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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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folgte, und hatte seine Augen ergötzt "an dem Anblick jener dnstschwangeren Ufer,
auf denen ein ewiger Frühling weilt."

Im Jahr 180'", als sein Vater General und Graf wurde, kehrte Victor mit
seiner Mutter und zwei Brüdern, Abel (später Verfasser einer Geschichte Napo¬
leons) und Engen, nach Paris zurück. Wie bei ihm Alles mit einer gewissen
Frühreife zum Vorschein kam, so erfreute er sich schon in seinem siebenten Jahre
einer ersten Liebe, und was mehr sagen will, einer Liebe, die später zur Hochzeit
führte. Von den Spielen mit seiner kleinen Braut schlich er dann in ein verstecktes
Gartenhäuschen, und empfing von einem Geächteten aus eiuer Tacitus-Ueber¬
setzung den erstem Unterricht im Lesen. Mme. Hugo hatte nämlich dem in den
Moreau'schen Prozeß verwickelten und vou der Polizei verfolgten General La-
horie ein Asyl gegeben, und hielt ihn zwei Jahre lang in jenem Pavillon ver¬
borgen. Der General suchte sür die Langeweile seiner unfreiwilligen Abgeschieden¬
heit eine Zerstreuung, indem er sich mit der Erziehung des Knaben beschäftigte,
und den Grund zu jenem Royalismus legte, der noch verstärkt wurde, als die
Zufluchtsstätte endlich entdeckt und der General in der Ebne von Grenelle mit dem
Verschwörer Mallet erschossen wurde. '

Einige Monate nach diesem Vorfall (1811) berief General Hugo, der indeß
unter Joseph Majordomus des Palastes zu Madrid geworden war, seine Gattin
und Kinder wieder zu sich. Victor wurde im Adligen-Seminar zu Madrid unter¬
gebracht, und empfing hier die ersten Eindrücke jener vorzugsweise der spanischen
Poesie angehörigen Richtung, in welcher die Phantasie über Verstand und über
Gemüth hinausgeht. Gegen Ende 1812 kehrte Victor nach Paris zurück, wo er
wieder mit seiner Mutter ihre frühere Wohnung in dem Kloster der Fenillantincs
bezog. Dort fand ihn die erste Restauration, die er mit der royalistischen Begei¬
sterung seiner Mutter begrüßte.

Alte Zwistigkeiten zwischen dem General und seiner Gemahlin, die nun leb¬
hafter ausbrachen, führten endlich zu einer gerichtlichen Trennung. In deu hun¬
dert Tagen machte der General von seinem Rechte Gebrauch, und entzog den
jungen Victor und seinen Bruder Eugen -- Abel war schou Sccvndelieutnaut --
der Mutter, um beide in das Colii-ge Louis le Grand zu bringen. Das Studium
der Mathematik, dem er sich nun wider Willen hingeben mußte, verschärfte seinen
Haß gegen das Kaiserreich, das ans der mathematisch-physikalischen Bildung deö
Zeitalters der Aufklärung basirte.

Schon damals begann seine poetische Laufbahn. Bereits in seinem vierzehnte"
Jahr hatte er ein nach allen Regeln der Aristotelischen Poetik geschriebenes Trauer¬
spiel verfaßt; es hieß Jrtamenes, spielte in Aegypten, und sollte symbolisch die
Rückkehr der Bourbons feiern. Es ist nie zur Oeffentlichkeit gekommen. Im
folgenden Jahr (1817) bewarb sich der junge Dichter, noch vou der Schulbank
aus, um den Preis, den die Akademie sür ein Gedicht über die Vortheile des


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folgte, und hatte seine Augen ergötzt „an dem Anblick jener dnstschwangeren Ufer,
auf denen ein ewiger Frühling weilt."

Im Jahr 180'», als sein Vater General und Graf wurde, kehrte Victor mit
seiner Mutter und zwei Brüdern, Abel (später Verfasser einer Geschichte Napo¬
leons) und Engen, nach Paris zurück. Wie bei ihm Alles mit einer gewissen
Frühreife zum Vorschein kam, so erfreute er sich schon in seinem siebenten Jahre
einer ersten Liebe, und was mehr sagen will, einer Liebe, die später zur Hochzeit
führte. Von den Spielen mit seiner kleinen Braut schlich er dann in ein verstecktes
Gartenhäuschen, und empfing von einem Geächteten aus eiuer Tacitus-Ueber¬
setzung den erstem Unterricht im Lesen. Mme. Hugo hatte nämlich dem in den
Moreau'schen Prozeß verwickelten und vou der Polizei verfolgten General La-
horie ein Asyl gegeben, und hielt ihn zwei Jahre lang in jenem Pavillon ver¬
borgen. Der General suchte sür die Langeweile seiner unfreiwilligen Abgeschieden¬
heit eine Zerstreuung, indem er sich mit der Erziehung des Knaben beschäftigte,
und den Grund zu jenem Royalismus legte, der noch verstärkt wurde, als die
Zufluchtsstätte endlich entdeckt und der General in der Ebne von Grenelle mit dem
Verschwörer Mallet erschossen wurde. '

Einige Monate nach diesem Vorfall (1811) berief General Hugo, der indeß
unter Joseph Majordomus des Palastes zu Madrid geworden war, seine Gattin
und Kinder wieder zu sich. Victor wurde im Adligen-Seminar zu Madrid unter¬
gebracht, und empfing hier die ersten Eindrücke jener vorzugsweise der spanischen
Poesie angehörigen Richtung, in welcher die Phantasie über Verstand und über
Gemüth hinausgeht. Gegen Ende 1812 kehrte Victor nach Paris zurück, wo er
wieder mit seiner Mutter ihre frühere Wohnung in dem Kloster der Fenillantincs
bezog. Dort fand ihn die erste Restauration, die er mit der royalistischen Begei¬
sterung seiner Mutter begrüßte.

