Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.planmäßig nachäfft, bis ihm die Larve zur Gesichtshaut geworden ist, - wie wi¬ Aus dieser Fäulniß der alten Wiener Zeit stammen auch die falschen Steyrer. *) Rechnungsrath Weis.
planmäßig nachäfft, bis ihm die Larve zur Gesichtshaut geworden ist, - wie wi¬ Aus dieser Fäulniß der alten Wiener Zeit stammen auch die falschen Steyrer. *) Rechnungsrath Weis.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279934"/> <p xml:id="ID_1373" prev="#ID_1372"> planmäßig nachäfft, bis ihm die Larve zur Gesichtshaut geworden ist, - wie wi¬<lb/> derlich! Das Beispiel des Kaisers war tonangebend. Aller Schaum sogenannter<lb/> Bildung in der Kaiserstadt wollte zum Volk gehören, Wienerisch wurde die diplo¬<lb/> matische Sprache der Bureaukratie und Armee; selbst die entnationalifirtcn Zu¬<lb/> zügler, die zu Tausenden jährlich nach Wien strömten, um dort im Glanz der<lb/> Hofsonne ihr Glück zu machen, radebrechteu und tarrilirtcu mit slavischer oder<lb/> halbslavischer Zunge die arglose Mundart. Der bestechliche, bis zum Blutsaugen<lb/> wucherische Beamte, der papageienhafte Gcldbarvn, der ehrlose Schmarotzer und der<lb/> herzlose Schlemmer, der hohe und niedere Spitzt, — sie Alle wußten zu Haus<lb/> und in der Fremde einen Firniß von Wiener Bonhommie sich aufzukl-ben, und nur<lb/> die Schönthuerei und Selbstgefälligkeit, mit der sie auf Herz oder Bauch schla¬<lb/> gend, mit ihrer Gemüthlichkeit prahlten, verrieth, daß sie gelernt war. In der<lb/> Literatur wurde diese Schauspielerei am ekelhaftesten vou Castelli und Haus Jor¬<lb/> ge!*) betrieben, die seit zwanzig Jahren gewohnt sind, in den Vorzimmern und<lb/> an den Tafeln der hohen und allerhöchsten Herrschaften, mit bauchredncrischer Ge-<lb/> wandheit, die Stimme des Volks draußen auf dem Lande nachzuäffen und zu<lb/> verfälschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1374" next="#ID_1375"> Aus dieser Fäulniß der alten Wiener Zeit stammen auch die falschen Steyrer.<lb/> Sie meinen dem löblichen Beispiel des Erzherzogs Johann nachzueifern, allein dieser<lb/> Prinz hat durch sein inniges Zusammenleben mit dem steyrischen Volk ein gewisses<lb/> Recht auf den groben Lodenrock erworben. Die falschen Steyrer hingegen sind<lb/> meist blasirte Gecken und Wüstlinge, reiche Juweliers - und Bankierssöhue aus der<lb/> Residenz, welche im Winter die falschen Wiener spielen. Im Sommer schlagen<lb/> sie ihr Hauptquartier in Anßce und Umgegend auf, stecken sich in grau-grüne<lb/> Wämser, enganliegende Kniehosen, farbige Strümpfe, Schuhe mit Schnallen, stül¬<lb/> pen den breitkrämpigen Spitzhut auf, umschwärmen den Hof und schwatzen das<lb/> reinste schwarzgelb. Der Mummenschanz sott ihre abgelebten Reize auffrischen,<lb/> und wenn sie durch die Straßen von Ischl steigen, werfen die männlichen Co-<lb/> qucttcu nach allen Fenstern und hinter alle Gardinen fragende Blicke, um sich zu<lb/> überzeugen, daß sie bemerkt werden. Im Jschler Kaffeehause werde» Sie zwei<lb/> falsche Steyrer finden, vierzigjährige Narren, welche in ihrer Maskerade so ge¬<lb/> wissenhaft sind, daß sie uuter dem Spitzhut, uach altsteyrischer Sitte, die schwarze<lb/> Schlafmütze, aus der Brusttasche die kleine stcyrische Fuhrmannspfeife und aus der<lb/> schmalen Seitentasche der Knichvse ein silberbeschlagenes Besteck Messer und Gabel<lb/> vorgucken lassen, natürlich ohne Pfeife oder Messer jemals zu brauche»; dafür<lb/> riechen sie nach Bisam und Moschus, glätten fleißig mit dem Kaninchen ihre<lb/> Bärte, begucken sich im Handspiegelchen und haben, wie Fränzel bemerkt, „gar<lb/> keine Waderl nit." Es fehlt wirklich nur, daß M sich falsche Kröpfe wachsen</p><lb/> <note xml:id="FID_23" place="foot"> *) Rechnungsrath Weis.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
