Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.ward und ein paar Jünglinge, die wegen des Sigel'schen Standrechts und der Con- Trotz der schönen Gegend und der fortwährenden Abwechselung unter den Passa¬ ward und ein paar Jünglinge, die wegen des Sigel'schen Standrechts und der Con- Trotz der schönen Gegend und der fortwährenden Abwechselung unter den Passa¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279590"/> <p xml:id="ID_121" prev="#ID_120"> ward und ein paar Jünglinge, die wegen des Sigel'schen Standrechts und der Con-<lb/> scription die Flucht ergriffen hatten. Der Eine wollte auch ein Nrischtvkratt sein, ver¬<lb/> sicherte aber, der Großherzog müsse doch wieder fortgejagt werden, er sei zu gutherzig.<lb/> Ein Seitenstück zu ihm war ein junger Berliner Bierbrauer, der auf die Demokraten<lb/> schalt und doch den Wahlen ans dem Wege reisen wollte. Melancholisch saß ein Fran¬<lb/> zose mit^. schönem ernsten Gesicht seitab, der bunten Gesellschaft den Rücken kehrend;<lb/> ich knüpfte ein Gespräch mit ihm an, er schien zu dem allerneuesten Frankreich zu ge¬<lb/> hören, er verwarf Alles: die Republik, Louis Philipp, Louis Napoleon, die Bourbonen.<lb/> Lamartine vertheidigte er gegen die letzten Beschuldigungen literarischer Gemeinheit,<lb/> aber er lobte und liebte ihn nicht, Guizot zollte er einige Anerkennung als klugem<lb/> Kopf und redlichem Mann. Frankreichs Berühmtheiten schonte er nicht, die Sand ver¬<lb/> warf er gänzlich. Die Franzosen von heute werden misanthropisch, sie sind nicht mehr<lb/> so liebenswürdig als sonst; worin sind sie wohl besser als sonst? — Ein deutsches<lb/> Original gesellte sich zu uns und fesselte das Interesse des Franzosen durch seine Be¬<lb/> hauptung, ein Neffe des Marschall Soult zu sein, dessen Frau allerdings'aus einer<lb/> deutschen Handelsstadt, aus Solingen, gebürtig ist. Bei der Flucht der Herzogin von<lb/> Orleans wollte dieser Herr ihr in Aachen, wo er sich gerade befunden, durch einen<lb/> Brief seines Oheims herbeigerufen, sehr, sehr nützlich gewesen sein;— ja, das war ein<lb/> ächter Deutscher.</p><lb/> <p xml:id="ID_122" next="#ID_123"> Trotz der schönen Gegend und der fortwährenden Abwechselung unter den Passa¬<lb/> gieren ist die Langeweile und die Ungeduld auf den Dampfschiffen meistens unerträglich,<lb/> man ist stets abgespannt und zerstreut; fast scheint es, als wäre das körperliche und<lb/> geistige Sein wohlthätiger concentrirt, wenn man festgeschlossen in einem dahinrollendcn<lb/> Wagen sitzen muß. Ich sollte dieses allerdings auch noch zweifelhafte Vergnügen einen<lb/> langen Tag genießen; von Frankfurt bis Kissingen, meinem Reiseziel, gibt es noch die<lb/> vorsüudfluthlichsten Postwagen und Chausseen. Die Landstraße führt durch den Spessart,<lb/> auffallend ist die Einsamkeit und Melancholie desselben, nur die zwei Posten begegneten<lb/> sich, außerdem sah man höchstens ein paar Holzwagen, oder einige ärmliche Handnrerks-<lb/> burschcn. Die weibliche Reisegesellschaft hatte Ueberfälle von versprengten Frcischärlern<lb/> gefürchtet, mancher ängstliche Blick fiel in den stillen dunkeln Wald, als sich aber kein<lb/> Blatt regte, griffen die Hände zur Börse und theilten den Handwerksburschen reichliche<lb/> Allmosen aus. Auf dem Wege in die deutschen Bäder kommt man mit so mancher<lb/> sichern Todcsbcnte zusammen; es waren zwei Freundinnen im Wagen, zwei gute alte<lb/> Jungfern, wie diese Typen sich nnr in Deutschland so gemüthvoll und rührend aus¬<lb/> bilden, zwei vertrocknete Blumen, ineinander verschlungen, um sich jedes andere Her¬<lb/> zensband zu ersetzen. Auf die Stirn der Einen hatte der Tod schon sein lesbares<lb/> Zeichen geschrieben, die Andere hoffte aber noch, es durch ihre Liebe und Pflege aus¬<lb/> löschen zu können. — Bei Gmünd, einem alten Städtchen am Zusammenfluß der Saale<lb/> und des Mains, nimmt die Gegend schon den Charakter an, den das grüne Thal von<lb/> Kissingen bezeichnet, überall sieht man Ruinen auf den Bergesgipfeln, wohlerhaltene<lb/> graue Thürme zwischen dem reichen Laubholz. Die Ritter im Frankenlande müssen ein<lb/> zahlreiches und mächtiges Geschlecht gewesen sein; der Bauernkrieg hat die meisten dieser<lb/> Schlosser in Trümmer verwandelt. Die kleinen alten Städte, die sich an die bnrg-<lb/> gckrvnten Berge lehnen, wie Gmünd, Hammelburg u. s. w. sind weit hinter der<lb/> Städtckultur Norddeutschlands zurückgeblieben, baufällig und ärmlich stehen ihre Häuser<lb/> an den schlechtgepflastcrten Straßen, aber eine schöne Brunnenruiuc auf dem Markes<lb/> platz, oder ein gemeißeltes Thor in der alten Stadtmauer legen Zeugniß ab von der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
ward und ein paar Jünglinge, die wegen des Sigel'schen Standrechts und der Con-
scription die Flucht ergriffen hatten. Der Eine wollte auch ein Nrischtvkratt sein, ver¬
sicherte aber, der Großherzog müsse doch wieder fortgejagt werden, er sei zu gutherzig.
Ein Seitenstück zu ihm war ein junger Berliner Bierbrauer, der auf die Demokraten
schalt und doch den Wahlen ans dem Wege reisen wollte. Melancholisch saß ein Fran¬
zose mit^. schönem ernsten Gesicht seitab, der bunten Gesellschaft den Rücken kehrend;
ich knüpfte ein Gespräch mit ihm an, er schien zu dem allerneuesten Frankreich zu ge¬
hören, er verwarf Alles: die Republik, Louis Philipp, Louis Napoleon, die Bourbonen.
Lamartine vertheidigte er gegen die letzten Beschuldigungen literarischer Gemeinheit,
aber er lobte und liebte ihn nicht, Guizot zollte er einige Anerkennung als klugem
Kopf und redlichem Mann. Frankreichs Berühmtheiten schonte er nicht, die Sand ver¬
warf er gänzlich. Die Franzosen von heute werden misanthropisch, sie sind nicht mehr
so liebenswürdig als sonst; worin sind sie wohl besser als sonst? — Ein deutsches
Original gesellte sich zu uns und fesselte das Interesse des Franzosen durch seine Be¬
hauptung, ein Neffe des Marschall Soult zu sein, dessen Frau allerdings'aus einer
deutschen Handelsstadt, aus Solingen, gebürtig ist. Bei der Flucht der Herzogin von
Orleans wollte dieser Herr ihr in Aachen, wo er sich gerade befunden, durch einen
Brief seines Oheims herbeigerufen, sehr, sehr nützlich gewesen sein;— ja, das war ein
ächter Deutscher.
Trotz der schönen Gegend und der fortwährenden Abwechselung unter den Passa¬
gieren ist die Langeweile und die Ungeduld auf den Dampfschiffen meistens unerträglich,
man ist stets abgespannt und zerstreut; fast scheint es, als wäre das körperliche und
geistige Sein wohlthätiger concentrirt, wenn man festgeschlossen in einem dahinrollendcn
Wagen sitzen muß. Ich sollte dieses allerdings auch noch zweifelhafte Vergnügen einen
langen Tag genießen; von Frankfurt bis Kissingen, meinem Reiseziel, gibt es noch die
vorsüudfluthlichsten Postwagen und Chausseen. Die Landstraße führt durch den Spessart,
auffallend ist die Einsamkeit und Melancholie desselben, nur die zwei Posten begegneten
sich, außerdem sah man höchstens ein paar Holzwagen, oder einige ärmliche Handnrerks-
burschcn. Die weibliche Reisegesellschaft hatte Ueberfälle von versprengten Frcischärlern
gefürchtet, mancher ängstliche Blick fiel in den stillen dunkeln Wald, als sich aber kein
Blatt regte, griffen die Hände zur Börse und theilten den Handwerksburschen reichliche
Allmosen aus. Auf dem Wege in die deutschen Bäder kommt man mit so mancher
sichern Todcsbcnte zusammen; es waren zwei Freundinnen im Wagen, zwei gute alte
Jungfern, wie diese Typen sich nnr in Deutschland so gemüthvoll und rührend aus¬
bilden, zwei vertrocknete Blumen, ineinander verschlungen, um sich jedes andere Her¬
zensband zu ersetzen. Auf die Stirn der Einen hatte der Tod schon sein lesbares
Zeichen geschrieben, die Andere hoffte aber noch, es durch ihre Liebe und Pflege aus¬
löschen zu können. — Bei Gmünd, einem alten Städtchen am Zusammenfluß der Saale
und des Mains, nimmt die Gegend schon den Charakter an, den das grüne Thal von
Kissingen bezeichnet, überall sieht man Ruinen auf den Bergesgipfeln, wohlerhaltene
graue Thürme zwischen dem reichen Laubholz. Die Ritter im Frankenlande müssen ein
zahlreiches und mächtiges Geschlecht gewesen sein; der Bauernkrieg hat die meisten dieser
Schlosser in Trümmer verwandelt. Die kleinen alten Städte, die sich an die bnrg-
gckrvnten Berge lehnen, wie Gmünd, Hammelburg u. s. w. sind weit hinter der
Städtckultur Norddeutschlands zurückgeblieben, baufällig und ärmlich stehen ihre Häuser
an den schlechtgepflastcrten Straßen, aber eine schöne Brunnenruiuc auf dem Markes
platz, oder ein gemeißeltes Thor in der alten Stadtmauer legen Zeugniß ab von der
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