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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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geschleudert!" - "Von einer ruchlosen Welt, ruft er dem Schatten Ludwigs XVIl.
zu, hat Dein Gott Dich abgerufein Flieh die wahnsinnige Erde, wo man die
Kreuze aus der Erde reißt, wo der Königsmord die Kirchhöfe schändet, wo, nach
Greueln gierig der Mord bis in die Gräber steigt, um dort nach Königen zu
suchen!" (1822). Den höchsten Grad erreicht der Servilismus bei dem Tode des
Herzogs von Berry. Nun wird gleich darauf der Herzog vou Bordeaux geboren.
"O Wonne! o Triumph! o Mysterium! geboren ist das glorreiche Kind, der En¬
gel, welchen ein zum Himmel aufsteigender Märtyrer der Erde verhieß! Der Gott,
der auch einmal Kind war, hat die Hoffnung der Heldenmutter erhört. Nun fal¬
len die Nebel der Zukunft. Heil deiner ersten Morgenröthe, o junge Lilie, du
zarte Blume, die einem Grabe entspringt! Nun fürchten wir nicht mehr das Wet¬
ter, das am Horizont grollt, denn die Schuld, die ans "nscru Häuptern lastet,
ist gesühnt durch den Unschuldigen." -- Der Knabe wird getauft. -- "Ein König
ist er unter den Menschenkindern, aber indem er eintritt in den heiligen Ort,
wird er, was wir sind: ein Mensch zu Gottes Füßen. Dieses Kind ist unsere
Freude, als unsern Heiland hat es Gott gesendet! Maria, die ewig Selige, die
ewig Betende, Maria mit den bescheidenen Strahlen, führt zu dieser Feierlichkeit
selber ihre himmlischen Jungfrauen in ihre" alten Tempel mit zwei Thürmen
u. s. w."---In einem Gedicht von der Findung Mosis wird derselbe Gegenstand
zu einer irreligiösen Galanterie benutzt. Das Propheteukiud im Nil in einem Korb
von einer Jungfrau gefunden; der Heiland als Kind von einer Jungfrau in einer
Krippe gepflegt; der bourbonische Wunderkuabe von einer Hermue geboren, die we¬
nigstens Jungfrau ist -- und Moses, Christus und der Herzog von Bordeaux
sind identisch. Eine Irreligiosität, die beiläufig auf eine sehr impertinente Art
in Notre-Dame wieder vorkommt, wo Victor Hugo einen Priester von einer Zi-'
geunerin, in die er verliebt ist, sagen läßt: "Eine so schöne Creatur, daß Gott
sie der Jungfrau vorgezogen und sie zu seiner Mutter gemacht haben würde, wenn
sie in der Zeit seiner Menschwerdung gelebt hätte!" -- Das romantisch reflectirte
Christenthum ist freilich noch tollerer Einfälle fähig. -- Das macht es aber nicht
milder gegen die Ausklärung, um deren willen in einer audern Ode das achtzehnte
Jahrhundert verflucht wird: "O Herr! fleht es, dein Arm ist erhoben, Herr, der
Verfehmte bittet um Gnade! -- Nein, schweig still, verworfenes Jahrhundert!
fort mit dir! meine Hand öffnet dir den Abgrund der Hölle!" -- Der Tod Na¬
poleons gibt dem Dichter nur zu Insulten Veranlassung. "Königliches Blut hat
seinen angemaßten Purpur gefärbt! im geheimen Bewußtsein seiner Schuld ließ
er sich vom Papst salben, denn er wollte sein blutiges Diadem aus den Händen
wiederempsangen, von denen Vergebung kommt!! Er lebte in der Nacht der Fre¬
vel, unkundig des Gottes, der ihn gesendet! Er starb, und die Welt athmet freu¬
diger ans." -- Der Feldzug von 1823, zur Wiederherstellung des Absolutismus
in Spanien, flößt dem Dichter neue Begeisterung ein. "O wie schön ist das


geschleudert!" - „Von einer ruchlosen Welt, ruft er dem Schatten Ludwigs XVIl.
zu, hat Dein Gott Dich abgerufein Flieh die wahnsinnige Erde, wo man die
Kreuze aus der Erde reißt, wo der Königsmord die Kirchhöfe schändet, wo, nach
Greueln gierig der Mord bis in die Gräber steigt, um dort nach Königen zu
suchen!" (1822). Den höchsten Grad erreicht der Servilismus bei dem Tode des
Herzogs von Berry. Nun wird gleich darauf der Herzog vou Bordeaux geboren.
