Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Donauwörth und in Nürnberg während der Versammlung auf dem Judenbühl, kehrte
aber sehr bald und sehr gründlich von allen radicalen Gedanken, jedoch nicht zur
Zucht und Ordnung zurück. Im Gegentheil sind die Excesse der guten Wittelsbachischen
Soldaten seitdem noch toller, noch häufiger geworden. In einigen Gegenden von
Franken, z. B. unterhalb Würzburg war das Uebel so arg und die Klagen der Of¬
fiziere und Einwohner so stark, daß man die Truppen fortwährend auf dem Marsch
von einer Garnison in die andere hielt und sie kaum einen oder zwei Tage an
demselben Orte ließ. Das half einige Zeit, bis die Soldaten die Absicht merk¬
ten und ihre Excesse nun anch während des Marsches begingen. Daher hat man
in München auf andere Mittel denken müssen. Das Hauptsächlichste besteht in ei¬
nem Erlaß des Kriegsministeriums, wonach alle Offiziere, vom Obersten bis herab
zum Junker, bei jeder Gelegenheit, die der Dienst bietet, z. B. bei der Wachpa¬
rade, Appell ?c. in ein-noro und nicht blos die eigentlich Dienstlichbeschästigten von
den Soldaten erscheinen sollen, "damit," wie es dort heißt, "sich diese an ihre
Vorgesetzten gewöhnen und anschließen lernen und auf solche Weise ein eigenes auf
persönliche Achtung gegründetes Band den Soldaten mit dem Offiziere zusammen¬
halte." Nach gewöhnlichem Menschenbegriff ist freilich schwer einzusehen, inwiefern
der tägliche Anblick por so und so viel Offizieren, die in Mantel und Kasquet auf
einem Haufen zusammenstehen und über dies und jenes schwatzen, förderlich auf
die Herstellung der zerrütteten Disciplin wirken soll. Indessen scheint man in
München doch große Hoffnung ans diese "Wiederherstellung der Zucht von innen
heraus" zu setzen, was daraus hervorgeht, daß man die sonst in ähnlichen Fällen
gewöhnlichen Mittel verschmäht. Die böse Welt sagt, wenn man sich dort nicht
so sehr vor dem Leibregimente nud den Kuirassieren in der Stadt fürchtete, die
schon einigemale förmlich den Gehorsam aufsagten, so würde man wohl wieder zu
der angestammten bairischen Erbweisheit, d. h. tüchtige Schläge und harten Arrest
zurückkehren. -- Genug, die Auflösung der Disciplin bei den fränkischen Truppen
ist eine Thatsache, die Jedem, nicht blos dem Einheimischen sehr störend entgegen-
tritt, denn es thut wirklich Noth, den Vertheidigern des Thrones so weit man
nur kann aus dem Wege zu gehen. Man kann so leicht durch irgeud ein Ver¬
sehen ihren Zorn reizen oder auch ohne alle Verschuldung, blos weil man das erste
zufällig sich darbietende Object ist, auf welches eine angetrunkene und rauflustige
Horde blauweißer Krieger stößt, sehr übel mitgenommen werden. Solche Fälle
werden dann möglichst vertuscht; an eine energische Bestrafung der Soldaten denkt
Niemand, ja es wird sogar übel vermerkt, wenn sich die Localblätter zu viel und
zu gründlich damit beschäftigen. Und doch haben diese, bei der Strenge, mit der
die provisorischen Preßgesetze gehandhabt werden und bei der allgemeinen Abgunst
des Publikums gegen die größeren politischen Tagesfragen wohl keinen besseren
und verhältnißmäßig unschuldigeren Stoff, als solche tragikomische Aeußeruugen
des Royalismus der bairischen Armee.


