Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Reisetagebuch ans dem östreichischen Oberland. 3. Am Hallstädter See. "Du Kehnig von Sardinien, So schrie, von ihrem blinden Vater auf der Violine begleitet, die bleichsüch¬ Wenn ein Schwärmer, der eine neue Religion sucht, in's Alpenland stiege, 48*
Reisetagebuch ans dem östreichischen Oberland. 3. Am Hallstädter See. „Du Kehnig von Sardinien, So schrie, von ihrem blinden Vater auf der Violine begleitet, die bleichsüch¬ Wenn ein Schwärmer, der eine neue Religion sucht, in's Alpenland stiege, 48*
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Reisetagebuch ans dem östreichischen Oberland.
3. Am Hallstädter See.
„Du Kehnig von Sardinien,
Du bist an harter Moann!
D?r gnade Kaiser Ferdinand,
Was hat er Dir gcthoan?"
So schrie, von ihrem blinden Vater auf der Violine begleitet, die bleichsüch¬
tige Harfenistin bei Stadler in Hallstadt, während ich und mein Freund, Don
Jsidor Amabile, auf dem hölzernen Wirthshansaltan saßen, der über den See
hinaushängt, und den letzten Sonnenblick erhaschten, welcher ost schon um 4 Uhr
Nachmittags von dieser tiefen Schlucht Abschied nimmt. Die Schatten von Hall¬
stadt tauchten bis in die Mitte des schwarzgrünen Seespiegcls, dessen Breite ein
ungeübtes Auge nur an der winzigen Gestalt einiger mehrstöckigen Gebände am
entgegengesetzten Ufer erkennt; auf den Zinnen der steilen Felswand gegenüber
lag noch das Abendgold, und rosenroth glühten die einsamen Föhren auf einzel¬
nen Felssöllern, die nächsten nicht größer von Ansehen als mäßige Christbäum¬
chen, die fernsten nicht höher als junge Grashalme. Bald kam auch über sie der
Schatten und machte sie unsichtbar. Das Zwielicht gleicht hier einer sternlosen
Nacht und wir athmeten auf, als endlich die Mondsichel auf dem Hintergrund des
Sees zitterte. Mitten durch die Gestirne fuhren dann, zuweilen ein Dutzend Welt¬
körper auf einen Augenblick in Grund bohrend, heimkehrende Salinenarbeiter in
weißen Nachen; einige, mit Laternen an Bord gliche«, nach zwanzig Ruderschläger,
kleinen Leuchtkäfern, und zogen jedes zwei lauge auseinanderstrahlende Wasserfur¬
chen, silbernen Fühlfäden ähnlich, durch die Fluth.
Wenn ein Schwärmer, der eine neue Religion sucht, in's Alpenland stiege,
so könnte er auf den Gedanken kommen, das Wasser, wie der Parse das Feuer,
anzubeten. Gelehrte Theologen streiten darüber, ob Mosis Eden auf Ceylon lag
oder auf Haiti; gewiß ist jedenfalls, daß die ersten Menschen ans der Alm er¬
schaffen wurden. Eva war in der schönen jungfräulichen Zeit der ersten Liebe
eine jodelnde Sennerin; erst als sie mit Adam in den sorgenvollen Ehestand trat,
mußten beide in'ö Flachland niedersteigen, wo bald darauf Kain, der trotzige Bauer,
zu ackern anfing und Urvater der Civilisation "wurde. Ein Paradieses-Abglanz
ruht aber noch auf allen Hoch- und Alpenländer. Blume, Wald, Gestein und
Thier der Niederung sind nur eine gröbere, dust- und würzelosere Nachbildung
der Alpenschöpfung. Im Hochland findet sich alle Natur noch in ihrer ursprüng¬
lichen, idealeren Art. Die Schönheit des Paradieses offenbart sich aber vorzugs¬
weise in dem klaren, klangvollen Luftreich, in den Wassern und ihrem Spiel mit
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