Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Se. Helena nach Paris abgeholt werden sollten, eiligst auf den Helden Frankreichs Warum war die junge Romantik, die im Anfang unsers Jahrhunderts in Se. Helena nach Paris abgeholt werden sollten, eiligst auf den Helden Frankreichs Warum war die junge Romantik, die im Anfang unsers Jahrhunderts in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279966"/> <p xml:id="ID_1467" prev="#ID_1466"> Se. Helena nach Paris abgeholt werden sollten, eiligst auf den Helden Frankreichs<lb/> eine begeisterte Lobrede dichtete, und daß er die Julirevolution mit einer ebenso<lb/> ausschweifenden Begeisterung besang, als früher das .Königthum. „Unter den<lb/> schönsten Name», ruft er den Julikämpfern zu, ist der eurige der allerschönste;<lb/> «eben euch erscheint aller sonstige Ruhm als unbedeutend!" Uebrigens ist die<lb/> neue Begeisterung gerade eben so leer als die alte, und der Uebergang von der<lb/> einen Ueberzeugung zur andern höchst kavaliermäßig motivirt. „Im Allgemeinen<lb/> sind unsere Väter Bonapartisten, unsere Mütter Royalisten." Von beiden erbt<lb/> man, beides kaun aber nicht neben einander bestehn. „Meine alte royalistisch-<lb/> katholische Ueberzeugung ist seit 10 Jahren durch das Alter und die Erfahrung<lb/> Stück für Stück zerbröckelt. Wohl bleibt noch etwas davon in meiner Seele,<lb/> aber das ist nur eine religiöse und poetische Ruine. Ich wende mich noch zu¬<lb/> weilen um, sie mit Ehrfurcht zu betrachten, aber ich gehe uicht mehr hin<lb/> um zu bewi." „Die Achtung, welche mir die Vendve einflößt, ist nur noch<lb/> eine Sache der Einbildungskraft und der Tugend. Ich bin nicht mehr<lb/> dem Herzen, sondern nur noch von Seele Chouau." Damit ist uicht viel<lb/> gesagt, nicht mehr als wenn er später die Republik für die beste Staats¬<lb/> form erklärt, und in dem nächsten allgemeine» Krieg die Königreiche den<lb/> Nationen gegenüber sieht. Ein solches Schwanken von einem Extrem in's andre<lb/> muß zuletzt eine Verstimmung gegen alles politische Wesen hervorrufen, und so<lb/> meint Victor Hugo einmal mit einer Art verdrießlicher Ironie: „Alles verbraucht<lb/> sich schnell; am Ende wird auch das Volk uoch unpopulär," und gibt als letztes<lb/> Resultat seines Nachdenkens die Ueberzeugung, die politischen Fragen müßten den<lb/> socialen Platz machen. Da man mit den letzteren jeden beliebigen Begriff ver¬<lb/> binden kann, so ist damit nicht viel mehr gesagt, als daß man der Politik satt<lb/> ist. Herr Victor Hugo hat sich gegen die Todesstrafe ausgesprochen, wie Lamar¬<lb/> tine und früher Robespierre, das ist das einzige, was wir von seinen neuen po¬<lb/> litischen Ueberzeugungen wissen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1468" next="#ID_1469"> Warum war die junge Romantik, die im Anfang unsers Jahrhunderts in<lb/> Deutschland, in Großbritannien und in Frankreich auftauchte, christlich-royalistisch?<lb/> Aus demselben Grunde, ans dem die heutige Romantik die Kreuze aus der Erde<lb/> reißt, und den schwarzen Brander der Revolution besteigt. Der modern christliche<lb/> Flitterstaat war ein Protest gegen die Encyklopädie, die Perrücken und die<lb/> exacten Wissenschaften. Die Phantasie fühlte sich befangen in diesem Gewebe des<lb/> Rationalismus, der seelenlos schien, weil er überall bedingt war; und das Ge¬<lb/> müth war beängstigt in der Verwirrung der Ideen, die sich einander verleugneten,<lb/> und die Kette, die sie mit dem substantiellen Bewußtsein des Volks verband,<lb/> vollständig abgebrochen hatten. Seit das System der Aufklärung in der Revolu¬<lb/> tion sich selber auf eine höchst handgreifliche Weise widerlegt hatte, mußte jeder<lb/> sich mühsam selber den Punkt suchen, von welchem sein Glauben und sein Streben</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0418]