Donauwörth und in Nürnberg während der Versammlung auf dem Judenbühl, kehrte
aber sehr bald und sehr gründlich von allen radicalen Gedanken, jedoch nicht zur
Zucht und Ordnung zurück. Im Gegentheil sind die Excesse der guten Wittelsbachischen
Soldaten seitdem noch toller, noch häufiger geworden. In einigen Gegenden von
Franken, z. B. unterhalb Würzburg war das Uebel so arg und die Klagen der Of¬
fiziere und Einwohner so stark, daß man die Truppen fortwährend auf dem Marsch
von einer Garnison in die andere hielt und sie kaum einen oder zwei Tage an
demselben Orte ließ. Das half einige Zeit, bis die Soldaten die Absicht merk¬
ten und ihre Excesse nun anch während des Marsches begingen. Daher hat man
in München auf andere Mittel denken müssen. Das Hauptsächlichste besteht in ei¬
nem Erlaß des Kriegsministeriums, wonach alle Offiziere, vom Obersten bis herab
zum Junker, bei jeder Gelegenheit, die der Dienst bietet, z. B. bei der Wachpa¬
rade, Appell ?c. in ein-noro und nicht blos die eigentlich Dienstlichbeschästigten von
den Soldaten erscheinen sollen, „damit," wie es dort heißt, „sich diese an ihre
Vorgesetzten gewöhnen und anschließen lernen und auf solche Weise ein eigenes auf
persönliche Achtung gegründetes Band den Soldaten mit dem Offiziere zusammen¬
halte." Nach gewöhnlichem Menschenbegriff ist freilich schwer einzusehen, inwiefern
der tägliche Anblick por so und so viel Offizieren, die in Mantel und Kasquet auf
einem Haufen zusammenstehen und über dies und jenes schwatzen, förderlich auf
die Herstellung der zerrütteten Disciplin wirken soll. Indessen scheint man in
München doch große Hoffnung ans diese „Wiederherstellung der Zucht von innen
heraus" zu setzen, was daraus hervorgeht, daß man die sonst in ähnlichen Fällen
gewöhnlichen Mittel verschmäht. Die böse Welt sagt, wenn man sich dort nicht
so sehr vor dem Leibregimente nud den Kuirassieren in der Stadt fürchtete, die
schon einigemale förmlich den Gehorsam aufsagten, so würde man wohl wieder zu
der angestammten bairischen Erbweisheit, d. h. tüchtige Schläge und harten Arrest
zurückkehren. — Genug, die Auflösung der Disciplin bei den fränkischen Truppen
ist eine Thatsache, die Jedem, nicht blos dem Einheimischen sehr störend entgegen-
tritt, denn es thut wirklich Noth, den Vertheidigern des Thrones so weit man
nur kann aus dem Wege zu gehen. Man kann so leicht durch irgeud ein Ver¬
sehen ihren Zorn reizen oder auch ohne alle Verschuldung, blos weil man das erste
zufällig sich darbietende Object ist, auf welches eine angetrunkene und rauflustige
Horde blauweißer Krieger stößt, sehr übel mitgenommen werden. Solche Fälle
werden dann möglichst vertuscht; an eine energische Bestrafung der Soldaten denkt
Niemand, ja es wird sogar übel vermerkt, wenn sich die Localblätter zu viel und
zu gründlich damit beschäftigen. Und doch haben diese, bei der Strenge, mit der
die provisorischen Preßgesetze gehandhabt werden und bei der allgemeinen Abgunst
des Publikums gegen die größeren politischen Tagesfragen wohl keinen besseren
und verhältnißmäßig unschuldigeren Stoff, als solche tragikomische Aeußeruugen
des Royalismus der bairischen Armee.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279929"/>
          <p xml:id="ID_1359" prev="#ID_1358"> Donauwörth und in Nürnberg während der Versammlung auf dem Judenbühl, kehrte<lb/>
aber sehr bald und sehr gründlich von allen radicalen Gedanken, jedoch nicht zur<lb/>
Zucht und Ordnung zurück. Im Gegentheil sind die Excesse der guten Wittelsbachischen<lb/>
Soldaten seitdem noch toller, noch häufiger geworden. In einigen Gegenden von<lb/>
Franken, z. B. unterhalb Würzburg war das Uebel so arg und die Klagen der Of¬<lb/>
fiziere und Einwohner so stark, daß man die Truppen fortwährend auf dem Marsch<lb/>
von einer Garnison in die andere hielt und sie kaum einen oder zwei Tage an<lb/>
demselben Orte ließ. Das half einige Zeit, bis die Soldaten die Absicht merk¬<lb/>
ten und ihre Excesse nun anch während des Marsches begingen. Daher hat man<lb/>
in München auf andere Mittel denken müssen. Das Hauptsächlichste besteht in ei¬<lb/>
nem Erlaß des Kriegsministeriums, wonach alle Offiziere, vom Obersten bis herab<lb/>
zum Junker, bei jeder Gelegenheit, die der Dienst bietet, z. B. bei der Wachpa¬<lb/>
rade, Appell ?c. in ein-noro und nicht blos die eigentlich Dienstlichbeschästigten von<lb/>
den Soldaten erscheinen sollen, &#x201E;damit," wie es dort heißt, &#x201E;sich diese an ihre<lb/>
Vorgesetzten gewöhnen und anschließen lernen und auf solche Weise ein eigenes auf<lb/>
persönliche Achtung gegründetes Band den Soldaten mit dem Offiziere zusammen¬<lb/>
halte." Nach gewöhnlichem Menschenbegriff ist freilich schwer einzusehen, inwiefern<lb/>
der tägliche Anblick por so und so viel Offizieren, die in Mantel und Kasquet auf<lb/>
einem Haufen zusammenstehen und über dies und jenes schwatzen, förderlich auf<lb/>
die Herstellung der zerrütteten Disciplin wirken soll. Indessen scheint man in<lb/>
