Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.ausgehn sollte. Es war eine wunderliche Maskerade, wie auf dem Theater, in ausgehn sollte. Es war eine wunderliche Maskerade, wie auf dem Theater, in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279967"/> <p xml:id="ID_1469" prev="#ID_1468" next="#ID_1470"> ausgehn sollte. Es war eine wunderliche Maskerade, wie auf dem Theater, in<lb/> welchem seit Talma der Wechsel des nationalen Costüms die Einheit der conventio-<lb/> nellen Tracht ersetzt hatte. Die Baya'dere» fanden ihren Altar, geheiligt durch die Er¬<lb/> innerung an die Göttin der Freiheit; und die Asceten ihre Zelle, die ein Asyl<lb/> geworden war gegen die Ströme der Revolution. Der wohlbeleibte Bourgeois aus<lb/> der Voltair'sehen Schule, der mit den Theophilanthropen des Directoriums seine<lb/> Religion aus den Grundsatz beschränkte, nichts Böses zu thun; der blasse Priester,<lb/> der mit dem Crucifix in der Hand den wilden Horden der Chouans im Kampf<lb/> vorangegangen war, der alte Schnurrbart, der an den Pyramiden gefochten, und<lb/> auf den Eisfeldern von Moskau zum Krüppel geschossen war, und der nur einen<lb/> Gott anbetete, den Gott des Kriegs, und sein Zeichen, den Adler der großen<lb/> Nation; der geächtete Jakobiner ans den Zeiten des Konvents, der mit seiner<lb/> Drehorgel von Dorf zu Dorf wanderte, und die Marseillaise spielte; Raritäten¬<lb/> krämer, die mit mittelalterlichen Heiligenbildern handelten und die heraldischen Farben<lb/> vergessener Wappen erklärten — das alles drängte sich aneinander, und der eine<lb/> fand für ven andern kein Verständniß. Was konnte dem phantasiereichen Jüng¬<lb/> ling näher liegen, als die Rückkehr zu dem, was im Sturm der Zeiten am feste¬<lb/> sten gestanden hatte, und was am rücksichtslosesten den rationellen Formen der<lb/> verhaßten, mathematisch-ökouomistischen Gesellschaft widersprach, zum Glanz der<lb/> katholischen Kirche und zur Heiligkeit des gottgesalbten Königthums? Wenn die<lb/> englischen Romantiker, wenn Edmund Burke und W. Scott den Abstractionen der<lb/> Revolntionsphilosvphie den concreten Inhalt ihres in Stände gegliederten Staats¬<lb/> lebens entgegensetzten, so war das nur ein Ausdruck des britischen Nationalge-<lb/> fühls gegen die französische Phrase; wenn in Deutschland die Schlegel, die Adam<lb/> Müller, die Haller u. s. w. auf den Katholicismus und das absolute Königthum<lb/> als auf eine sehr tiefsinnige, mystische Institution hinwiesen, zu der man flüchten<lb/> müßte vor der Flachheit der Aufklärung, so war das ein Fastnachtspiel mehr in dem<lb/> bunten Pantheon der deutscheu Romantik, die sich für die indischen Brahminen,<lb/> den transcendentalen Idealismus und den Götzendienst der Natur gerade ebenso<lb/> in Begeisterung setzte, als für die heilige Dreieinigkeit und den legitimen Kurfür¬<lb/> sten von Hessen-Kassel, denn für die protestantische Bildung war die Kirche und<lb/> der gesalbte König bei aller Anregung der Phantasie nichts weiter als ein Spiel<lb/> des Witzes. Aber in Frankreich, wo die Jesuiten ihre Seminare wieder aufrich¬<lb/> teten und der Adel in die alten Paläste einzog, war der poetische Royalismus<lb/> der Ausdruck einer siegreichen und übermüthigen Partei, einer Partei, die sich ge¬<lb/> gen den Geist des französischen Volks empörte. Es war die Poesie des alten<lb/> Feudaladels, der realistischer sein wollte als der König, d. h. der das König¬<lb/> thum nur darum stärken wollte, um es zu seinen Zwecken auszubeuten; des Adels,<lb/> der in den exclustven Cir?ein des Faubourg Se. Germain noch herrschte, und durch<lb/> die Vornehmheit seiner Memoiren die Balzac, die Dumas, die Hugo lüstern macht,</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0419]
