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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Ich bin ein ältlicher Herr, dem diese Unruhe entsetzlich ist. Muß ich reisen,
so erlebe ich jedesmal traurige Dinge an mir. Meine Seele fällt zusammen, und
wird faltig wie ein Schlauch, in dem die Hitze den Wein austrocknet, ich werde
immer kleiner, immer einfältiger, am Ende einer Tagereise bin ich nur noch Packet,
Kollo, ein rundliches, unerkennbares Ding ohne eigenes Leben, ohne Selbststän-
digkeit, ich glaube auch meinen Namen habe ich manchmal vergesse" und es ist
mir passirt, daß ich meinen eigenen Regenmantel mechanisch untersucht habe, um
zu entdecken, welche Gepäcknummer mir aufgeklebt ist, und als ich keine fand,
wurde ich traurig, weil ich so gar keine Individualität mehr hatte. Ich bin ein
stiller Mann auf Reisen, ja und ich muß sagen, daß ich eine Art von canibali-
schem Vergnügen darin finde, mich selbst zu beobachten, wie ich immer kleiner
werde, wie ich einschrumpfe und endlich in ein glotzäugiges Nichts versinke. Wer
mich in diesen Betrachtungen stört, ist mein Feind; daher fürchte ich auf der
Eisenbahn zwei Arten von Menschen sehr, die Geschäftsreisenden, welche unauf¬
hörlich sprechen und fragen, weil ihnen jeder Reisende als ein zukünftiger Ge¬
schäftsfreund erscheint, und eine gewisse Art von Damen mit spitzer Nase und
schmalen Lippen. Es ist fürchterlich, welche Lebenskraft in einer solchen Dame
steckt, zu Hause leiden sie an Nerven, auf der Eisenbahn aber, wo an andern
ehrlichen Leuten das ganze Nervensystem herumhängt, wie die Saiten einer Geige,
die ihren Steg verloren hat, grade da werden sie ungeheuer munter, neugierig
und gesprächig. Diese Passagiere fürchte ich, und suche sie zu vermeiden. Und
außer ihnen noch den König von Preußen. Nicht sowohl den Herren selber, als
die Unterhaltung von ihm. -- Es gibt wenige Coupvs auf wenigen deutschen
Eisenbahnen, wo er nicht das immerwährende Zugpflaster sür jede Art von Unter¬
haltung abgeben muß. Nie hat es eine" Meuscheu gegeben, der so oft den See¬
lenfrieden stiller Passagiere gestört hat. Ueberall zuerst sein Name, dann Politi?,
dann Zank, Erbitterung, dann feindseliges Knurren, in die Ecke Drücken und
wüthende Blicke Schießen. -- Es ist unerträglich unter dem Kreuzfeuer solcher giftigen
Blicke als ruhiger uubetheiligter Mensch zu sitze", es ist mir einmal passirt, daß
mein seidenes Taschentuch, welches aus meinem Knie lag, seine blane Farbe in
häßliches Grün verwandelte, so viel Giftstoff war in dem Coupv.

Diesmal fuhr ich durch den Sand des Münsterlandes. Als ich einstieg,
musterten meine Blicke furchtsam das Coup"-. Ein Geschäftsreisender war nicht
darin, aber zwei Damen, die eine hatte eine spitze Nase. Ich schauderte, mir aHute
Unheil. Gott beschütze mich heut vor Friedrich Wilhelm IV., betete ich im Stillen.
Ich setzte mich, ich fing bereits an behaglich einzuschrumpfen. Da fiel mein träu¬
merischer Blick auf die Dame mit der spitzen Nase. Zwei spitze Augen sahen mich
spitzig an nud bohrten sich in mich hinein, -- ich war verloren, wie das Huhn
vor der Klapperschlange saß ich betäubt und unruhig. Allen andern Passagieren
ging es ebenso. Die spitzen Blicke flogen prüfend aus jede Gestalt und von Zeder-


