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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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ließen, um in ihrer Erscheinung vollkommen zu sein. Wenn der Hof nächstens
die Bäder von Mehadia oder Nvhitsch oder sonst einen Sommeraufenthalt an den
Grenzen Kroatiens in Mode dringt, so werden dieselben Stutzer, welche jetzt die
derbe Biederkeit steyrischer Bergsöhne affcctiren wollen, sich als falsche Sercsaner
verkleiden, rothe Mäntel umhängen und breite Schlächtermesscr in ihren Gürtel
stecken. Warum nicht? Die Seresaner mit den langen Geierhälsen, gierigen
Blicken und Naubvogelgcsichtern sind auch Natursöhne und manche sentimentale
Anbeterin von Jellachich hat für ihre kindliche Einfalt zu schwärmen vermocht. Am
Ende aber sind die falschen Steyrer eine harmlose Karrikatur. Hatten wir nicht
Prinzen, die erst den falschen Czechen und dann den falschen Magyaren spielen
mußten? Das Spiel nahm een blutiges Ende, die Masken sind in den Flammen
der Revolution verbrannt, man wird keine neuen mehr zuschneiden, sondern Böh¬
men, Ungarn und bald auch Oestreich mit derselben ernsten Aufrichtigkeit begeg¬
nen, wie Polen und Italien, denen man von jeher das strenge Antlitz unverlarvt
gezeigt hat. Andere Zeiten, andere Waffen und -- Don Jsidor murmelte noch
etwas, allein der Wasserfall, welcher in der Nähe des Hauses mitten in das Berg-
städtchen herabstürzt, übertönte mit zornigem Tosen seine melancholisch gewordene
Stimme. -- Gute Nacht! -- --

schaurig sind die Straßen von Hallstadt, wenn ich diese tiefgefurchten, kiesligen,
aus- und absteigenden Rinnsale Straßen nennen soll. Manchmal führen hundert-
stnfige Steintreppen an der Dachseite des einen Häuschens zum Eingang des
höherlkgcnden und so fort. Hallstadt wäre ein treffliches Trappistenkloster; un¬
nahbar für Roß und Wagen, von einer Seite nur für den Habicht, die Gemse
oder den Bergsteiger, von allen andern nnr für Wellen und Nachen zugänglich,
schmiegt und gräbt es sich ängstlich in die Brust der hohen felsigen Bergmancr,
die in einem Halbkreis die größere Hälfte des Sees überschattet. Schmutz und
Armuth blicken aus Fenstern und Thüre". Bergstädte schmücken sich selten mit
den Schätzen, welche ihre Bewohner aus der Tiefe graben; aber die Armuth von
Hallein und Ebensee ist eine lachende Idylle gegen die Noth in Hallstadt. Nach
einvicrtelstündigem Klettern durch die Straßen des Ortes war unser kleines Geld
zu Ende, und scheu wie entflohene Verbrecher eilten wir dnrch die zahlreichen
dunklen Schwibbogen, verfolgt vom Geschrei und den ausgestreckten Händen wegc-
lagernder Bettler, zwerghafter Weiber und Cretins mit aufgedunsenen, mönchisch
wackelnden Köpfen, die aus jedem Schlupfwinkel hervorstürzten.

Wäre Hallstadt von Trappisten bewohnt, so könnte die enge Schlucht, die
hinter dem Orte tiefer in den Schooß des Berges führt, den passendsten Kloster¬
garten bilden. Das saftig grüne, aber düstere, föhrenranschende Thal, kaum vier¬
zig Fuß breit und von viertausend Fuß hohen Felswänden eingeschlossen , ist eine


ließen, um in ihrer Erscheinung vollkommen zu sein. Wenn der Hof nächstens
die Bäder von Mehadia oder Nvhitsch oder sonst einen Sommeraufenthalt an den
Grenzen Kroatiens in Mode dringt, so werden dieselben Stutzer, welche jetzt die
derbe Biederkeit steyrischer Bergsöhne affcctiren wollen, sich als falsche Sercsaner
verkleiden, rothe Mäntel umhängen und breite Schlächtermesscr in ihren Gürtel
stecken. Warum nicht? Die Seresaner mit den langen Geierhälsen, gierigen
Blicken und Naubvogelgcsichtern sind auch Natursöhne und manche sentimentale
Anbeterin von Jellachich hat für ihre kindliche Einfalt zu schwärmen vermocht. Am
Ende aber sind die falschen Steyrer eine harmlose Karrikatur. Hatten wir nicht
Prinzen, die erst den falschen Czechen und dann den falschen Magyaren spielen
mußten? Das Spiel nahm een blutiges Ende, die Masken sind in den Flammen
der Revolution verbrannt, man wird keine neuen mehr zuschneiden, sondern Böh¬
men, Ungarn und bald auch Oestreich mit derselben ernsten Aufrichtigkeit begeg¬
nen, wie Polen und Italien, denen man von jeher das strenge Antlitz unverlarvt
gezeigt hat. Andere Zeiten, andere Waffen und — Don Jsidor murmelte noch
etwas, allein der Wasserfall, welcher in der Nähe des Hauses mitten in das Berg-
städtchen herabstürzt, übertönte mit zornigem Tosen seine melancholisch gewordene
Stimme. — Gute Nacht! — —

