbeschwört, das Vorüberziehn der Djius in der Wüste Sahara mit erkünstelter Angst und in wechselnden Versmaßen belauscht, oder auch einmal dem fliegenden Roß Ma- zeppa's dnrch die kvsakische Steppe folgt und ihn mit dem an das Irdische ange- fesselten Genius vergleicht, um doch auch einmal sentimental zu werden. Dieser Mißbrauch der lyrischen Poesie, der mir z. B. bei Freiligrath noch fataler vorkommt, weil er hier nur Copie ist, hängt mit der Grundrichtung Victor Hugo's zusammen, die ich bei Gelegenheit des Han d'Islande entwickelt habe. Die wahre Lyrik darf mir solche Töne anschlagen, die in jedem Herzen widerklinge», nur Empfindungen ausdrucken, die allgemein menschlicher Natur, und daher all¬ gemein verständlich sind. Die ältere französische Literatur hatte das Kriterium des allgemein Menschlichen in den conventionellen Vorstellungen gesucht, sie hatte sich daher in's Phrasenhafte verloren. Die romantische Reaction setzte dieser Conve- nienz das Recht des individuellen, eigenthümlichen Empfindens entgegen, und da sie nicht, wie unsere Sturm- und Drangpoesie, aus der Unruhe des Gemüths, sondern lediglich aus der Reflexion entsprang, da sie also etwas Eigenes der her¬ gebrachten Empfindungsweise nicht entgegenzusetzen hatte, so war sie genöthigt, nach Raritäten zu suchen, sie fragte sich, wie mag ein Dalai-Lama, ein Fakir, ein Mufti oder meinetwegen ein Gespenst oder ein Kameel in dem oder jenein an¬ gegebenen Falle empfinden, und dies Rechenexempel des bloßen Verstandes oder der Gelehrsamkeit dichtete sie nun zu einem Gemälde aus. Sie konnte ihren Werth, da irrationelle Empfindungen weder Tiefe noch Stärke zulassen, nur in dem Reichthum und der Gewandtheit der Formen suchen. Und dieser ist in der That in den „Orientalen" in einun Grade vorhanden, wie ihn sonst die französische Poesie nicht kennt. Die wunderbarsten Verschlingun- gen der Strophen, die seltsamsten Reime, und doch überall Correctheit und Grazie. Der Dichter ist der Sprache vollkommen mächtig, er kann sagen, was er will, nur — er hat nichts Eignes zu sage». Seine Bilder, seiue Rhythmen und Reime dienen nicht einem poetischen Zweck, sie sind selbst Zweck; 'die Wucht des Tonfalls verschlingt die Gedanken wie die Empfindung, wir erstaunen über diese .Kunst des Spiels, aber weder unser Nachdenken noch unser Gemüth wird betheiligt. Wir bewundern die Sicherheit dieser chromatischen Tonleitern, aber wir hören keine Melodie. Die Draperie, der Seidenstoff, die Landschaft, die Farbe im Allgemei¬ nen, zeugen von einer Meisterhand, aber wir sehen keine Augen, ans denen eine Seele strahlt. In den Herbstblättern (lLUN) sucht der Dichter zur menschlichen Natur zurückzukehren; es ist zu spät, sie ist in dem Stoff und der Farbe verloren ge¬ gangen. Der Gedanke kann die Sprache nicht mehr überwältigen. Gewöhnt an die glänzenden Schilderungen des Meeres, der Prairien, der Wüsten, der Säbel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/426>, abgerufen am 15.01.2025.