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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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harten Wintern dringen Haufen von Wölfen sogar am hellen Tage in die Ort¬
schaften ein. Daß die Haushunde an den Ketten erwürgt und aufgezehrt, daß
am Morgen halbe Schafheerden in den luftigen, schlechtgebauten hölzernen Ställen
erwürgt gefunden, daß in einem Ueberfall mehrere Stücke Rindvieh, Schweine
oder Pferde auf der Weide zerrissen werden, ist gar keine Seltenheit
mehr. Die Negierung aber ließe lieber sämmtliche Grundbesitzer von den Wöl¬
fen auffressen als ihnen Schießgewehre in die Hand kommen. Auch der Versuch,
die Gewehre durch Windhunde entbehrlich zu machen, hat zwar die Zucht dieser
Hunde sehr gefördert, ist aber Raubthieren gegenüber ohne Erfolg gewesen. Und
deshalb sind viele Grundbesitzer, besonders in dem gebirgigen Gubernium Krakau
so wie in den sumpfigen Gubernieu Plock und Podlachien, auch die aus der süd¬
lichen Hälfte deS GroßfürstenthnmS Lithauen, welche zuweilen viele Quadratmeilen
Feld und Waldung besitzen, geradezu gezwungen, das Gewehrverbot zu übertre¬
ten. Gleichwohl wird bei deu Straferkenntnissen auf die Unfreiwilligkeit des Ver¬
brechens keine Rücksicht genommen, da die russische Krone Güter gern confiscire.
Aus diesen Gründen wird die Bestechlichkeit der Beamten so benutzt, daß es selten
zu einem Straferkenntniß kommt; mir wenigstens sind nur vier Fälle bekannt ge¬
worden. In jedem dieser Fälle wurde ohne langen Prozeß auf Vermogensconfiö-
cation, in zweien zugleich auf Verbannung nach Sibirien erkannt.

Oft aber ist die Bestechung selbst eine sehr harte Strafe. Ein Grundherr
unfern Kleine war, ohne eine Erlaubnißkarte zu haben, im Besitze von nicht weni¬
ger als nenn Jagdgewehren, und mochte vielleicht in seinen dichten Wäldern schon
Manche Jagd gehalten haben, als ihm in einem der letzten Jahre schien, sein
Verbrechen sei an den Kriegsguberuator, deu russischen Proviuzialkönig verrathen.
Er hielt es für rathsam., die Gewehre aus seinem kleinen Palaste zu entfernen
und auf eiuer entlegenen Wiese in einen Heuschober einbansen zu lassen. Allein
der Verräther, ein neu angenommener Kammerdiener, der muthmaßlich ein russischer
Spion war, befand sich in seinem Hause. Der Gubernator wußte sehr genau,
wo sich die verbotenen Waffen befanden. Eines Tags erschien er mit einem Ge¬
folge von vier Militnrfnhrwerken und forderte, daß ihm der Grundherr eben jenen
Heuschober käuflich ablasse. Vergebens suchte ihm dieser eine andere Heumasse
angenehm zu machen, vergebens pochte er endlich auf sein Eigenthumsrecht und
erklärte unwillig dem Gubernator überhaupt kein Heu verkaufen zu wollen. Die¬
ser legte eine Geldsumme auf den Tisch, führte unverweilt seine Geschirre an jenen
Schober, ließ ihn aufreißen und fand natürlich die Gewehre. Der Grund¬
herr konnte sich vor Vermögensconfiscation und Verbannung nur durch Beste¬
chung des Gubernators schützen. Dieser aber, der zum Heil des ganzen Guber-
niums wieder nach Ostrußland zurückversetzt worden ist, war ein erbitterter Feind
der Edelleute, daher war die Sache nicht mit einer Kleinigkeit abzumachen. Zwar
