Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.gesegnet; ohne Ausnahme. Alles vom Greis bis zum Säugling, vom Schulzen Marie Sterzing hatte eine feine Gestalt, ein sanftes Ange mit langen seidenen gesegnet; ohne Ausnahme. Alles vom Greis bis zum Säugling, vom Schulzen Marie Sterzing hatte eine feine Gestalt, ein sanftes Ange mit langen seidenen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279937"/> <p xml:id="ID_1381" prev="#ID_1380"> gesegnet; ohne Ausnahme. Alles vom Greis bis zum Säugling, vom Schulzen<lb/> und Schullehrer bis zum jüngsten Gaishirten herunter, trügt dieselbe Zierde, und<lb/> der Gaisbuer setzt darum den grünen, alpenblumengeschmücklcu Spitzhut nicht<lb/> minder lustig anf's Ohr. Es ist hübsch, die Leute beim SouutagStanz oder bei<lb/> einer Procession versammelt zu sehen; der Kropf gibt jedem einen verschiedenen<lb/> Ausdruck, Einen macht er besonders ehrbar und würdevoll, den Andern besonders<lb/> schelmisch oder sanft. Das Völkchen hat sehr geringen Verkehr mit der übrigen<lb/> Welt, es denkt nicht daran und glaubt kaum, daß Millionen Menschen sich ohne<lb/> Kropf behelfen. Vor zehn Jahren nun kamen zwei Freunde, ein Arzt und ein<lb/> Maler, in das kleine Paradies, jener um zu botanisiren, dieser um landschaftliche<lb/> Studien zu machen. Beide beschlossen einige Zeit zu bleibe» und fanden gastliche<lb/> Aufnahme bei dem reichen Hans Sterzing in Ganderfeldten, dessen Tochter Marie<lb/> für die größte Schönheit des Thales galt. Anfangs wurden die Fremden wie<lb/> Meerwunder angesehen und belächelt, nach wenigen Tagen hatte sich das Publi¬<lb/> kum an ihren Anblick gewohnt, und der Schullehrer verbot der hoffnungsvollen<lb/> Jugend aufs Strengste, ihnen mit Geschrei und Gelächter nachzulaufen, indem<lb/> er sagte: Es ist sündhaft, einem Menschen körperliche Mängel vorzuwerfe», und<lb/> am Ende kann Einer auch ohne Kropf ein braver Christ sein und in deu Himmel<lb/> kommen. Dasselbe sagten der Schulze und der Müller in der Schenke, und seit¬<lb/> dem wurden der Arzt und der Maler allerseits mit stiller Theilnahme behandelt.<lb/> Der Arzt aber vergalt diese Freundlichkeit schlecht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1382" next="#ID_1383"> Marie Sterzing hatte eine feine Gestalt, ein sanftes Ange mit langen seidenen<lb/> Wimpern und sie trug ihr Kröpfchen so zierlich wie eine Taube, wenn sie den Kopf<lb/> zu ihrem Tauber emporhebt und den weißschwellenden Hals vorbeugt. Der Arzt<lb/> nahm ein doppeltes Interesse an dem Mädchen, er gewann bald ihr und ihrer<lb/> Mutter Vertrauen und bewies, daß Marie nnr deshalb so schön sei, weil sie den<lb/> kleinsten Kropf im Thal habe. Dieser Grund besiegte die Furcht der Alten und sie<lb/> willigte nach langem Sträuben darein, Marie behandeln zu lassen, natürlich in tiefster<lb/> Heimlichkeit. Der Arzt glaubte in seiner Kur Fortschritte zu machen und rieb sich<lb/> vor Freude die Hände. -- Du bist ein Weltverbesserer und wirst Unheil stiften,<lb/> sagte der Maler warnend. Aber der Arzt hörte nicht auf deu guten Rath und<lb/> braute und filtrirte so lange, bis das Unglück hereinbrach. Des Müllers Jokei<lb/> und deö Schulzen Seppel, gegen welche Marie seit Kurzem stolz und kühl ge¬<lb/> worden war, belauschten sie bei der Heumahd. Sie sahen, daß sie ein geheim^<lb/> nißvvlles Fläschchen im Busen verborgen trug und, als sie sich unbemerkt glaubte,<lb/> mit einem grünen Zauberwasscr sich eilig und eifrig den Hals wusch und darauf<lb/> dreimal bekreuzte. Nach eiuer Stunde ging ein dumpfes Gemurmel durchs ganze<lb/> Dorf. Die Väter der eifersüchtigen Bursche» saßen bis in die späte Nacht beim<lb/> Pfarrer, und am andern Morgen, Sonntags, predigte er über die Neuerer und<lb/> Ketzer, die den Menschen mit Gewalt anders machen wollten, als der liebe Gott</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