Alte Zwistigkeiten zwischen dem General und seiner Gemahlin, die nun leb¬
hafter ausbrachen, führten endlich zu einer gerichtlichen Trennung. In deu hun¬
dert Tagen machte der General von seinem Rechte Gebrauch, und entzog den
jungen Victor und seinen Bruder Eugen — Abel war schou Sccvndelieutnaut —
der Mutter, um beide in das Colii-ge Louis le Grand zu bringen. Das Studium
der Mathematik, dem er sich nun wider Willen hingeben mußte, verschärfte seinen
Haß gegen das Kaiserreich, das ans der mathematisch-physikalischen Bildung deö
Zeitalters der Aufklärung basirte.

Schon damals begann seine poetische Laufbahn. Bereits in seinem vierzehnte»
Jahr hatte er ein nach allen Regeln der Aristotelischen Poetik geschriebenes Trauer¬
spiel verfaßt; es hieß Jrtamenes, spielte in Aegypten, und sollte symbolisch die
Rückkehr der Bourbons feiern. Es ist nie zur Oeffentlichkeit gekommen. Im
folgenden Jahr (1817) bewarb sich der junge Dichter, noch vou der Schulbank
aus, um den Preis, den die Akademie sür ein Gedicht über die Vortheile des


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[0414] folgte, und hatte seine Augen ergötzt „an dem Anblick jener dnstschwangeren Ufer, auf denen ein ewiger Frühling weilt." Im Jahr 180'», als sein Vater General und Graf wurde, kehrte Victor mit seiner Mutter und zwei Brüdern, Abel (später Verfasser einer Geschichte Napo¬ leons) und Engen, nach Paris zurück. Wie bei ihm Alles mit einer gewissen Frühreife zum Vorschein kam, so erfreute er sich schon in seinem siebenten Jahre einer ersten Liebe, und was mehr sagen will, einer Liebe, die später zur Hochzeit führte. Von den Spielen mit seiner kleinen Braut schlich er dann in ein verstecktes Gartenhäuschen, und empfing von einem Geächteten aus eiuer Tacitus-Ueber¬ setzung den erstem Unterricht im Lesen. Mme. Hugo hatte nämlich dem in den Moreau'schen Prozeß verwickelten und vou der Polizei verfolgten General La- horie ein Asyl gegeben, und hielt ihn zwei Jahre lang in jenem Pavillon ver¬ borgen. Der General suchte sür die Langeweile seiner unfreiwilligen Abgeschieden¬ heit eine Zerstreuung, indem er sich mit der Erziehung des Knaben beschäftigte, und den Grund zu jenem Royalismus legte, der noch verstärkt wurde, als die Zufluchtsstätte endlich entdeckt und der General in der Ebne von Grenelle mit dem Verschwörer Mallet erschossen wurde. ' Einige Monate nach diesem Vorfall (1811) berief General Hugo, der indeß unter Joseph Majordomus des Palastes zu Madrid geworden war, seine Gattin und Kinder wieder zu sich. Victor wurde im Adligen-Seminar zu Madrid unter¬ gebracht, und empfing hier die ersten Eindrücke jener vorzugsweise der spanischen Poesie angehörigen Richtung, in welcher die Phantasie über Verstand und über Gemüth hinausgeht. Gegen Ende 1812 kehrte Victor nach Paris zurück, wo er wieder mit seiner Mutter ihre frühere Wohnung in dem Kloster der Fenillantincs bezog. Dort fand ihn die erste Restauration, die er mit der royalistischen Begei¬ sterung seiner Mutter begrüßte. Alte Zwistigkeiten zwischen dem General und seiner Gemahlin, die nun leb¬ hafter ausbrachen, führten endlich zu einer gerichtlichen Trennung. In deu hun¬ dert Tagen machte der General von seinem Rechte Gebrauch, und entzog den jungen Victor und seinen Bruder Eugen — Abel war schou Sccvndelieutnaut — der Mutter, um beide in das Colii-ge Louis le Grand zu bringen. Das Studium der Mathematik, dem er sich nun wider Willen hingeben mußte, verschärfte seinen Haß gegen das Kaiserreich, das ans der mathematisch-physikalischen Bildung deö Zeitalters der Aufklärung basirte. Schon damals begann seine poetische Laufbahn. Bereits in seinem vierzehnte» Jahr hatte er ein nach allen Regeln der Aristotelischen Poetik geschriebenes Trauer¬ spiel verfaßt; es hieß Jrtamenes, spielte in Aegypten, und sollte symbolisch die Rückkehr der Bourbons feiern. Es ist nie zur Oeffentlichkeit gekommen. Im folgenden Jahr (1817) bewarb sich der junge Dichter, noch vou der Schulbank aus, um den Preis, den die Akademie sür ein Gedicht über die Vortheile des 52*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/414>, abgerufen am 15.01.2025.