Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gegen acht Uhr wälzte sich der größte Theil des Publikums nach dein Am¬
phitheater. Dies steht auf dem nördlichen Seeufer ungefähr zweihundert Schritte
von dem Schlosse entfernt. Die Plätze der Zuschauer befinden sich auf etwa sechs
Terrassen, welche zu der Höhe voll 4V Fuß aufstiegen und von einer Anzahl un¬
geheuerer sehr künstlicher Kreuzgewölbe getragen werden. Der ganze Ban bildet
einen Halbkreis, ist nicht überdeckt und entbehrt, einige sehr schlechte Sandstcin-
statuen abgerechnet, jedes Schmuckes; imponirt aber doch durch seine majestätische
Größe. Der tiefste innere Raum desselben, dessen Bänke ans farbigem Marmor
gemeißelt sind, dient ausschließlich dem Kaiser und dem Fürsten PaSkiewitsch. Dicht
vor ihm fällt das Ufer schön gemauert in den See hinab. In diesem liegt eine
kleine Insel und auf dieser erst die Bühne, deren Deckgewölbe von den lebendi¬
gen Blättern hoher herrlicher Ulmen gebildet wird.

Man gab eine der Schauvpern mit großem Ballet, welche in neurer Zeit
eigens für dieses Theater fabrizirt worden sind: "Die Rettung der Verwünschten."
Zuerst erschien eine einzelne Person, der erste Liebhaber und Held. Er steht sich
ans ein menschenleeres Eiland geschleudert, beklagt vor Gott sein jämmerliches
Schicksal und gelobt, sich nie an dem Reize holder Frauen zu erfreuen, wenn er nur
aus dieser traurigen Einsamkeit erlöst werde. Siehe, da naht ein Schiff, bis in
die Spitzen der Maste hinauf mit unzähligen bunten Lampen illuminirt. Es trägt
eine zahlreiche Bevölkerung, welche zum Theil in phantastischer Gruppirung und
Stellung hoch oben im Tauwerk hängt. Es läuft in die Bucht, den schmalen
Seearm zwischen der Insel-Bühne und dem eigentlichen Amphitheater ein, und
das Schiffsvolk springt freudenvoll ans das Eiland. Nun beginnt die eigentliche dra¬
matische Handlung. Jener unglückliche Robinson, der jetzt aus seiner schrecklichen
Einsamkeit erlöst wurde, ist in seinem Gelübde nicht taktfest; kaum hat er ein
reizendes Mädchen von der neuen Gesellschaft erblickt, als er sich zum Sterben in
sie verliebt, ihr mit Fußfall huldigt und sie bewegt, sich ihm zu versprechen. In
dem Augenblicke, wo dies geschieht, erbleicht die Braut und stirbt mit rosenfarbenen
Wangen. Ihre Freunde und Freundinnen, welche sie für ihren Glücks- und Leit¬
stern gehalten haben, gerathen darüber in maßlosen Jammer, ziehen ihr illnmi-
nirtcs Schiff wieder heran und fliehen das unheilvolle Eiland. So befindet sich
denn jener unglückliche Robinson wieder in seiner schrecklichen Einsamkeit. EM
einziges menschliches Wesen, seine Braut, ist bei ihm, aber sie ist todt. Da be¬
schwört er wieder den Gott, den Himmel und stehe, es steuert dasselbe illnniinirte
Schiff wieder aus dem Meere daher, aber jetzt schweben auf ihm schwarze Gestalten,
die für ein Leichenbegängnis) passen. Sie besteigen das Eiland, umringen die
Leiche, die auf einer Moosbank liegt, und da ein Weiser, den sie bei sich h^
ben, an den rosigen Wangen der Leiche gewahrt, daß sie keine wirkliche
Leiche, sondern nur wahrscheinlich aus Liebe in eine Erstarrung versunken ist,
so entfallen allen Umstehenden plötzlich die Trauermäntel und man erblickt das


Gegen acht Uhr wälzte sich der größte Theil des Publikums nach dein Am¬
phitheater. Dies steht auf dem nördlichen Seeufer ungefähr zweihundert Schritte
von dem Schlosse entfernt. Die Plätze der Zuschauer befinden sich auf etwa sechs
Terrassen, welche zu der Höhe voll 4V Fuß aufstiegen und von einer Anzahl un¬
geheuerer sehr künstlicher Kreuzgewölbe getragen werden. Der ganze Ban bildet
einen Halbkreis, ist nicht überdeckt und entbehrt, einige sehr schlechte Sandstcin-
statuen abgerechnet, jedes Schmuckes; imponirt aber doch durch seine majestätische
Größe. Der tiefste innere Raum desselben, dessen Bänke ans farbigem Marmor
gemeißelt sind, dient ausschließlich dem Kaiser und dem Fürsten PaSkiewitsch. Dicht
vor ihm fällt das Ufer schön gemauert in den See hinab. In diesem liegt eine
kleine Insel und auf dieser erst die Bühne, deren Deckgewölbe von den lebendi¬
gen Blättern hoher herrlicher Ulmen gebildet wird.

