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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Sackgasse und schließt mit dem Waldbachstrnbb, der mitten <ins der schließenden
Felsmauer herausspringt. Lenauische Melancholie überkommt den Wandrer in
dieser Einsamkeit, ans der ihn dann und wann nur das Geläut einer grasenden
Kuh aufschreckt oder das Lallen des "Trottels" (Cretins), der ihm bettelnd die
Zaunthüre öffnet und mit dem verschleierten Blick einer verwunschenen Kreatur
ihn anstarrt.

Sie sehen, bemerkte Don Jsidor, daß Ihre Ansicht von der edleren Natur
der Alpenparadiese, wenigstens in Bezug auf den Mensche", falsch ist. nirgendswo
in Flachlande vegetiren diese traurigen Zerrbilder unserer Race so massenhaft; der
Blödsinn ist dort selten angeboren und erblich wie hier. Das Volk, welches in
seinen Forschungen gewöhnlich andere Wege geht als Aerzte und Philosophen, be¬
hauptet, die Trotteln seien Abkömmlinge eines verstockten altheidnischen Drniden-
geschlechts, welches vor zwei tausend Jahren hier seinen Götzen Menschen opferte.
Zur Strafe dafür müssen die Urenkel jener Priester noch hentzutage dem schonen
altchristlichen Menschenschlag im Gebirge als Folie dienen. Ich wünschte nur, die
modernen Druiden, welche zwar nicht Mcnschenleiber opfern, aber Seele und Ver¬
stand des Volles gern verkrüppeln, würden zur Vergeltung selbst ein wenig mit
Cretinismus geschlagen. Uebrigens ist der Kropf nicht immer das Emblem des
Cretinismus, so wie es Trotteln gibt, die einen kleinen, oft ganz unmerklichen
Halsauswnchs tragen. Eine geheimnißvolle Beziehung mag wohl zwischen dein
geistigen und dem körperlichen Kropfthum walten, allein es gibt Gegenden, u o
keine Spur einer Wahlverwandtschaft zwischen beiden zu entdecken ist. Kennen Sie


7. Das Kropsthal

in Obersteiermark und die seltsame Geschichte, die sich vor mehr als zehn Jahren
dort zutrug? -- Wer jemals, ans dem Tannenwald bei Zackl niedersteigend,
die blauen schöugezinnten, mit ewigem Schnee bedeckten Berge sah, die den süd¬
lichen Eingang des Kropfthales hüten, die zwanzig Bächlein, die in Schlcierfällen
von der Felskrone über der Alm niederschwebend, es in hundertfachen Windungen
durchädern, bald spannbreit, kaum fußtief und kristallweiß über einer Mosaik von
farbigen Kieseln rinnend, bald mit lasurblauen oder smaragdgrünen Wogen das
Mühlrad peitschend, -- der wird, wenn er aus dem Geräusch der Welt sich in's
Hochland zurückziehen will, schwerlich ein reizenderes Asyl wünschen als dieses ab¬
gelegene Thal mit seinen fünf saubern Dörfern an der Berglehne. Die Kräuter
auf den Matten sind würziger, die Ziegen flinker und die Schafe mit feinerem
Vließ bekleidet als anderswo, die Bewohner des Thales jedoch sind mit Kröpfen



") Strubb heißt: Wasserfall.
Grenzboten. IV. 184".49

Sackgasse und schließt mit dem Waldbachstrnbb, der mitten <ins der schließenden
Felsmauer herausspringt. Lenauische Melancholie überkommt den Wandrer in
dieser Einsamkeit, ans der ihn dann und wann nur das Geläut einer grasenden
Kuh aufschreckt oder das Lallen des „Trottels" (Cretins), der ihm bettelnd die
Zaunthüre öffnet und mit dem verschleierten Blick einer verwunschenen Kreatur
ihn anstarrt.

Sie sehen, bemerkte Don Jsidor, daß Ihre Ansicht von der edleren Natur
der Alpenparadiese, wenigstens in Bezug auf den Mensche», falsch ist. nirgendswo
in Flachlande vegetiren diese traurigen Zerrbilder unserer Race so massenhaft; der
Blödsinn ist dort selten angeboren und erblich wie hier. Das Volk, welches in
seinen Forschungen gewöhnlich andere Wege geht als Aerzte und Philosophen, be¬
hauptet, die Trotteln seien Abkömmlinge eines verstockten altheidnischen Drniden-
geschlechts, welches vor zwei tausend Jahren hier seinen Götzen Menschen opferte.
Zur Strafe dafür müssen die Urenkel jener Priester noch hentzutage dem schonen
altchristlichen Menschenschlag im Gebirge als Folie dienen. Ich wünschte nur, die
modernen Druiden, welche zwar nicht Mcnschenleiber opfern, aber Seele und Ver¬
stand des Volles gern verkrüppeln, würden zur Vergeltung selbst ein wenig mit
Cretinismus geschlagen. Uebrigens ist der Kropf nicht immer das Emblem des
Cretinismus, so wie es Trotteln gibt, die einen kleinen, oft ganz unmerklichen
Halsauswnchs tragen. Eine geheimnißvolle Beziehung mag wohl zwischen dein
geistigen und dem körperlichen Kropfthum walten, allein es gibt Gegenden, u o
keine Spur einer Wahlverwandtschaft zwischen beiden zu entdecken ist. Kennen Sie


7. Das Kropsthal

in Obersteiermark und die seltsame Geschichte, die sich vor mehr als zehn Jahren
dort zutrug? — Wer jemals, ans dem Tannenwald bei Zackl niedersteigend,
die blauen schöugezinnten, mit ewigem Schnee bedeckten Berge sah, die den süd¬
lichen Eingang des Kropfthales hüten, die zwanzig Bächlein, die in Schlcierfällen
von der Felskrone über der Alm niederschwebend, es in hundertfachen Windungen
durchädern, bald spannbreit, kaum fußtief und kristallweiß über einer Mosaik von
farbigen Kieseln rinnend, bald mit lasurblauen oder smaragdgrünen Wogen das
Mühlrad peitschend, — der wird, wenn er aus dem Geräusch der Welt sich in's
Hochland zurückziehen will, schwerlich ein reizenderes Asyl wünschen als dieses ab¬
gelegene Thal mit seinen fünf saubern Dörfern an der Berglehne. Die Kräuter
auf den Matten sind würziger, die Ziegen flinker und die Schafe mit feinerem
Vließ bekleidet als anderswo, die Bewohner des Thales jedoch sind mit Kröpfen



») Strubb heißt: Wasserfall.
Grenzboten. IV. 184».49
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[0388] Sackgasse und schließt mit dem Waldbachstrnbb, der mitten <ins der schließenden Felsmauer herausspringt. Lenauische Melancholie überkommt den Wandrer in dieser Einsamkeit, ans der ihn dann und wann nur das Geläut einer grasenden Kuh aufschreckt oder das Lallen des „Trottels" (Cretins), der ihm bettelnd die Zaunthüre öffnet und mit dem verschleierten Blick einer verwunschenen Kreatur ihn anstarrt. Sie sehen, bemerkte Don Jsidor, daß Ihre Ansicht von der edleren Natur der Alpenparadiese, wenigstens in Bezug auf den Mensche», falsch ist. nirgendswo in Flachlande vegetiren diese traurigen Zerrbilder unserer Race so massenhaft; der Blödsinn ist dort selten angeboren und erblich wie hier. Das Volk, welches in seinen Forschungen gewöhnlich andere Wege geht als Aerzte und Philosophen, be¬ hauptet, die Trotteln seien Abkömmlinge eines verstockten altheidnischen Drniden- geschlechts, welches vor zwei tausend Jahren hier seinen Götzen Menschen opferte. Zur Strafe dafür müssen die Urenkel jener Priester noch hentzutage dem schonen altchristlichen Menschenschlag im Gebirge als Folie dienen. Ich wünschte nur, die modernen Druiden, welche zwar nicht Mcnschenleiber opfern, aber Seele und Ver¬ stand des Volles gern verkrüppeln, würden zur Vergeltung selbst ein wenig mit Cretinismus geschlagen. Uebrigens ist der Kropf nicht immer das Emblem des Cretinismus, so wie es Trotteln gibt, die einen kleinen, oft ganz unmerklichen Halsauswnchs tragen. Eine geheimnißvolle Beziehung mag wohl zwischen dein geistigen und dem körperlichen Kropfthum walten, allein es gibt Gegenden, u o keine Spur einer Wahlverwandtschaft zwischen beiden zu entdecken ist. Kennen Sie 7. Das Kropsthal in Obersteiermark und die seltsame Geschichte, die sich vor mehr als zehn Jahren dort zutrug? — Wer jemals, ans dem Tannenwald bei Zackl niedersteigend, die blauen schöugezinnten, mit ewigem Schnee bedeckten Berge sah, die den süd¬ lichen Eingang des Kropfthales hüten, die zwanzig Bächlein, die in Schlcierfällen von der Felskrone über der Alm niederschwebend, es in hundertfachen Windungen durchädern, bald spannbreit, kaum fußtief und kristallweiß über einer Mosaik von farbigen Kieseln rinnend, bald mit lasurblauen oder smaragdgrünen Wogen das Mühlrad peitschend, — der wird, wenn er aus dem Geräusch der Welt sich in's Hochland zurückziehen will, schwerlich ein reizenderes Asyl wünschen als dieses ab¬ gelegene Thal mit seinen fünf saubern Dörfern an der Berglehne. Die Kräuter auf den Matten sind würziger, die Ziegen flinker und die Schafe mit feinerem Vließ bekleidet als anderswo, die Bewohner des Thales jedoch sind mit Kröpfen ») Strubb heißt: Wasserfall. Grenzboten. IV. 184».49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/388>, abgerufen am 15.01.2025.