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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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und ironistren dann ihr eignes Davonlaufen, kurz, es hat sich im Wesentlichen
Nichts geändert. Das lernen wir aus jener Posse von Kalisch, die wenig Be¬
gebenheit, aber viel Maskerade enthält. Zuletzt kommt ein ganzer Maskenanzug
politischer Anspielungen.

Der Leipziger und der Meßfremde freute sich über die bunte Wirthschaft, ob¬
gleich die Schauspieler schlecht Berlinisch sprechen. Auch die politische Anspie¬
lung, die Witze auf den heiligen Dreikönigsbnnd und die schwarzweißen Glieder¬
männchen wurden mit glühendem Jnbel aufgenommen.

Woher kommt es, daß dergleichen Witze und der ihnen folgende Applaus
uns wie ein Stich durchs Herz gehn? Der Punch treibt es mit den politischen
Notabilitäten der stolzen Britannia viel ärger, und Niemand wird dadurch skan-
dalistrt. Parteiempfindung kann es auch uicht sein, denn die Satyre wird allen
Seiten gerecht, der Demokrat kann sich so wenig beschweren als der Treubündler.

Aber es ist freilich ein großer Unterschied zwischen den Späßen eines freien,
mächtigen Volks, und diesem ironischen Insichgehen einer Nation, die durch eignen
Unverstand zum zweiten Mal in den alten Zustand gefallen ist. Dies Lachen über
die eigene Erbärmlichkeit hat etwas Krampfhaftes, Unheimliches; es sieht nach
Blödsinn aus. Was ist das für eine Liebe, für ein Glaube gewesen in den trun¬
kenen Festtagen des vorigen Jahres, daß man jetzt schon im Stande ist, sich durch
Cynismus davon zu befreien! Das Elend nach der Schlacht bei Jena hat viel
närrische Erscheinungen eines excentrischen Patriotismus hervorgebracht, aber bei
alledem war doch viel sittliche Größe, selbst in den wüsten Träumereien der Ju¬
gend. Jetzt erfreut man sich über deu Hcldenransch des passiven Widerstandes,
man enthält sich der Wahlen und man lacht sich selber aus.

Deutsches Volk! Du hast zu früh Oden auf deine Größe gedichtet, zu früh
dich von dem Selbstgefühl souveräner Egoisten in den Wahn einfingen lassen, man
könne sich von seinen Fesseln befreien, wenn man ihrer spottet. Bußlieder sollt
ihr erdenken, ihr tapfern Poeten, Asche streuen auf euer Haupt, denn nur wer
seine Schmach tief empfindet, kann sich aus ihr erlösen.




Hhrenfiifche Loyalität auf der Eisenbahn.



Auf dem Bahnhof schnaubt die Riesenmaschine, Menschen und Koffer drängen
sich bunt durcheinander; es scheint unmöglich dies Chaos zu ordnen, einzupacken
und zur Ruhe zu bringen. Für den Abschicdsschmerz hat Niemand hier Zeit noch
Raum. Man kann sich nicht einmal nach den Zurückbleibenden umsehen, kein Tuch
winkt nach, kein Gruß wird nachgerufen. Die Idylle und der Roman, sonst treue
Reisebegleiter, sind durch die Dampfmaschine vertilgt. --


und ironistren dann ihr eignes Davonlaufen, kurz, es hat sich im Wesentlichen
Nichts geändert. Das lernen wir aus jener Posse von Kalisch, die wenig Be¬
gebenheit, aber viel Maskerade enthält. Zuletzt kommt ein ganzer Maskenanzug
politischer Anspielungen.

Der Leipziger und der Meßfremde freute sich über die bunte Wirthschaft, ob¬
gleich die Schauspieler schlecht Berlinisch sprechen. Auch die politische Anspie¬
lung, die Witze auf den heiligen Dreikönigsbnnd und die schwarzweißen Glieder¬
männchen wurden mit glühendem Jnbel aufgenommen.

Woher kommt es, daß dergleichen Witze und der ihnen folgende Applaus
uns wie ein Stich durchs Herz gehn? Der Punch treibt es mit den politischen
Notabilitäten der stolzen Britannia viel ärger, und Niemand wird dadurch skan-
dalistrt. Parteiempfindung kann es auch uicht sein, denn die Satyre wird allen
Seiten gerecht, der Demokrat kann sich so wenig beschweren als der Treubündler.

Aber es ist freilich ein großer Unterschied zwischen den Späßen eines freien,
mächtigen Volks, und diesem ironischen Insichgehen einer Nation, die durch eignen
Unverstand zum zweiten Mal in den alten Zustand gefallen ist. Dies Lachen über
die eigene Erbärmlichkeit hat etwas Krampfhaftes, Unheimliches; es sieht nach
Blödsinn aus. Was ist das für eine Liebe, für ein Glaube gewesen in den trun¬
kenen Festtagen des vorigen Jahres, daß man jetzt schon im Stande ist, sich durch
Cynismus davon zu befreien! Das Elend nach der Schlacht bei Jena hat viel
närrische Erscheinungen eines excentrischen Patriotismus hervorgebracht, aber bei
alledem war doch viel sittliche Größe, selbst in den wüsten Träumereien der Ju¬
gend. Jetzt erfreut man sich über deu Hcldenransch des passiven Widerstandes,
man enthält sich der Wahlen und man lacht sich selber aus.

Deutsches Volk! Du hast zu früh Oden auf deine Größe gedichtet, zu früh
dich von dem Selbstgefühl souveräner Egoisten in den Wahn einfingen lassen, man
könne sich von seinen Fesseln befreien, wenn man ihrer spottet. Bußlieder sollt
ihr erdenken, ihr tapfern Poeten, Asche streuen auf euer Haupt, denn nur wer
seine Schmach tief empfindet, kann sich aus ihr erlösen.




Hhrenfiifche Loyalität auf der Eisenbahn.



Auf dem Bahnhof schnaubt die Riesenmaschine, Menschen und Koffer drängen
sich bunt durcheinander; es scheint unmöglich dies Chaos zu ordnen, einzupacken
und zur Ruhe zu bringen. Für den Abschicdsschmerz hat Niemand hier Zeit noch
Raum. Man kann sich nicht einmal nach den Zurückbleibenden umsehen, kein Tuch
winkt nach, kein Gruß wird nachgerufen. Die Idylle und der Roman, sonst treue
Reisebegleiter, sind durch die Dampfmaschine vertilgt. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/34>, abgerufen am 15.01.2025.