planmäßig nachäfft, bis ihm die Larve zur Gesichtshaut geworden ist, - wie wi¬
derlich! Das Beispiel des Kaisers war tonangebend. Aller Schaum sogenannter
Bildung in der Kaiserstadt wollte zum Volk gehören, Wienerisch wurde die diplo¬
matische Sprache der Bureaukratie und Armee; selbst die entnationalifirtcn Zu¬
zügler, die zu Tausenden jährlich nach Wien strömten, um dort im Glanz der
Hofsonne ihr Glück zu machen, radebrechteu und tarrilirtcu mit slavischer oder
halbslavischer Zunge die arglose Mundart. Der bestechliche, bis zum Blutsaugen
wucherische Beamte, der papageienhafte Gcldbarvn, der ehrlose Schmarotzer und der
herzlose Schlemmer, der hohe und niedere Spitzt, — sie Alle wußten zu Haus
und in der Fremde einen Firniß von Wiener Bonhommie sich aufzukl-ben, und nur
die Schönthuerei und Selbstgefälligkeit, mit der sie auf Herz oder Bauch schla¬
gend, mit ihrer Gemüthlichkeit prahlten, verrieth, daß sie gelernt war. In der
Literatur wurde diese Schauspielerei am ekelhaftesten vou Castelli und Haus Jor¬
ge!*) betrieben, die seit zwanzig Jahren gewohnt sind, in den Vorzimmern und
an den Tafeln der hohen und allerhöchsten Herrschaften, mit bauchredncrischer Ge-
wandheit, die Stimme des Volks draußen auf dem Lande nachzuäffen und zu
verfälschen.
Aus dieser Fäulniß der alten Wiener Zeit stammen auch die falschen Steyrer.
Sie meinen dem löblichen Beispiel des Erzherzogs Johann nachzueifern, allein dieser
Prinz hat durch sein inniges Zusammenleben mit dem steyrischen Volk ein gewisses
Recht auf den groben Lodenrock erworben. Die falschen Steyrer hingegen sind
meist blasirte Gecken und Wüstlinge, reiche Juweliers - und Bankierssöhue aus der
Residenz, welche im Winter die falschen Wiener spielen. Im Sommer schlagen
sie ihr Hauptquartier in Anßce und Umgegend auf, stecken sich in grau-grüne
Wämser, enganliegende Kniehosen, farbige Strümpfe, Schuhe mit Schnallen, stül¬
pen den breitkrämpigen Spitzhut auf, umschwärmen den Hof und schwatzen das
reinste schwarzgelb. Der Mummenschanz sott ihre abgelebten Reize auffrischen,
und wenn sie durch die Straßen von Ischl steigen, werfen die männlichen Co-
qucttcu nach allen Fenstern und hinter alle Gardinen fragende Blicke, um sich zu
überzeugen, daß sie bemerkt werden. Im Jschler Kaffeehause werde» Sie zwei
falsche Steyrer finden, vierzigjährige Narren, welche in ihrer Maskerade so ge¬
wissenhaft sind, daß sie uuter dem Spitzhut, uach altsteyrischer Sitte, die schwarze
Schlafmütze, aus der Brusttasche die kleine stcyrische Fuhrmannspfeife und aus der
schmalen Seitentasche der Knichvse ein silberbeschlagenes Besteck Messer und Gabel
vorgucken lassen, natürlich ohne Pfeife oder Messer jemals zu brauche»; dafür
riechen sie nach Bisam und Moschus, glätten fleißig mit dem Kaninchen ihre
Bärte, begucken sich im Handspiegelchen und haben, wie Fränzel bemerkt, „gar
keine Waderl nit." Es fehlt wirklich nur, daß M sich falsche Kröpfe wachsen
*) Rechnungsrath Weis.
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