ausgehn sollte. Es war eine wunderliche Maskerade, wie auf dem Theater, in
welchem seit Talma der Wechsel des nationalen Costüms die Einheit der conventio-
nellen Tracht ersetzt hatte. Die Baya'dere» fanden ihren Altar, geheiligt durch die Er¬
innerung an die Göttin der Freiheit; und die Asceten ihre Zelle, die ein Asyl
geworden war gegen die Ströme der Revolution. Der wohlbeleibte Bourgeois aus
der Voltair'sehen Schule, der mit den Theophilanthropen des Directoriums seine
Religion aus den Grundsatz beschränkte, nichts Böses zu thun; der blasse Priester,
der mit dem Crucifix in der Hand den wilden Horden der Chouans im Kampf
vorangegangen war, der alte Schnurrbart, der an den Pyramiden gefochten, und
auf den Eisfeldern von Moskau zum Krüppel geschossen war, und der nur einen
Gott anbetete, den Gott des Kriegs, und sein Zeichen, den Adler der großen
Nation; der geächtete Jakobiner ans den Zeiten des Konvents, der mit seiner
Drehorgel von Dorf zu Dorf wanderte, und die Marseillaise spielte; Raritäten¬
krämer, die mit mittelalterlichen Heiligenbildern handelten und die heraldischen Farben
vergessener Wappen erklärten — das alles drängte sich aneinander, und der eine
fand für ven andern kein Verständniß. Was konnte dem phantasiereichen Jüng¬
ling näher liegen, als die Rückkehr zu dem, was im Sturm der Zeiten am feste¬
sten gestanden hatte, und was am rücksichtslosesten den rationellen Formen der
verhaßten, mathematisch-ökouomistischen Gesellschaft widersprach, zum Glanz der
katholischen Kirche und zur Heiligkeit des gottgesalbten Königthums? Wenn die
englischen Romantiker, wenn Edmund Burke und W. Scott den Abstractionen der
Revolntionsphilosvphie den concreten Inhalt ihres in Stände gegliederten Staats¬
lebens entgegensetzten, so war das nur ein Ausdruck des britischen Nationalge-
fühls gegen die französische Phrase; wenn in Deutschland die Schlegel, die Adam
Müller, die Haller u. s. w. auf den Katholicismus und das absolute Königthum
als auf eine sehr tiefsinnige, mystische Institution hinwiesen, zu der man flüchten
müßte vor der Flachheit der Aufklärung, so war das ein Fastnachtspiel mehr in dem
bunten Pantheon der deutscheu Romantik, die sich für die indischen Brahminen,
den transcendentalen Idealismus und den Götzendienst der Natur gerade ebenso
in Begeisterung setzte, als für die heilige Dreieinigkeit und den legitimen Kurfür¬
sten von Hessen-Kassel, denn für die protestantische Bildung war die Kirche und
der gesalbte König bei aller Anregung der Phantasie nichts weiter als ein Spiel
des Witzes. Aber in Frankreich, wo die Jesuiten ihre Seminare wieder aufrich¬
teten und der Adel in die alten Paläste einzog, war der poetische Royalismus
der Ausdruck einer siegreichen und übermüthigen Partei, einer Partei, die sich ge¬
gen den Geist des französischen Volks empörte. Es war die Poesie des alten
Feudaladels, der realistischer sein wollte als der König, d. h. der das König¬
thum nur darum stärken wollte, um es zu seinen Zwecken auszubeuten; des Adels,
der in den exclustven Cir?ein des Faubourg Se. Germain noch herrschte, und durch
die Vornehmheit seiner Memoiren die Balzac, die Dumas, die Hugo lüstern macht,
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