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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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stärker und auffallender als an ander" Orten, auffallender deshalb, weil hier ja
nicht einmal eine große Explosion erfolgte, als deren natürlichen Rückschlag man
die gegenwärtige Lethargie ansehen könnte. Diese geht soweit, daß man sich um
das Schicksal der Gefangenen oder Flüchtigen (denn auch diese Provinz hat ihr
Contingent zu dem Flüchtlingshcere in der Schweiz geliefert), außerhalb der
Kreise der nächsten Angehörigen fast gar nicht kümmert. So ist der radicale Klopf¬
fechter Titus, für den im Anfang des Sommers noch halb Franken, vor allem
aber seine Vaterstadt Bamberg schwärmte, dort fast ganz verschollen. Ich konnte
selbst in Bamberg nur mit Mühe seinen nmihmaßlichen gegenwärtigen Aufenthalt
in der Schweiz erfahre". Wenn es so mit den Koryphäen steht, kann man sich
denke", daß der Plebs und die Proletarier der Agitation ganz aus dem Gedächt¬
nisse deö Volks aller Classen entschwunden sind. Ueberhaupt gemahnt es einen,
wenn man von jenen Maitagen reden hört, so, als versetzten sich die Sprechen¬
den in ihrer Erinnerung unwillkürlich in ein vergangenes Jahrhundert. Es klingt
kaum wie etwas selbst Erlebtes, was man da hört, von den tausend und aber
tausend tricoloren Fahnen, den Vivats sür die Republik Franken, von öffentlich
insultirten bairischen Wappen und Farben.

Im gegenwärtigen Augenblick möchte ich Niemand rathen auch nur mit einem
schwarzrvthgoldueu Uhrband oder mit einer anderen bescheidenen Dekoration, ge¬
schweige denn mit irgend einer revolutionär geformten und Cocarde-geschmückten
Kopfbedeckung sich dort sehen zu lasse". Entgeht er der bairischen Polizei und
Gensd'armerie, so risqnirt er die ärgsten Insulten bei der Soldateska und ent¬
geht er auch dieser durch seinen Glücksstern, so fällt er doch ohne Zweifel ir¬
gendwo in die Hände von Spießbürgern, die für die Ruhe fanatisirt sind und
jene Tracht als das Symbol des Gegentheils davon, zwar nicht mit Feuer und
Schwert, wohl aber mit Sottisen und Prügeln verfolge".

Als el"zige Neste des untergegangenen Blüthenalters der Demokratie sieht
man in einigen Mittelstädte" des LaildeS, z. B. Schweinfurt, Kitzingen, Kulm¬
bach hie und da eine bärtige oder uubärtige Gestalt ganz i" Sackleinwand costü-
mirt; ein grauer Hut mit einem mir noch unverständlichen Embleme geschmückt,
das mit seinen lebhaften Farben die sonstige Grausen des ganzen Wesens nicht
übel hebt, verräth unzweifelhaft daS Mitglied eines der zahlreichen Turnvereine,
die wie überall so auch hier uebe" dem Barren und Reck der Demokratie mit In¬
brunst und Andacht zugethan sind. Anderwärts z. B. am Rhein, wo sie bis zur
badischen Revolution am meisten flvrirten, müssen sie jetzt wieder in gewöhnlich
menschlicher Kleidung einhergehen; in Norddeutschland ist die Turuerci von 1848'
nicht heimisch geworden, so ist es also nur Franken, das in diesem Augenblick
noch echte Exemplare dieser nicht ganz uninteressanter culturhistorische" Erschei¬
nung darbietet. Sie sind hier freilich weder so zahlreich noch so bärbeißig, w?e
weiland die Hanauer n"d Mannheimer Turnschaar. Nach, de" authentische" An-


stärker und auffallender als an ander» Orten, auffallender deshalb, weil hier ja
nicht einmal eine große Explosion erfolgte, als deren natürlichen Rückschlag man
die gegenwärtige Lethargie ansehen könnte. Diese geht soweit, daß man sich um
das Schicksal der Gefangenen oder Flüchtigen (denn auch diese Provinz hat ihr
Contingent zu dem Flüchtlingshcere in der Schweiz geliefert), außerhalb der
Kreise der nächsten Angehörigen fast gar nicht kümmert. So ist der radicale Klopf¬
fechter Titus, für den im Anfang des Sommers noch halb Franken, vor allem
aber seine Vaterstadt Bamberg schwärmte, dort fast ganz verschollen. Ich konnte
selbst in Bamberg nur mit Mühe seinen nmihmaßlichen gegenwärtigen Aufenthalt
in der Schweiz erfahre». Wenn es so mit den Koryphäen steht, kann man sich
denke», daß der Plebs und die Proletarier der Agitation ganz aus dem Gedächt¬
nisse deö Volks aller Classen entschwunden sind. Ueberhaupt gemahnt es einen,
wenn man von jenen Maitagen reden hört, so, als versetzten sich die Sprechen¬
den in ihrer Erinnerung unwillkürlich in ein vergangenes Jahrhundert. Es klingt
kaum wie etwas selbst Erlebtes, was man da hört, von den tausend und aber
tausend tricoloren Fahnen, den Vivats sür die Republik Franken, von öffentlich
insultirten bairischen Wappen und Farben.

Im gegenwärtigen Augenblick möchte ich Niemand rathen auch nur mit einem
schwarzrvthgoldueu Uhrband oder mit einer anderen bescheidenen Dekoration, ge¬
schweige denn mit irgend einer revolutionär geformten und Cocarde-geschmückten
Kopfbedeckung sich dort sehen zu lasse». Entgeht er der bairischen Polizei und
Gensd'armerie, so risqnirt er die ärgsten Insulten bei der Soldateska und ent¬
geht er auch dieser durch seinen Glücksstern, so fällt er doch ohne Zweifel ir¬
gendwo in die Hände von Spießbürgern, die für die Ruhe fanatisirt sind und
jene Tracht als das Symbol des Gegentheils davon, zwar nicht mit Feuer und
Schwert, wohl aber mit Sottisen und Prügeln verfolge».

Als el»zige Neste des untergegangenen Blüthenalters der Demokratie sieht
man in einigen Mittelstädte» des LaildeS, z. B. Schweinfurt, Kitzingen, Kulm¬
bach hie und da eine bärtige oder uubärtige Gestalt ganz i» Sackleinwand costü-
mirt; ein grauer Hut mit einem mir noch unverständlichen Embleme geschmückt,
das mit seinen lebhaften Farben die sonstige Grausen des ganzen Wesens nicht
übel hebt, verräth unzweifelhaft daS Mitglied eines der zahlreichen Turnvereine,
die wie überall so auch hier uebe» dem Barren und Reck der Demokratie mit In¬
brunst und Andacht zugethan sind. Anderwärts z. B. am Rhein, wo sie bis zur
badischen Revolution am meisten flvrirten, müssen sie jetzt wieder in gewöhnlich
menschlicher Kleidung einhergehen; in Norddeutschland ist die Turuerci von 1848'
nicht heimisch geworden, so ist es also nur Franken, das in diesem Augenblick
noch echte Exemplare dieser nicht ganz uninteressanter culturhistorische» Erschei¬
nung darbietet. Sie sind hier freilich weder so zahlreich noch so bärbeißig, w?e
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/379>, abgerufen am 15.01.2025.