ließ er den Prozeß nicht aus seinem Gerichtsbcreiche kommen, jedoch geflissentlich so


harten Wintern dringen Haufen von Wölfen sogar am hellen Tage in die Ort¬
schaften ein. Daß die Haushunde an den Ketten erwürgt und aufgezehrt, daß
am Morgen halbe Schafheerden in den luftigen, schlechtgebauten hölzernen Ställen
erwürgt gefunden, daß in einem Ueberfall mehrere Stücke Rindvieh, Schweine
oder Pferde auf der Weide zerrissen werden, ist gar keine Seltenheit
mehr. Die Negierung aber ließe lieber sämmtliche Grundbesitzer von den Wöl¬
fen auffressen als ihnen Schießgewehre in die Hand kommen. Auch der Versuch,
die Gewehre durch Windhunde entbehrlich zu machen, hat zwar die Zucht dieser
Hunde sehr gefördert, ist aber Raubthieren gegenüber ohne Erfolg gewesen. Und
deshalb sind viele Grundbesitzer, besonders in dem gebirgigen Gubernium Krakau
so wie in den sumpfigen Gubernieu Plock und Podlachien, auch die aus der süd¬
lichen Hälfte deS GroßfürstenthnmS Lithauen, welche zuweilen viele Quadratmeilen
Feld und Waldung besitzen, geradezu gezwungen, das Gewehrverbot zu übertre¬
ten. Gleichwohl wird bei deu Straferkenntnissen auf die Unfreiwilligkeit des Ver¬
brechens keine Rücksicht genommen, da die russische Krone Güter gern confiscire.
Aus diesen Gründen wird die Bestechlichkeit der Beamten so benutzt, daß es selten
zu einem Straferkenntniß kommt; mir wenigstens sind nur vier Fälle bekannt ge¬
worden. In jedem dieser Fälle wurde ohne langen Prozeß auf Vermogensconfiö-
cation, in zweien zugleich auf Verbannung nach Sibirien erkannt.

Oft aber ist die Bestechung selbst eine sehr harte Strafe. Ein Grundherr
unfern Kleine war, ohne eine Erlaubnißkarte zu haben, im Besitze von nicht weni¬
ger als nenn Jagdgewehren, und mochte vielleicht in seinen dichten Wäldern schon
Manche Jagd gehalten haben, als ihm in einem der letzten Jahre schien, sein
Verbrechen sei an den Kriegsguberuator, deu russischen Proviuzialkönig verrathen.
Er hielt es für rathsam., die Gewehre aus seinem kleinen Palaste zu entfernen
und auf eiuer entlegenen Wiese in einen Heuschober einbansen zu lassen. Allein
der Verräther, ein neu angenommener Kammerdiener, der muthmaßlich ein russischer
Spion war, befand sich in seinem Hause. Der Gubernator wußte sehr genau,
wo sich die verbotenen Waffen befanden. Eines Tags erschien er mit einem Ge¬
folge von vier Militnrfnhrwerken und forderte, daß ihm der Grundherr eben jenen
Heuschober käuflich ablasse. Vergebens suchte ihm dieser eine andere Heumasse
angenehm zu machen, vergebens pochte er endlich auf sein Eigenthumsrecht und
erklärte unwillig dem Gubernator überhaupt kein Heu verkaufen zu wollen. Die¬
ser legte eine Geldsumme auf den Tisch, führte unverweilt seine Geschirre an jenen
Schober, ließ ihn aufreißen und fand natürlich die Gewehre. Der Grund¬
herr konnte sich vor Vermögensconfiscation und Verbannung nur durch Beste¬
chung des Gubernators schützen. Dieser aber, der zum Heil des ganzen Guber-
niums wieder nach Ostrußland zurückversetzt worden ist, war ein erbitterter Feind
der Edelleute, daher war die Sache nicht mit einer Kleinigkeit abzumachen. Zwar
ließ er den Prozeß nicht aus seinem Gerichtsbcreiche kommen, jedoch geflissentlich so


