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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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4. Juni ließ sich also vernehmen: "Warum gerade Baiern mit so großer Kon¬
sequenz darauf beharrt, daß Oestreich der Eintritt in Deutschland offen gehalten
werde? Als dritter Staat Deutschlands ist Baiern berufen, zwi¬
schen den Interessen der beiden großen Staatskörper zu vermit¬
teln." Ja wohl, ja wohl, Herr v. d. Pfordten! Er war damals noch nicht
ganz festgesottcuer Diplomat, er hatte noch etwas von der Natürlichkeit, die er
sich in Leipzig als livctvi- mi^iiilio"" zugelegt.

DaS also ist uns klar, Baiern will uicht, daß ein deutscher Bundesstaat
zu Stande komme.- Seit dem Beginn der deutschen Bewegung hat die baiersche
Regierung fast unausgesetzt die deutsche Einheit im Munde geführt, während sie
fortwährend Ränke gegen dieselbe schmiedete. Als wir noch in's Blaue hinein
nach "Einheit" riefen, ohne uns selbst zu verstehen, da sagte Baiern: "Ja, wir
wollen die deutsche Einheit, aber vergessen wir nicht, Baiern zu sein, Baiern wol¬
len wir sein und bleiben;" als wir aber ans dem angenehmen Rausche erwacht
waren nud die phantastische Einheit übersetzten durch "nationalen deutschen Staat,"
da fing Baiern an "Einheit" zu rufen, Einheit, Ganzheit, kein Deutschland ohne
Oestreich, kein Kleindeutschland" u. s. f. Wie schlau!

Nachdem die baiersche Regierung nicht mehr im Stande war, sich ihren Platz
in der deutschen Frage "offen" zu erhalte", hat sie sich ihr geradezu feindlich
entgegengestellt. Aber was ist es denn endlich, das Baiern will? wenn der Bun-
desstaat dennoch zu Stande kommt -- und mehr als jemals sind wir gegenwär¬
tig berechtigt, solcher Hoffnung Raum zu geben --was will Baiern dann? Baiern
will selbstständig, d. h. röllig souverän sein und die Hegemonie mindestens über
Südwestdelttschlaud haben. (5s wäre ein Kampf gegen Windmühlen, das Wider¬
sinnige solchen Strebens oder solcher Plane widerlegen zu wollen: Diejenigen, welche
daran glaube", würden ebensowenig durch bloße Ncruunftgründe überführt wer¬
den, als Leute, welche die mathematischen Grundsätze uicht -anerkennen, von der
Wahrheit derselbe" überzeugt werden würden. Der gemeine Mann in Baiern
glaubt nun einmal an jenen Widersinn, und Herr v. d. Pfordten, der getreue
Diener seines Herrn, welcher Herr ganz kurz nach seinem Regierungsantritte die
Devise: "Ich lasse mich nicht mediatisiren" sich gewählt hat, Herr v. d. Pfordten
thut wohlweislich, als ob er daran glaubte. Herr v. d. Pfordten sagt ganz naiv
in einer dem Verwaltungsräthe eingereichten Note: "Baiern bedarf des
Schutzes nicht." Warum uicht gar! Herr v. d. Pfordten ist zwar nur ein
gelernter Professor der Pandekten und braucht als solcher uicht viel Geschichte
Zu verstehen: aber verdienen denn die Edicte des nenrömischen Cäsaren nicht, de¬
nen der altrömischen, den Novellen, an die Seite gesetzt, als Anhang ihnen beige¬
fügt zu werden? Und weiß dieser Baier nicht, was diese Edicte sür Baiern zu
bedeuten hatten?weiß er nicht, daß sie ein Ausfluß des französischen "Schutzes"
waren? Und -- man verzeihe diese kleine Abweichung von dem zu Anfang aus-


4. Juni ließ sich also vernehmen: „Warum gerade Baiern mit so großer Kon¬
sequenz darauf beharrt, daß Oestreich der Eintritt in Deutschland offen gehalten
werde? Als dritter Staat Deutschlands ist Baiern berufen, zwi¬
schen den Interessen der beiden großen Staatskörper zu vermit¬
teln." Ja wohl, ja wohl, Herr v. d. Pfordten! Er war damals noch nicht
ganz festgesottcuer Diplomat, er hatte noch etwas von der Natürlichkeit, die er
sich in Leipzig als livctvi- mi^iiilio»« zugelegt.

DaS also ist uns klar, Baiern will uicht, daß ein deutscher Bundesstaat
zu Stande komme.- Seit dem Beginn der deutschen Bewegung hat die baiersche
Regierung fast unausgesetzt die deutsche Einheit im Munde geführt, während sie
fortwährend Ränke gegen dieselbe schmiedete. Als wir noch in's Blaue hinein
nach „Einheit" riefen, ohne uns selbst zu verstehen, da sagte Baiern: „Ja, wir
wollen die deutsche Einheit, aber vergessen wir nicht, Baiern zu sein, Baiern wol¬
len wir sein und bleiben;" als wir aber ans dem angenehmen Rausche erwacht
waren nud die phantastische Einheit übersetzten durch „nationalen deutschen Staat,"
da fing Baiern an „Einheit" zu rufen, Einheit, Ganzheit, kein Deutschland ohne
Oestreich, kein Kleindeutschland" u. s. f. Wie schlau!

Nachdem die baiersche Regierung nicht mehr im Stande war, sich ihren Platz
in der deutschen Frage „offen" zu erhalte», hat sie sich ihr geradezu feindlich
entgegengestellt. Aber was ist es denn endlich, das Baiern will? wenn der Bun-
desstaat dennoch zu Stande kommt — und mehr als jemals sind wir gegenwär¬
tig berechtigt, solcher Hoffnung Raum zu geben —was will Baiern dann? Baiern
will selbstständig, d. h. röllig souverän sein und die Hegemonie mindestens über
Südwestdelttschlaud haben. (5s wäre ein Kampf gegen Windmühlen, das Wider¬
sinnige solchen Strebens oder solcher Plane widerlegen zu wollen: Diejenigen, welche
daran glaube», würden ebensowenig durch bloße Ncruunftgründe überführt wer¬
den, als Leute, welche die mathematischen Grundsätze uicht -anerkennen, von der
Wahrheit derselbe» überzeugt werden würden. Der gemeine Mann in Baiern
glaubt nun einmal an jenen Widersinn, und Herr v. d. Pfordten, der getreue
Diener seines Herrn, welcher Herr ganz kurz nach seinem Regierungsantritte die
Devise: „Ich lasse mich nicht mediatisiren" sich gewählt hat, Herr v. d. Pfordten
thut wohlweislich, als ob er daran glaubte. Herr v. d. Pfordten sagt ganz naiv
in einer dem Verwaltungsräthe eingereichten Note: „Baiern bedarf des
Schutzes nicht." Warum uicht gar! Herr v. d. Pfordten ist zwar nur ein
gelernter Professor der Pandekten und braucht als solcher uicht viel Geschichte
Zu verstehen: aber verdienen denn die Edicte des nenrömischen Cäsaren nicht, de¬
nen der altrömischen, den Novellen, an die Seite gesetzt, als Anhang ihnen beige¬
fügt zu werden? Und weiß dieser Baier nicht, was diese Edicte sür Baiern zu
bedeuten hatten?weiß er nicht, daß sie ein Ausfluß des französischen „Schutzes"
waren? Und — man verzeihe diese kleine Abweichung von dem zu Anfang aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/338>, abgerufen am 15.01.2025.