sind sie in der Tollheit auch nie so weit gegangen als wir; sie verlieren nie voll¬ ständig den gefunden Menschenverstand. Auch wenn sie die Etikette und die Regel bekämpfen, liegt sie doch in ihrem Blut. Sie würden nie mit unsern Schlegel'S "das kühlende Feuer duftender Blumen" besingen, wie mit unsern Jungdeutschen sich auf "fahrende Grazie" einlassen, nie mit unserm Goethe von der "felsumsteil- teu Bucht" des Meeres reden. Ihre Kühnheit besteht in zwei Neuerungen.
Einmal suchen sie die von der Convenienz gemünzten abstract sentimentale" Ausdrücke der Schule Delille's, in der die französische Lyrik sich versteinert hatte, durch sinnliche, pittoreske zu ersetzen; sie malen im Detail nud gehn gern auf das concrete Bild zurück, wenn es auch nicht im Lexicon der salonfähigen Worte steht. Bezeichnend ist es, wie Se. Beuve (Poesie" de Fosepll "ciel-me I82V) seine Muse beschreibt: sie ist nicht die glänzende Odaliske, nicht die ve>,"eilt<; (ein Lieblingsausdruck der Schule) I^eil, sondern ein Mädchen im einsamen Holz, das den ganzen Tag alte Leinwand wäscht. Sie beschränken die poetischen Gegen¬ stände nicht auf einen Canon, bei ihnen hat Alles Bürgerrecht in der Poesie, auch der Camillenthee, das Pech und die alte Leinwand.
Sodann lieben sie es, um die Sinnlichkeit durch Mystik zu adeln, hin und wieder feine, unbestimmte, bedeutsame Ausdrücke einzuschieben, die, was sie sagen wollen, mehr ahnen lassen, als daß sie es aussprechen, z.B. "los exe-thes et, oi- sie". Durch die grvbsiunliche Hülle soll die intime Farbe, durch das Irdische die übersinnliche Welt, durch die Kunst die Träumerei durchscheine". Parfü- mirte Hände unter einer groben Blouse, Bisam neben dem Cigarrendampf. So lehrt uus einer von der Schule. In dieser Mystik send die Franzosen ungelenk; sie sind an Disciplin so gewöhnt, daß sie von der Neuheit ihrer eignen Einfälle Äbcrrascht werden, und mit großem Geschrei als Paradoxie verkünden, was uns ziemlich trivial vorkommt.
Endlich bezog sich die Neuerung auf das Versmaß, das durch Boileau und Racine der antithetischen Bildung der französischen Sprache und des franzö¬ sischen Witzes angemessen in einen strengen, für die poetische Gestaltung sehr ver- hängnißvollen Parallelismus gezwungen war. Auch in dieser Neuerung ging sie auf Ronsard zurück. Die ersten Schritte in dieser Reform gingen von Andre Chenier aus, den überhaupt in der Form die Schule als ihren Meister verehrt. Der romantische Alexandriner unterschied sich von dem classischen einmal durch die Freiheit der Cäsnr. Als Beispiel, wie weit höchstens ein Klassiker gehn durfte, gibt Se. Beroe folgenden Bers Racine's an:
sind sie in der Tollheit auch nie so weit gegangen als wir; sie verlieren nie voll¬ ständig den gefunden Menschenverstand. Auch wenn sie die Etikette und die Regel bekämpfen, liegt sie doch in ihrem Blut. Sie würden nie mit unsern Schlegel'S „das kühlende Feuer duftender Blumen" besingen, wie mit unsern Jungdeutschen sich auf „fahrende Grazie" einlassen, nie mit unserm Goethe von der „felsumsteil- teu Bucht" des Meeres reden. Ihre Kühnheit besteht in zwei Neuerungen.
Einmal suchen sie die von der Convenienz gemünzten abstract sentimentale» Ausdrücke der Schule Delille's, in der die französische Lyrik sich versteinert hatte, durch sinnliche, pittoreske zu ersetzen; sie malen im Detail nud gehn gern auf das concrete Bild zurück, wenn es auch nicht im Lexicon der salonfähigen Worte steht. Bezeichnend ist es, wie Se. Beuve (Poesie« de Fosepll »ciel-me I82V) seine Muse beschreibt: sie ist nicht die glänzende Odaliske, nicht die ve>,»eilt<; (ein Lieblingsausdruck der Schule) I^eil, sondern ein Mädchen im einsamen Holz, das den ganzen Tag alte Leinwand wäscht. Sie beschränken die poetischen Gegen¬ stände nicht auf einen Canon, bei ihnen hat Alles Bürgerrecht in der Poesie, auch der Camillenthee, das Pech und die alte Leinwand.