Man gab eine der Schauvpern mit großem Ballet, welche in neurer Zeit
eigens für dieses Theater fabrizirt worden sind: „Die Rettung der Verwünschten."
Zuerst erschien eine einzelne Person, der erste Liebhaber und Held. Er steht sich
ans ein menschenleeres Eiland geschleudert, beklagt vor Gott sein jämmerliches
Schicksal und gelobt, sich nie an dem Reize holder Frauen zu erfreuen, wenn er nur
aus dieser traurigen Einsamkeit erlöst werde. Siehe, da naht ein Schiff, bis in
die Spitzen der Maste hinauf mit unzähligen bunten Lampen illuminirt. Es trägt
eine zahlreiche Bevölkerung, welche zum Theil in phantastischer Gruppirung und
Stellung hoch oben im Tauwerk hängt. Es läuft in die Bucht, den schmalen
Seearm zwischen der Insel-Bühne und dem eigentlichen Amphitheater ein, und
das Schiffsvolk springt freudenvoll ans das Eiland. Nun beginnt die eigentliche dra¬
matische Handlung. Jener unglückliche Robinson, der jetzt aus seiner schrecklichen
Einsamkeit erlöst wurde, ist in seinem Gelübde nicht taktfest; kaum hat er ein
reizendes Mädchen von der neuen Gesellschaft erblickt, als er sich zum Sterben in
sie verliebt, ihr mit Fußfall huldigt und sie bewegt, sich ihm zu versprechen. In
dem Augenblicke, wo dies geschieht, erbleicht die Braut und stirbt mit rosenfarbenen
Wangen. Ihre Freunde und Freundinnen, welche sie für ihren Glücks- und Leit¬
stern gehalten haben, gerathen darüber in maßlosen Jammer, ziehen ihr illnmi-
nirtcs Schiff wieder heran und fliehen das unheilvolle Eiland. So befindet sich
denn jener unglückliche Robinson wieder in seiner schrecklichen Einsamkeit. EM
einziges menschliches Wesen, seine Braut, ist bei ihm, aber sie ist todt. Da be¬
schwört er wieder den Gott, den Himmel und stehe, es steuert dasselbe illnniinirte
Schiff wieder aus dem Meere daher, aber jetzt schweben auf ihm schwarze Gestalten,
die für ein Leichenbegängnis) passen. Sie besteigen das Eiland, umringen die
Leiche, die auf einer Moosbank liegt, und da ein Weiser, den sie bei sich h^
ben, an den rosigen Wangen der Leiche gewahrt, daß sie keine wirkliche
Leiche, sondern nur wahrscheinlich aus Liebe in eine Erstarrung versunken ist,
so entfallen allen Umstehenden plötzlich die Trauermäntel und man erblickt das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279879"/>
          <p xml:id="ID_1169"> Gegen acht Uhr wälzte sich der größte Theil des Publikums nach dein Am¬<lb/>
phitheater. Dies steht auf dem nördlichen Seeufer ungefähr zweihundert Schritte<lb/>
von dem Schlosse entfernt. Die Plätze der Zuschauer befinden sich auf etwa sechs<lb/>
Terrassen, welche zu der Höhe voll 4V Fuß aufstiegen und von einer Anzahl un¬<lb/>
geheuerer sehr künstlicher Kreuzgewölbe getragen werden. Der ganze Ban bildet<lb/>
einen Halbkreis, ist nicht überdeckt und entbehrt, einige sehr schlechte Sandstcin-<lb/>
statuen abgerechnet, jedes Schmuckes; imponirt aber doch durch seine majestätische<lb/>
Größe. Der tiefste innere Raum desselben, dessen Bänke ans farbigem Marmor<lb/>
gemeißelt sind, dient ausschließlich dem Kaiser und dem Fürsten PaSkiewitsch. Dicht<lb/>
vor ihm fällt das Ufer schön gemauert in den See hinab. In diesem liegt eine<lb/>
kleine Insel und auf dieser erst die Bühne, deren Deckgewölbe von den lebendi¬<lb/>