schaurig sind die Straßen von Hallstadt, wenn ich diese tiefgefurchten, kiesligen,
aus- und absteigenden Rinnsale Straßen nennen soll. Manchmal führen hundert-
stnfige Steintreppen an der Dachseite des einen Häuschens zum Eingang des
höherlkgcnden und so fort. Hallstadt wäre ein treffliches Trappistenkloster; un¬
nahbar für Roß und Wagen, von einer Seite nur für den Habicht, die Gemse
oder den Bergsteiger, von allen andern nnr für Wellen und Nachen zugänglich,
schmiegt und gräbt es sich ängstlich in die Brust der hohen felsigen Bergmancr,
die in einem Halbkreis die größere Hälfte des Sees überschattet. Schmutz und
Armuth blicken aus Fenstern und Thüre». Bergstädte schmücken sich selten mit
den Schätzen, welche ihre Bewohner aus der Tiefe graben; aber die Armuth von
Hallein und Ebensee ist eine lachende Idylle gegen die Noth in Hallstadt. Nach
einvicrtelstündigem Klettern durch die Straßen des Ortes war unser kleines Geld
zu Ende, und scheu wie entflohene Verbrecher eilten wir dnrch die zahlreichen
dunklen Schwibbogen, verfolgt vom Geschrei und den ausgestreckten Händen wegc-
lagernder Bettler, zwerghafter Weiber und Cretins mit aufgedunsenen, mönchisch
wackelnden Köpfen, die aus jedem Schlupfwinkel hervorstürzten.

Wäre Hallstadt von Trappisten bewohnt, so könnte die enge Schlucht, die
hinter dem Orte tiefer in den Schooß des Berges führt, den passendsten Kloster¬
garten bilden. Das saftig grüne, aber düstere, föhrenranschende Thal, kaum vier¬
zig Fuß breit und von viertausend Fuß hohen Felswänden eingeschlossen , ist eine


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[0387] ließen, um in ihrer Erscheinung vollkommen zu sein. Wenn der Hof nächstens die Bäder von Mehadia oder Nvhitsch oder sonst einen Sommeraufenthalt an den Grenzen Kroatiens in Mode dringt, so werden dieselben Stutzer, welche jetzt die derbe Biederkeit steyrischer Bergsöhne affcctiren wollen, sich als falsche Sercsaner verkleiden, rothe Mäntel umhängen und breite Schlächtermesscr in ihren Gürtel stecken. Warum nicht? Die Seresaner mit den langen Geierhälsen, gierigen Blicken und Naubvogelgcsichtern sind auch Natursöhne und manche sentimentale Anbeterin von Jellachich hat für ihre kindliche Einfalt zu schwärmen vermocht. Am Ende aber sind die falschen Steyrer eine harmlose Karrikatur. Hatten wir nicht Prinzen, die erst den falschen Czechen und dann den falschen Magyaren spielen mußten? Das Spiel nahm een blutiges Ende, die Masken sind in den Flammen der Revolution verbrannt, man wird keine neuen mehr zuschneiden, sondern Böh¬ men, Ungarn und bald auch Oestreich mit derselben ernsten Aufrichtigkeit begeg¬ nen, wie Polen und Italien, denen man von jeher das strenge Antlitz unverlarvt gezeigt hat. Andere Zeiten, andere Waffen und — Don Jsidor murmelte noch etwas, allein der Wasserfall, welcher in der Nähe des Hauses mitten in das Berg- städtchen herabstürzt, übertönte mit zornigem Tosen seine melancholisch gewordene Stimme. — Gute Nacht! — — schaurig sind die Straßen von Hallstadt, wenn ich diese tiefgefurchten, kiesligen, aus- und absteigenden Rinnsale Straßen nennen soll. Manchmal führen hundert- stnfige Steintreppen an der Dachseite des einen Häuschens zum Eingang des höherlkgcnden und so fort. Hallstadt wäre ein treffliches Trappistenkloster; un¬ nahbar für Roß und Wagen, von einer Seite nur für den Habicht, die Gemse oder den Bergsteiger, von allen andern nnr für Wellen und Nachen zugänglich, schmiegt und gräbt es sich ängstlich in die Brust der hohen felsigen Bergmancr, die in einem Halbkreis die größere Hälfte des Sees überschattet. Schmutz und Armuth blicken aus Fenstern und Thüre». Bergstädte schmücken sich selten mit den Schätzen, welche ihre Bewohner aus der Tiefe graben; aber die Armuth von Hallein und Ebensee ist eine lachende Idylle gegen die Noth in Hallstadt. Nach einvicrtelstündigem Klettern durch die Straßen des Ortes war unser kleines Geld zu Ende, und scheu wie entflohene Verbrecher eilten wir dnrch die zahlreichen dunklen Schwibbogen, verfolgt vom Geschrei und den ausgestreckten Händen wegc- lagernder Bettler, zwerghafter Weiber und Cretins mit aufgedunsenen, mönchisch wackelnden Köpfen, die aus jedem Schlupfwinkel hervorstürzten. Wäre Hallstadt von Trappisten bewohnt, so könnte die enge Schlucht, die hinter dem Orte tiefer in den Schooß des Berges führt, den passendsten Kloster¬ garten bilden. Das saftig grüne, aber düstere, föhrenranschende Thal, kaum vier¬ zig Fuß breit und von viertausend Fuß hohen Felswänden eingeschlossen , ist eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/387>, abgerufen am 15.01.2025.