Sodann lieben sie es, um die Sinnlichkeit durch Mystik zu adeln, hin und wieder feine, unbestimmte, bedeutsame Ausdrücke einzuschieben, die, was sie sagen wollen, mehr ahnen lassen, als daß sie es aussprechen, z.B. «los exe-thes et, oi- sie«. Durch die grvbsiunliche Hülle soll die intime Farbe, durch das Irdische die übersinnliche Welt, durch die Kunst die Träumerei durchscheine«. Parfü- mirte Hände unter einer groben Blouse, Bisam neben dem Cigarrendampf. So lehrt uus einer von der Schule. In dieser Mystik send die Franzosen ungelenk; sie sind an Disciplin so gewöhnt, daß sie von der Neuheit ihrer eignen Einfälle Äbcrrascht werden, und mit großem Geschrei als Paradoxie verkünden, was uns ziemlich trivial vorkommt.
Endlich bezog sich die Neuerung auf das Versmaß, das durch Boileau und Racine der antithetischen Bildung der französischen Sprache und des franzö¬ sischen Witzes angemessen in einen strengen, für die poetische Gestaltung sehr ver- hängnißvollen Parallelismus gezwungen war. Auch in dieser Neuerung ging sie auf Ronsard zurück. Die ersten Schritte in dieser Reform gingen von Andre Chenier aus, den überhaupt in der Form die Schule als ihren Meister verehrt. Der romantische Alexandriner unterschied sich von dem classischen einmal durch die Freiheit der Cäsnr. Als Beispiel, wie weit höchstens ein Klassiker gehn durfte, gibt Se. Beroe folgenden Bers Racine's an:
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[0423]
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„das kühlende Feuer duftender Blumen" besingen, wie mit unsern Jungdeutschen
sich auf „fahrende Grazie" einlassen, nie mit unserm Goethe von der „felsumsteil-
teu Bucht" des Meeres reden. Ihre Kühnheit besteht in zwei Neuerungen.
Einmal suchen sie die von der Convenienz gemünzten abstract sentimentale»
Ausdrücke der Schule Delille's, in der die französische Lyrik sich versteinert hatte,
durch sinnliche, pittoreske zu ersetzen; sie malen im Detail nud gehn gern auf
das concrete Bild zurück, wenn es auch nicht im Lexicon der salonfähigen Worte
steht. Bezeichnend ist es, wie Se. Beuve (Poesie« de Fosepll »ciel-me I82V)
seine Muse beschreibt: sie ist nicht die glänzende Odaliske, nicht die ve>,»eilt<;
(ein Lieblingsausdruck der Schule) I^eil, sondern ein Mädchen im einsamen Holz,
das den ganzen Tag alte Leinwand wäscht. Sie beschränken die poetischen Gegen¬
stände nicht auf einen Canon, bei ihnen hat Alles Bürgerrecht in der Poesie,
auch der Camillenthee, das Pech und die alte Leinwand.
Sodann lieben sie es, um die Sinnlichkeit durch Mystik zu adeln, hin und
wieder feine, unbestimmte, bedeutsame Ausdrücke einzuschieben, die, was sie sagen
wollen, mehr ahnen lassen, als daß sie es aussprechen, z.B. «los exe-thes et, oi-
sie«. Durch die grvbsiunliche Hülle soll die intime Farbe, durch das Irdische
die übersinnliche Welt, durch die Kunst die Träumerei durchscheine«. Parfü-
mirte Hände unter einer groben Blouse, Bisam neben dem Cigarrendampf. So
lehrt uus einer von der Schule. In dieser Mystik send die Franzosen ungelenk;
sie sind an Disciplin so gewöhnt, daß sie von der Neuheit ihrer eignen Einfälle
Äbcrrascht werden, und mit großem Geschrei als Paradoxie verkünden, was uns
ziemlich trivial vorkommt.
Endlich bezog sich die Neuerung auf das Versmaß, das durch Boileau
und Racine der antithetischen Bildung der französischen Sprache und des franzö¬
sischen Witzes angemessen in einen strengen, für die poetische Gestaltung sehr ver-
hängnißvollen Parallelismus gezwungen war. Auch in dieser Neuerung ging sie
auf Ronsard zurück. Die ersten Schritte in dieser Reform gingen von Andre
Chenier aus, den überhaupt in der Form die Schule als ihren Meister verehrt.
Der romantische Alexandriner unterschied sich von dem classischen einmal durch die
Freiheit der Cäsnr. Als Beispiel, wie weit höchstens ein Klassiker gehn durfte,
gibt Se. Beroe folgenden Bers Racine's an:
pÄi'lLl'al, msilanil!, !epee I» IlliLlt^
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Der Romantiker dagegen würde ohne Umstände sagen:
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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/423>, abgerufen am 25.01.2025.
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