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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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und Erlangen wenigstens in achtunggebietender Minorität sich befand. Ihre Seele
war der treffliche Nationalökonom Stahl, eines der rührigsten Mitglieder der
Erbkaiserlichen in der Paulskirche. Die Majorität der Professoren und Studenten
in Erlangen, der Magistrat und die Blüthe der Nürnberger Gelehrsamkeit und
Bildung gehörten ihr zu. Auswärts täuschte man sich, wie ich selbst oft bemerkte,
gewöhnlich über die Stärke dieser Partei. Allerdings hatte sie die Elite der ge¬
bildeten Welt in Franken unter ihrem Banner und gebot damals über mehrere
Organe der Presse, aber alles in allem gerechnet zählte sie kaum einige hun¬
dert Köpfe.

So standen die Dinge in Franken, als die Kaiserwahl in Frankfurt und der
unglückselige 3. April in Berlin bekannt wurden. Beide Ereignisse folgten sich
so schnell auf einander, daß man sie als einen geschichtlichen Moment ansehen muß,
wenigstens war es hier in Franken so, wie sich jeder aus den Zeitungen jener Tage
überzeugen kann. Noch ehe man sich von dem Erstaunen über die Kühnheit deö
Parlaments erholt, ehe man noch einen Gesichtspunkt je nach der bisherigen poli¬
tischen Farbe gewinnen konnte, kam schon die Nachricht von dem schnöden Em¬
pfang der Deputation in Berlin.

Ganz folgerichtig begaun nun eine gewaltige Agitation für die Reichsverfas-
sung. Der preußische Kaiser, das Preußenthum überhaupt, war glücklich daraus be¬
seitigt, die inzwischen immer verhaßter gewordene Münchner Regiccung aber, wie jeder¬
mann wußte, ein Gegner der ganzen Verfassung mit und ohne den Kaiser; folg¬
lich bekämpfte man sie nun vou dieser Seite her mit einer Lebhaftigkeit, die bei
ängstlichen Seelen die Besorgnis; erweckte, daß der Mai IL4I" das nachholen
würde, was der März und April 1848 nicht gebracht hatten, d.h. eine förmliche
Revolutionirung des Landes. Volksversammlung folgte auf Volksversammlung
und wie natürlich wäre" die Reden und Beschlüsse jeder nächsten um einige Pro¬
zente radicaler und drohender als die der vorigen. Namentlich sah das alte
Nürnberg das tollste Treiben innerhalb und außerhalb seiner Mauern, das in der
berühmten Versammlung auf dem Judenbühl vom 13. Mai cnlminirte. Dort
hatten sich funfzigtausend Menschen aus allen Theilen deö Landes zusammenge¬
funden. Den Charakter erhielt diese monströse Masse durch das Nürnberger Pro¬
letariat, das innerhalb einiger Wochen von zwei oder drei vacirenden Literaten
tüchtig bearbeitet worden war. Die Ehre widerfuhr ihm zum ersten Male, kein
VZnnder, wenn es sich auf dem Judcnbühl dankbar dafür bewies. Ein v>r. Meyr,
wenn ich nicht irre derselbe, der am ". Februar in der Münchner zweiten Kam¬
mer durch eine feierliche Erklärung zu Protocoll dem Parlament den Gehorsam
""fgcknndigt hatte, ließ jetzt auf die Reichsverfassung "mit Gut und Blut" schwöre",
">>d die versammelten Tausende sprachen ihm den Schwur nach. Darauf wird
eine Adresse verlesen, als die "letzte Mahnung des Volkes der Franken an den
König der Baiern." Sie war entsprechend der Abstammung deö Genannten, mit


und Erlangen wenigstens in achtunggebietender Minorität sich befand. Ihre Seele
war der treffliche Nationalökonom Stahl, eines der rührigsten Mitglieder der
Erbkaiserlichen in der Paulskirche. Die Majorität der Professoren und Studenten
in Erlangen, der Magistrat und die Blüthe der Nürnberger Gelehrsamkeit und
Bildung gehörten ihr zu. Auswärts täuschte man sich, wie ich selbst oft bemerkte,
gewöhnlich über die Stärke dieser Partei. Allerdings hatte sie die Elite der ge¬
bildeten Welt in Franken unter ihrem Banner und gebot damals über mehrere
Organe der Presse, aber alles in allem gerechnet zählte sie kaum einige hun¬
dert Köpfe.

So standen die Dinge in Franken, als die Kaiserwahl in Frankfurt und der
unglückselige 3. April in Berlin bekannt wurden. Beide Ereignisse folgten sich
so schnell auf einander, daß man sie als einen geschichtlichen Moment ansehen muß,
wenigstens war es hier in Franken so, wie sich jeder aus den Zeitungen jener Tage
überzeugen kann. Noch ehe man sich von dem Erstaunen über die Kühnheit deö
Parlaments erholt, ehe man noch einen Gesichtspunkt je nach der bisherigen poli¬
tischen Farbe gewinnen konnte, kam schon die Nachricht von dem schnöden Em¬
pfang der Deputation in Berlin.