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[0368] harten Wintern dringen Haufen von Wölfen sogar am hellen Tage in die Ort¬ schaften ein. Daß die Haushunde an den Ketten erwürgt und aufgezehrt, daß am Morgen halbe Schafheerden in den luftigen, schlechtgebauten hölzernen Ställen erwürgt gefunden, daß in einem Ueberfall mehrere Stücke Rindvieh, Schweine oder Pferde auf der Weide zerrissen werden, ist gar keine Seltenheit mehr. Die Negierung aber ließe lieber sämmtliche Grundbesitzer von den Wöl¬ fen auffressen als ihnen Schießgewehre in die Hand kommen. Auch der Versuch, die Gewehre durch Windhunde entbehrlich zu machen, hat zwar die Zucht dieser Hunde sehr gefördert, ist aber Raubthieren gegenüber ohne Erfolg gewesen. Und deshalb sind viele Grundbesitzer, besonders in dem gebirgigen Gubernium Krakau so wie in den sumpfigen Gubernieu Plock und Podlachien, auch die aus der süd¬ lichen Hälfte deS GroßfürstenthnmS Lithauen, welche zuweilen viele Quadratmeilen Feld und Waldung besitzen, geradezu gezwungen, das Gewehrverbot zu übertre¬ ten. Gleichwohl wird bei deu Straferkenntnissen auf die Unfreiwilligkeit des Ver¬ brechens keine Rücksicht genommen, da die russische Krone Güter gern confiscire. Aus diesen Gründen wird die Bestechlichkeit der Beamten so benutzt, daß es selten zu einem Straferkenntniß kommt; mir wenigstens sind nur vier Fälle bekannt ge¬ worden. In jedem dieser Fälle wurde ohne langen Prozeß auf Vermogensconfiö- cation, in zweien zugleich auf Verbannung nach Sibirien erkannt. Oft aber ist die Bestechung selbst eine sehr harte Strafe. Ein Grundherr unfern Kleine war, ohne eine Erlaubnißkarte zu haben, im Besitze von nicht weni¬ ger als nenn Jagdgewehren, und mochte vielleicht in seinen dichten Wäldern schon Manche Jagd gehalten haben, als ihm in einem der letzten Jahre schien, sein Verbrechen sei an den Kriegsguberuator, deu russischen Proviuzialkönig verrathen. Er hielt es für rathsam., die Gewehre aus seinem kleinen Palaste zu entfernen und auf eiuer entlegenen Wiese in einen Heuschober einbansen zu lassen. Allein der Verräther, ein neu angenommener Kammerdiener, der muthmaßlich ein russischer Spion war, befand sich in seinem Hause. Der Gubernator wußte sehr genau, wo sich die verbotenen Waffen befanden. Eines Tags erschien er mit einem Ge¬ folge von vier Militnrfnhrwerken und forderte, daß ihm der Grundherr eben jenen Heuschober käuflich ablasse. Vergebens suchte ihm dieser eine andere Heumasse angenehm zu machen, vergebens pochte er endlich auf sein Eigenthumsrecht und erklärte unwillig dem Gubernator überhaupt kein Heu verkaufen zu wollen. Die¬ ser legte eine Geldsumme auf den Tisch, führte unverweilt seine Geschirre an jenen Schober, ließ ihn aufreißen und fand natürlich die Gewehre. Der Grund¬ herr konnte sich vor Vermögensconfiscation und Verbannung nur durch Beste¬ chung des Gubernators schützen. Dieser aber, der zum Heil des ganzen Guber- niums wieder nach Ostrußland zurückversetzt worden ist, war ein erbitterter Feind der Edelleute, daher war die Sache nicht mit einer Kleinigkeit abzumachen. Zwar ließ er den Prozeß nicht aus seinem Gerichtsbcreiche kommen, jedoch geflissentlich so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/368>, abgerufen am 15.01.2025.