gesegnet; ohne Ausnahme. Alles vom Greis bis zum Säugling, vom Schulzen
und Schullehrer bis zum jüngsten Gaishirten herunter, trügt dieselbe Zierde, und
der Gaisbuer setzt darum den grünen, alpenblumengeschmücklcu Spitzhut nicht
minder lustig anf's Ohr. Es ist hübsch, die Leute beim SouutagStanz oder bei
einer Procession versammelt zu sehen; der Kropf gibt jedem einen verschiedenen
Ausdruck, Einen macht er besonders ehrbar und würdevoll, den Andern besonders
schelmisch oder sanft. Das Völkchen hat sehr geringen Verkehr mit der übrigen
Welt, es denkt nicht daran und glaubt kaum, daß Millionen Menschen sich ohne
Kropf behelfen. Vor zehn Jahren nun kamen zwei Freunde, ein Arzt und ein
Maler, in das kleine Paradies, jener um zu botanisiren, dieser um landschaftliche
Studien zu machen. Beide beschlossen einige Zeit zu bleibe» und fanden gastliche
Aufnahme bei dem reichen Hans Sterzing in Ganderfeldten, dessen Tochter Marie
für die größte Schönheit des Thales galt. Anfangs wurden die Fremden wie
Meerwunder angesehen und belächelt, nach wenigen Tagen hatte sich das Publi¬
kum an ihren Anblick gewohnt, und der Schullehrer verbot der hoffnungsvollen
Jugend aufs Strengste, ihnen mit Geschrei und Gelächter nachzulaufen, indem
er sagte: Es ist sündhaft, einem Menschen körperliche Mängel vorzuwerfe», und
am Ende kann Einer auch ohne Kropf ein braver Christ sein und in deu Himmel
kommen. Dasselbe sagten der Schulze und der Müller in der Schenke, und seit¬
dem wurden der Arzt und der Maler allerseits mit stiller Theilnahme behandelt.
Der Arzt aber vergalt diese Freundlichkeit schlecht.
Marie Sterzing hatte eine feine Gestalt, ein sanftes Ange mit langen seidenen
Wimpern und sie trug ihr Kröpfchen so zierlich wie eine Taube, wenn sie den Kopf
zu ihrem Tauber emporhebt und den weißschwellenden Hals vorbeugt. Der Arzt
nahm ein doppeltes Interesse an dem Mädchen, er gewann bald ihr und ihrer
Mutter Vertrauen und bewies, daß Marie nnr deshalb so schön sei, weil sie den
kleinsten Kropf im Thal habe. Dieser Grund besiegte die Furcht der Alten und sie
willigte nach langem Sträuben darein, Marie behandeln zu lassen, natürlich in tiefster
Heimlichkeit. Der Arzt glaubte in seiner Kur Fortschritte zu machen und rieb sich
vor Freude die Hände. -- Du bist ein Weltverbesserer und wirst Unheil stiften,
sagte der Maler warnend. Aber der Arzt hörte nicht auf deu guten Rath und
braute und filtrirte so lange, bis das Unglück hereinbrach. Des Müllers Jokei
und deö Schulzen Seppel, gegen welche Marie seit Kurzem stolz und kühl ge¬
worden war, belauschten sie bei der Heumahd. Sie sahen, daß sie ein geheim^
nißvvlles Fläschchen im Busen verborgen trug und, als sie sich unbemerkt glaubte,
mit einem grünen Zauberwasscr sich eilig und eifrig den Hals wusch und darauf
dreimal bekreuzte. Nach eiuer Stunde ging ein dumpfes Gemurmel durchs ganze
Dorf. Die Väter der eifersüchtigen Bursche» saßen bis in die späte Nacht beim
Pfarrer, und am andern Morgen, Sonntags, predigte er über die Neuerer und
Ketzer, die den Menschen mit Gewalt anders machen wollten, als der liebe Gott
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |