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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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lieferungsweise edirt hat. Der baiersche "Entwurf von Grundzügen" wollte einen
Reichstag, zusammengesetzt aus den Bevollmächtigten der Einzelstaaten, die an die
Jnstructionen ihrer Regierungen gebunden seien und deren Beschlußfassung und
Abstimmung durch Vereinbarung der Einzelregierungen geordnet werde; an der
Spitze des Reichstages, also als wirkliche Ceutralregiernug im Gegensatze zu der
scheinbaren des Reichstages, ein Directorium, "bestehend aus den Regierungen
der drei größeren Staaten Deutschlands." Dagegen wurden die Grundrechte fast
unverändert aus dem Entwurfe der siebenzehn herübergenommen, es wurde also
gewährt: Freizügigkeit, allgemeines deutsches Staatsbürgerrecht, Aufhebung aller
Binnengrcnzzölle u. s. w. Heute stemmt sich Baiern gegen den Wegfall der Binnen-
greuzzöllc, gegen Freizügigkeit, gegen Aushebung der Familienfideicommisse und
gegen eine Reihe anderer freisinniger Artikel des preußischen Entwurfes mit nicht
minderer Macht als gegen die preußische Vorstandschaft im Bundesstaate.

Ein Hauptgrund aber, den Baiern geltend macht gegen die Gründung des
deutschen Bundesstaates, zu welchem Preußen jetzt die Hand bietet, ist der Aus¬
schluß Oestreichs. Daß mit Oestreich ein deutscher Bundesstaat nicht gegründet
werden kaun, das wissen wir, und lächerlich würde sich der machen, der hente
noch Beweise hiefür bringen wollte. Dazu war vor einem Jahre allenfalls noch
Zeit, heute nicht mehr. Es ist hente nicht mehr erlaubt, von der "Schwierigkeit
der Lösung der östreichischen Frage" zu reden, weil das gar keine Frage mehr
sein kann; es ist nicht mehr erlaubt, von den Schwierigkeiten einer Reise nach
dem Monde zu reden, seitdem das Gravitationögesetz erkannt ist. Mit Oestreich
den dentschen Staat gründen wollen, heißt eben nichts Anderes, als der Grün-
dung des deutschen Staates sich widersetzen, die Absicht aussprechen, ihn durch
einen Hokuspokns hinweg zu escamvtircu oder ihn zu ersetze" durch das alte
Reich, durch den alten Bund. -- Allein die Staatsmänner, d. h. die gelernten
Politiker in Baiern, Würtemberg, Hannover, Sachsen, wissen sie dies denn nicht
so gut wie wir? Gewiß wissen sie es, und eben weil sie es wissen, rufen sie
Oestreich, Oestreich! In Bezug ans Baiern, mit dem wir es vor der Hand allein
zu thun haben, können wir diesen Vernnnftschluß durch eine Thatsache erläutern.
Im December des vorigen Jahres ließ der bairische Hof durch den Prinzen Karl
in Potsdam anbieten, Oestreich ans dem deutsche" Bunde wegzulassen, wogegen
Preußen das Projekt der Dreiheit, an deren Spitze die Großmächte Preußen und
i/l5um loro-reif) Baiern stehen sollten, genehmigen möge. Als aber Preußen hier¬
auf sich nicht einlassen wollte, wurde der Freiherr v. Closen nach Olmütz gesandt,
un> für die Dreiheit mit Oestreich zu wirken. Seitdem erklärt Baiern Einheit
durch "Ganzheit," seitdem ist ein Verräther, wer von einem "Aufschlüsse Oest¬
reichs von Deutschland" redet. Denen, die sich ans die Sprache der Diplomatie
ein wenig versteh", hat übrigens Herr v. d. Pfordten bereits vor einem halben
Jahre gesagt, was Baiern eigentlich will. In der Sitzung der Abgeordneten vom


lieferungsweise edirt hat. Der baiersche „Entwurf von Grundzügen" wollte einen
Reichstag, zusammengesetzt aus den Bevollmächtigten der Einzelstaaten, die an die
Jnstructionen ihrer Regierungen gebunden seien und deren Beschlußfassung und
Abstimmung durch Vereinbarung der Einzelregierungen geordnet werde; an der
Spitze des Reichstages, also als wirkliche Ceutralregiernug im Gegensatze zu der
scheinbaren des Reichstages, ein Directorium, „bestehend aus den Regierungen
der drei größeren Staaten Deutschlands." Dagegen wurden die Grundrechte fast
unverändert aus dem Entwurfe der siebenzehn herübergenommen, es wurde also
gewährt: Freizügigkeit, allgemeines deutsches Staatsbürgerrecht, Aufhebung aller
Binnengrcnzzölle u. s. w. Heute stemmt sich Baiern gegen den Wegfall der Binnen-
greuzzöllc, gegen Freizügigkeit, gegen Aushebung der Familienfideicommisse und
gegen eine Reihe anderer freisinniger Artikel des preußischen Entwurfes mit nicht
minderer Macht als gegen die preußische Vorstandschaft im Bundesstaate.

Ein Hauptgrund aber, den Baiern geltend macht gegen die Gründung des
deutschen Bundesstaates, zu welchem Preußen jetzt die Hand bietet, ist der Aus¬
schluß Oestreichs. Daß mit Oestreich ein deutscher Bundesstaat nicht gegründet
werden kaun, das wissen wir, und lächerlich würde sich der machen, der hente
noch Beweise hiefür bringen wollte. Dazu war vor einem Jahre allenfalls noch
Zeit, heute nicht mehr. Es ist hente nicht mehr erlaubt, von der „Schwierigkeit
der Lösung der östreichischen Frage" zu reden, weil das gar keine Frage mehr
sein kann; es ist nicht mehr erlaubt, von den Schwierigkeiten einer Reise nach
dem Monde zu reden, seitdem das Gravitationögesetz erkannt ist. Mit Oestreich
den dentschen Staat gründen wollen, heißt eben nichts Anderes, als der Grün-
dung des deutschen Staates sich widersetzen, die Absicht aussprechen, ihn durch
einen Hokuspokns hinweg zu escamvtircu oder ihn zu ersetze» durch das alte
Reich, durch den alten Bund. — Allein die Staatsmänner, d. h. die gelernten
Politiker in Baiern, Würtemberg, Hannover, Sachsen, wissen sie dies denn nicht
so gut wie wir? Gewiß wissen sie es, und eben weil sie es wissen, rufen sie
Oestreich, Oestreich! In Bezug ans Baiern, mit dem wir es vor der Hand allein
zu thun haben, können wir diesen Vernnnftschluß durch eine Thatsache erläutern.
Im December des vorigen Jahres ließ der bairische Hof durch den Prinzen Karl
in Potsdam anbieten, Oestreich ans dem deutsche» Bunde wegzulassen, wogegen
Preußen das Projekt der Dreiheit, an deren Spitze die Großmächte Preußen und
i/l5um loro-reif) Baiern stehen sollten, genehmigen möge. Als aber Preußen hier¬
auf sich nicht einlassen wollte, wurde der Freiherr v. Closen nach Olmütz gesandt,
un> für die Dreiheit mit Oestreich zu wirken. Seitdem erklärt Baiern Einheit
durch „Ganzheit," seitdem ist ein Verräther, wer von einem „Aufschlüsse Oest¬
reichs von Deutschland" redet. Denen, die sich ans die Sprache der Diplomatie
ein wenig versteh», hat übrigens Herr v. d. Pfordten bereits vor einem halben
Jahre gesagt, was Baiern eigentlich will. In der Sitzung der Abgeordneten vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/337>, abgerufen am 15.01.2025.