Ganz folgerichtig begaun nun eine gewaltige Agitation für die Reichsverfas-
sung. Der preußische Kaiser, das Preußenthum überhaupt, war glücklich daraus be¬
seitigt, die inzwischen immer verhaßter gewordene Münchner Regiccung aber, wie jeder¬
mann wußte, ein Gegner der ganzen Verfassung mit und ohne den Kaiser; folg¬
lich bekämpfte man sie nun vou dieser Seite her mit einer Lebhaftigkeit, die bei
ängstlichen Seelen die Besorgnis; erweckte, daß der Mai IL4I» das nachholen
würde, was der März und April 1848 nicht gebracht hatten, d.h. eine förmliche
Revolutionirung des Landes. Volksversammlung folgte auf Volksversammlung
und wie natürlich wäre» die Reden und Beschlüsse jeder nächsten um einige Pro¬
zente radicaler und drohender als die der vorigen. Namentlich sah das alte
Nürnberg das tollste Treiben innerhalb und außerhalb seiner Mauern, das in der
berühmten Versammlung auf dem Judenbühl vom 13. Mai cnlminirte. Dort
hatten sich funfzigtausend Menschen aus allen Theilen deö Landes zusammenge¬
funden. Den Charakter erhielt diese monströse Masse durch das Nürnberger Pro¬
letariat, das innerhalb einiger Wochen von zwei oder drei vacirenden Literaten
tüchtig bearbeitet worden war. Die Ehre widerfuhr ihm zum ersten Male, kein
VZnnder, wenn es sich auf dem Judcnbühl dankbar dafür bewies. Ein v>r. Meyr,
wenn ich nicht irre derselbe, der am ». Februar in der Münchner zweiten Kam¬
mer durch eine feierliche Erklärung zu Protocoll dem Parlament den Gehorsam
""fgcknndigt hatte, ließ jetzt auf die Reichsverfassung „mit Gut und Blut" schwöre»,
">>d die versammelten Tausende sprachen ihm den Schwur nach. Darauf wird
eine Adresse verlesen, als die „letzte Mahnung des Volkes der Franken an den
König der Baiern." Sie war entsprechend der Abstammung deö Genannten, mit


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[0376] und Erlangen wenigstens in achtunggebietender Minorität sich befand. Ihre Seele war der treffliche Nationalökonom Stahl, eines der rührigsten Mitglieder der Erbkaiserlichen in der Paulskirche. Die Majorität der Professoren und Studenten in Erlangen, der Magistrat und die Blüthe der Nürnberger Gelehrsamkeit und Bildung gehörten ihr zu. Auswärts täuschte man sich, wie ich selbst oft bemerkte, gewöhnlich über die Stärke dieser Partei. Allerdings hatte sie die Elite der ge¬ bildeten Welt in Franken unter ihrem Banner und gebot damals über mehrere Organe der Presse, aber alles in allem gerechnet zählte sie kaum einige hun¬ dert Köpfe. So standen die Dinge in Franken, als die Kaiserwahl in Frankfurt und der unglückselige 3. April in Berlin bekannt wurden. Beide Ereignisse folgten sich so schnell auf einander, daß man sie als einen geschichtlichen Moment ansehen muß, wenigstens war es hier in Franken so, wie sich jeder aus den Zeitungen jener Tage überzeugen kann. Noch ehe man sich von dem Erstaunen über die Kühnheit deö Parlaments erholt, ehe man noch einen Gesichtspunkt je nach der bisherigen poli¬ tischen Farbe gewinnen konnte, kam schon die Nachricht von dem schnöden Em¬ pfang der Deputation in Berlin. Ganz folgerichtig begaun nun eine gewaltige Agitation für die Reichsverfas- sung. Der preußische Kaiser, das Preußenthum überhaupt, war glücklich daraus be¬ seitigt, die inzwischen immer verhaßter gewordene Münchner Regiccung aber, wie jeder¬ mann wußte, ein Gegner der ganzen Verfassung mit und ohne den Kaiser; folg¬ lich bekämpfte man sie nun vou dieser Seite her mit einer Lebhaftigkeit, die bei ängstlichen Seelen die Besorgnis; erweckte, daß der Mai IL4I» das nachholen würde, was der März und April 1848 nicht gebracht hatten, d.h. eine förmliche Revolutionirung des Landes. Volksversammlung folgte auf Volksversammlung und wie natürlich wäre» die Reden und Beschlüsse jeder nächsten um einige Pro¬ zente radicaler und drohender als die der vorigen. Namentlich sah das alte Nürnberg das tollste Treiben innerhalb und außerhalb seiner Mauern, das in der berühmten Versammlung auf dem Judenbühl vom 13. Mai cnlminirte. Dort hatten sich funfzigtausend Menschen aus allen Theilen deö Landes zusammenge¬ funden. Den Charakter erhielt diese monströse Masse durch das Nürnberger Pro¬ letariat, das innerhalb einiger Wochen von zwei oder drei vacirenden Literaten tüchtig bearbeitet worden war. Die Ehre widerfuhr ihm zum ersten Male, kein VZnnder, wenn es sich auf dem Judcnbühl dankbar dafür bewies. Ein v>r. Meyr, wenn ich nicht irre derselbe, der am ». Februar in der Münchner zweiten Kam¬ mer durch eine feierliche Erklärung zu Protocoll dem Parlament den Gehorsam ""fgcknndigt hatte, ließ jetzt auf die Reichsverfassung „mit Gut und Blut" schwöre», ">>d die versammelten Tausende sprachen ihm den Schwur nach. Darauf wird eine Adresse verlesen, als die „letzte Mahnung des Volkes der Franken an den König der Baiern." Sie war entsprechend der Abstammung deö Genannten, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/376>, abgerufen am 15.01.2025.