Se. Helena nach Paris abgeholt werden sollten, eiligst auf den Helden Frankreichs
eine begeisterte Lobrede dichtete, und daß er die Julirevolution mit einer ebenso
ausschweifenden Begeisterung besang, als früher das .Königthum. „Unter den
schönsten Name», ruft er den Julikämpfern zu, ist der eurige der allerschönste;
«eben euch erscheint aller sonstige Ruhm als unbedeutend!" Uebrigens ist die
neue Begeisterung gerade eben so leer als die alte, und der Uebergang von der
einen Ueberzeugung zur andern höchst kavaliermäßig motivirt. „Im Allgemeinen
sind unsere Väter Bonapartisten, unsere Mütter Royalisten." Von beiden erbt
man, beides kaun aber nicht neben einander bestehn. „Meine alte royalistisch-
katholische Ueberzeugung ist seit 10 Jahren durch das Alter und die Erfahrung
Stück für Stück zerbröckelt. Wohl bleibt noch etwas davon in meiner Seele,
aber das ist nur eine religiöse und poetische Ruine. Ich wende mich noch zu¬
weilen um, sie mit Ehrfurcht zu betrachten, aber ich gehe uicht mehr hin
um zu bewi." „Die Achtung, welche mir die Vendve einflößt, ist nur noch
eine Sache der Einbildungskraft und der Tugend. Ich bin nicht mehr
dem Herzen, sondern nur noch von Seele Chouau." Damit ist uicht viel
gesagt, nicht mehr als wenn er später die Republik für die beste Staats¬
form erklärt, und in dem nächsten allgemeine» Krieg die Königreiche den
Nationen gegenüber sieht. Ein solches Schwanken von einem Extrem in's andre
muß zuletzt eine Verstimmung gegen alles politische Wesen hervorrufen, und so
meint Victor Hugo einmal mit einer Art verdrießlicher Ironie: „Alles verbraucht
sich schnell; am Ende wird auch das Volk uoch unpopulär," und gibt als letztes
Resultat seines Nachdenkens die Ueberzeugung, die politischen Fragen müßten den
socialen Platz machen. Da man mit den letzteren jeden beliebigen Begriff ver¬
binden kann, so ist damit nicht viel mehr gesagt, als daß man der Politik satt
ist. Herr Victor Hugo hat sich gegen die Todesstrafe ausgesprochen, wie Lamar¬
tine und früher Robespierre, das ist das einzige, was wir von seinen neuen po¬
litischen Ueberzeugungen wissen.
Warum war die junge Romantik, die im Anfang unsers Jahrhunderts in
Deutschland, in Großbritannien und in Frankreich auftauchte, christlich-royalistisch?
Aus demselben Grunde, ans dem die heutige Romantik die Kreuze aus der Erde
reißt, und den schwarzen Brander der Revolution besteigt. Der modern christliche
Flitterstaat war ein Protest gegen die Encyklopädie, die Perrücken und die
exacten Wissenschaften. Die Phantasie fühlte sich befangen in diesem Gewebe des
Rationalismus, der seelenlos schien, weil er überall bedingt war; und das Ge¬
müth war beängstigt in der Verwirrung der Ideen, die sich einander verleugneten,
und die Kette, die sie mit dem substantiellen Bewußtsein des Volks verband,
vollständig abgebrochen hatten. Seit das System der Aufklärung in der Revolu¬
tion sich selber auf eine höchst handgreifliche Weise widerlegt hatte, mußte jeder
sich mühsam selber den Punkt suchen, von welchem sein Glauben und sein Streben
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