Ich bin ein ältlicher Herr, dem diese Unruhe entsetzlich ist. Muß ich reisen,
so erlebe ich jedesmal traurige Dinge an mir. Meine Seele fällt zusammen, und
wird faltig wie ein Schlauch, in dem die Hitze den Wein austrocknet, ich werde
immer kleiner, immer einfältiger, am Ende einer Tagereise bin ich nur noch Packet,
Kollo, ein rundliches, unerkennbares Ding ohne eigenes Leben, ohne Selbststän-
digkeit, ich glaube auch meinen Namen habe ich manchmal vergesse» und es ist
mir passirt, daß ich meinen eigenen Regenmantel mechanisch untersucht habe, um
zu entdecken, welche Gepäcknummer mir aufgeklebt ist, und als ich keine fand,
wurde ich traurig, weil ich so gar keine Individualität mehr hatte. Ich bin ein
stiller Mann auf Reisen, ja und ich muß sagen, daß ich eine Art von canibali-
schem Vergnügen darin finde, mich selbst zu beobachten, wie ich immer kleiner
werde, wie ich einschrumpfe und endlich in ein glotzäugiges Nichts versinke. Wer
mich in diesen Betrachtungen stört, ist mein Feind; daher fürchte ich auf der
Eisenbahn zwei Arten von Menschen sehr, die Geschäftsreisenden, welche unauf¬
hörlich sprechen und fragen, weil ihnen jeder Reisende als ein zukünftiger Ge¬
schäftsfreund erscheint, und eine gewisse Art von Damen mit spitzer Nase und
schmalen Lippen. Es ist fürchterlich, welche Lebenskraft in einer solchen Dame
steckt, zu Hause leiden sie an Nerven, auf der Eisenbahn aber, wo an andern
ehrlichen Leuten das ganze Nervensystem herumhängt, wie die Saiten einer Geige,
die ihren Steg verloren hat, grade da werden sie ungeheuer munter, neugierig
und gesprächig. Diese Passagiere fürchte ich, und suche sie zu vermeiden. Und
außer ihnen noch den König von Preußen. Nicht sowohl den Herren selber, als
die Unterhaltung von ihm. — Es gibt wenige Coupvs auf wenigen deutschen
Eisenbahnen, wo er nicht das immerwährende Zugpflaster sür jede Art von Unter¬
haltung abgeben muß. Nie hat es eine» Meuscheu gegeben, der so oft den See¬
lenfrieden stiller Passagiere gestört hat. Ueberall zuerst sein Name, dann Politi?,
dann Zank, Erbitterung, dann feindseliges Knurren, in die Ecke Drücken und
wüthende Blicke Schießen. — Es ist unerträglich unter dem Kreuzfeuer solcher giftigen
Blicke als ruhiger uubetheiligter Mensch zu sitze», es ist mir einmal passirt, daß
mein seidenes Taschentuch, welches aus meinem Knie lag, seine blane Farbe in
häßliches Grün verwandelte, so viel Giftstoff war in dem Coupv.

Diesmal fuhr ich durch den Sand des Münsterlandes. Als ich einstieg,
musterten meine Blicke furchtsam das Coup«-. Ein Geschäftsreisender war nicht
darin, aber zwei Damen, die eine hatte eine spitze Nase. Ich schauderte, mir aHute
Unheil. Gott beschütze mich heut vor Friedrich Wilhelm IV., betete ich im Stillen.
Ich setzte mich, ich fing bereits an behaglich einzuschrumpfen. Da fiel mein träu¬
merischer Blick auf die Dame mit der spitzen Nase. Zwei spitze Augen sahen mich
spitzig an nud bohrten sich in mich hinein, — ich war verloren, wie das Huhn
vor der Klapperschlange saß ich betäubt und unruhig. Allen andern Passagieren
ging es ebenso. Die spitzen Blicke flogen prüfend aus jede Gestalt und von Zeder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/35>, abgerufen am 15.01.2025.