„O Wonne! o Triumph! o Mysterium! geboren ist das glorreiche Kind, der En¬
gel, welchen ein zum Himmel aufsteigender Märtyrer der Erde verhieß! Der Gott,
der auch einmal Kind war, hat die Hoffnung der Heldenmutter erhört. Nun fal¬
len die Nebel der Zukunft. Heil deiner ersten Morgenröthe, o junge Lilie, du
zarte Blume, die einem Grabe entspringt! Nun fürchten wir nicht mehr das Wet¬
ter, das am Horizont grollt, denn die Schuld, die ans »nscru Häuptern lastet,
ist gesühnt durch den Unschuldigen." — Der Knabe wird getauft. — „Ein König
ist er unter den Menschenkindern, aber indem er eintritt in den heiligen Ort,
wird er, was wir sind: ein Mensch zu Gottes Füßen. Dieses Kind ist unsere
Freude, als unsern Heiland hat es Gott gesendet! Maria, die ewig Selige, die
ewig Betende, Maria mit den bescheidenen Strahlen, führt zu dieser Feierlichkeit
selber ihre himmlischen Jungfrauen in ihre» alten Tempel mit zwei Thürmen
u. s. w."-—In einem Gedicht von der Findung Mosis wird derselbe Gegenstand
zu einer irreligiösen Galanterie benutzt. Das Propheteukiud im Nil in einem Korb
von einer Jungfrau gefunden; der Heiland als Kind von einer Jungfrau in einer
Krippe gepflegt; der bourbonische Wunderkuabe von einer Hermue geboren, die we¬
nigstens Jungfrau ist — und Moses, Christus und der Herzog von Bordeaux
sind identisch. Eine Irreligiosität, die beiläufig auf eine sehr impertinente Art
in Notre-Dame wieder vorkommt, wo Victor Hugo einen Priester von einer Zi-'
geunerin, in die er verliebt ist, sagen läßt: „Eine so schöne Creatur, daß Gott
sie der Jungfrau vorgezogen und sie zu seiner Mutter gemacht haben würde, wenn
sie in der Zeit seiner Menschwerdung gelebt hätte!" — Das romantisch reflectirte
Christenthum ist freilich noch tollerer Einfälle fähig. — Das macht es aber nicht
milder gegen die Ausklärung, um deren willen in einer audern Ode das achtzehnte
Jahrhundert verflucht wird: „O Herr! fleht es, dein Arm ist erhoben, Herr, der
Verfehmte bittet um Gnade! — Nein, schweig still, verworfenes Jahrhundert!
fort mit dir! meine Hand öffnet dir den Abgrund der Hölle!" — Der Tod Na¬
poleons gibt dem Dichter nur zu Insulten Veranlassung. „Königliches Blut hat
seinen angemaßten Purpur gefärbt! im geheimen Bewußtsein seiner Schuld ließ
er sich vom Papst salben, denn er wollte sein blutiges Diadem aus den Händen
wiederempsangen, von denen Vergebung kommt!! Er lebte in der Nacht der Fre¬
vel, unkundig des Gottes, der ihn gesendet! Er starb, und die Welt athmet freu¬
diger ans." — Der Feldzug von 1823, zur Wiederherstellung des Absolutismus
in Spanien, flößt dem Dichter neue Begeisterung ein. „O wie schön ist das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/416>, abgerufen am 15.01.2025.