München doch große Hoffnung ans diese &#x201E;Wiederherstellung der Zucht von innen<lb/>
heraus" zu setzen, was daraus hervorgeht, daß man die sonst in ähnlichen Fällen<lb/>
gewöhnlichen Mittel verschmäht. Die böse Welt sagt, wenn man sich dort nicht<lb/>
so sehr vor dem Leibregimente nud den Kuirassieren in der Stadt fürchtete, die<lb/>
schon einigemale förmlich den Gehorsam aufsagten, so würde man wohl wieder zu<lb/>
der angestammten bairischen Erbweisheit, d. h. tüchtige Schläge und harten Arrest<lb/>
zurückkehren. &#x2014; Genug, die Auflösung der Disciplin bei den fränkischen Truppen<lb/>
ist eine Thatsache, die Jedem, nicht blos dem Einheimischen sehr störend entgegen-<lb/>
tritt, denn es thut wirklich Noth, den Vertheidigern des Thrones so weit man<lb/>
nur kann aus dem Wege zu gehen. Man kann so leicht durch irgeud ein Ver¬<lb/>
sehen ihren Zorn reizen oder auch ohne alle Verschuldung, blos weil man das erste<lb/>
zufällig sich darbietende Object ist, auf welches eine angetrunkene und rauflustige<lb/>
Horde blauweißer Krieger stößt, sehr übel mitgenommen werden. Solche Fälle<lb/>
werden dann möglichst vertuscht; an eine energische Bestrafung der Soldaten denkt<lb/>
Niemand, ja es wird sogar übel vermerkt, wenn sich die Localblätter zu viel und<lb/>
zu gründlich damit beschäftigen. Und doch haben diese, bei der Strenge, mit der<lb/>
die provisorischen Preßgesetze gehandhabt werden und bei der allgemeinen Abgunst<lb/>
des Publikums gegen die größeren politischen Tagesfragen wohl keinen besseren<lb/>
und verhältnißmäßig unschuldigeren Stoff, als solche tragikomische Aeußeruugen<lb/>
des Royalismus der bairischen Armee.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] Donauwörth und in Nürnberg während der Versammlung auf dem Judenbühl, kehrte aber sehr bald und sehr gründlich von allen radicalen Gedanken, jedoch nicht zur Zucht und Ordnung zurück. Im Gegentheil sind die Excesse der guten Wittelsbachischen Soldaten seitdem noch toller, noch häufiger geworden. In einigen Gegenden von Franken, z. B. unterhalb Würzburg war das Uebel so arg und die Klagen der Of¬ fiziere und Einwohner so stark, daß man die Truppen fortwährend auf dem Marsch von einer Garnison in die andere hielt und sie kaum einen oder zwei Tage an demselben Orte ließ. Das half einige Zeit, bis die Soldaten die Absicht merk¬ ten und ihre Excesse nun anch während des Marsches begingen. Daher hat man in München auf andere Mittel denken müssen. Das Hauptsächlichste besteht in ei¬ nem Erlaß des Kriegsministeriums, wonach alle Offiziere, vom Obersten bis herab zum Junker, bei jeder Gelegenheit, die der Dienst bietet, z. B. bei der Wachpa¬ rade, Appell ?c. in ein-noro und nicht blos die eigentlich Dienstlichbeschästigten von den Soldaten erscheinen sollen, „damit," wie es dort heißt, „sich diese an ihre Vorgesetzten gewöhnen und anschließen lernen und auf solche Weise ein eigenes auf persönliche Achtung gegründetes Band den Soldaten mit dem Offiziere zusammen¬ halte." Nach gewöhnlichem Menschenbegriff ist freilich schwer einzusehen, inwiefern der tägliche Anblick por so und so viel Offizieren, die in Mantel und Kasquet auf einem Haufen zusammenstehen und über dies und jenes schwatzen, förderlich auf die Herstellung der zerrütteten Disciplin wirken soll. Indessen scheint man in München doch große Hoffnung ans diese „Wiederherstellung der Zucht von innen heraus" zu setzen, was daraus hervorgeht, daß man die sonst in ähnlichen Fällen gewöhnlichen Mittel verschmäht. Die böse Welt sagt, wenn man sich dort nicht so sehr vor dem Leibregimente nud den Kuirassieren in der Stadt fürchtete, die schon einigemale förmlich den Gehorsam aufsagten, so würde man wohl wieder zu der angestammten bairischen Erbweisheit, d. h. tüchtige Schläge und harten Arrest zurückkehren. — Genug, die Auflösung der Disciplin bei den fränkischen Truppen ist eine Thatsache, die Jedem, nicht blos dem Einheimischen sehr störend entgegen- tritt, denn es thut wirklich Noth, den Vertheidigern des Thrones so weit man nur kann aus dem Wege zu gehen. Man kann so leicht durch irgeud ein Ver¬ sehen ihren Zorn reizen oder auch ohne alle Verschuldung, blos weil man das erste zufällig sich darbietende Object ist, auf welches eine angetrunkene und rauflustige Horde blauweißer Krieger stößt, sehr übel mitgenommen werden. Solche Fälle werden dann möglichst vertuscht; an eine energische Bestrafung der Soldaten denkt Niemand, ja es wird sogar übel vermerkt, wenn sich die Localblätter zu viel und zu gründlich damit beschäftigen. Und doch haben diese, bei der Strenge, mit der die provisorischen Preßgesetze gehandhabt werden und bei der allgemeinen Abgunst des Publikums gegen die größeren politischen Tagesfragen wohl keinen besseren und verhältnißmäßig unschuldigeren Stoff, als solche tragikomische Aeußeruugen des Royalismus der bairischen Armee.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/381>, abgerufen am 15.01.2025.