gen Blättern hoher herrlicher Ulmen gebildet wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170" next="#ID_1171"> Man gab eine der Schauvpern mit großem Ballet, welche in neurer Zeit<lb/>
eigens für dieses Theater fabrizirt worden sind: &#x201E;Die Rettung der Verwünschten."<lb/>
Zuerst erschien eine einzelne Person, der erste Liebhaber und Held. Er steht sich<lb/>
ans ein menschenleeres Eiland geschleudert, beklagt vor Gott sein jämmerliches<lb/>
Schicksal und gelobt, sich nie an dem Reize holder Frauen zu erfreuen, wenn er nur<lb/>
aus dieser traurigen Einsamkeit erlöst werde. Siehe, da naht ein Schiff, bis in<lb/>
die Spitzen der Maste hinauf mit unzähligen bunten Lampen illuminirt. Es trägt<lb/>
eine zahlreiche Bevölkerung, welche zum Theil in phantastischer Gruppirung und<lb/>
Stellung hoch oben im Tauwerk hängt. Es läuft in die Bucht, den schmalen<lb/>
Seearm zwischen der Insel-Bühne und dem eigentlichen Amphitheater ein, und<lb/>
das Schiffsvolk springt freudenvoll ans das Eiland. Nun beginnt die eigentliche dra¬<lb/>
matische Handlung. Jener unglückliche Robinson, der jetzt aus seiner schrecklichen<lb/>
Einsamkeit erlöst wurde, ist in seinem Gelübde nicht taktfest; kaum hat er ein<lb/>
reizendes Mädchen von der neuen Gesellschaft erblickt, als er sich zum Sterben in<lb/>
sie verliebt, ihr mit Fußfall huldigt und sie bewegt, sich ihm zu versprechen. In<lb/>
dem Augenblicke, wo dies geschieht, erbleicht die Braut und stirbt mit rosenfarbenen<lb/>
Wangen. Ihre Freunde und Freundinnen, welche sie für ihren Glücks- und Leit¬<lb/>
stern gehalten haben, gerathen darüber in maßlosen Jammer, ziehen ihr illnmi-<lb/>
nirtcs Schiff wieder heran und fliehen das unheilvolle Eiland. So befindet sich<lb/>
denn jener unglückliche Robinson wieder in seiner schrecklichen Einsamkeit. EM<lb/>
einziges menschliches Wesen, seine Braut, ist bei ihm, aber sie ist todt. Da be¬<lb/>
schwört er wieder den Gott, den Himmel und stehe, es steuert dasselbe illnniinirte<lb/>
Schiff wieder aus dem Meere daher, aber jetzt schweben auf ihm schwarze Gestalten,<lb/>
die für ein Leichenbegängnis) passen. Sie besteigen das Eiland, umringen die<lb/>
Leiche, die auf einer Moosbank liegt, und da ein Weiser, den sie bei sich h^<lb/>
ben, an den rosigen Wangen der Leiche gewahrt, daß sie keine wirkliche<lb/>
Leiche, sondern nur wahrscheinlich aus Liebe in eine Erstarrung versunken ist,<lb/>
so entfallen allen Umstehenden plötzlich die Trauermäntel und man erblickt das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] Gegen acht Uhr wälzte sich der größte Theil des Publikums nach dein Am¬ phitheater. Dies steht auf dem nördlichen Seeufer ungefähr zweihundert Schritte von dem Schlosse entfernt. Die Plätze der Zuschauer befinden sich auf etwa sechs Terrassen, welche zu der Höhe voll 4V Fuß aufstiegen und von einer Anzahl un¬ geheuerer sehr künstlicher Kreuzgewölbe getragen werden. Der ganze Ban bildet einen Halbkreis, ist nicht überdeckt und entbehrt, einige sehr schlechte Sandstcin- statuen abgerechnet, jedes Schmuckes; imponirt aber doch durch seine majestätische Größe. Der tiefste innere Raum desselben, dessen Bänke ans farbigem Marmor gemeißelt sind, dient ausschließlich dem Kaiser und dem Fürsten PaSkiewitsch. Dicht vor ihm fällt das Ufer schön gemauert in den See hinab. In diesem liegt eine kleine Insel und auf dieser erst die Bühne, deren Deckgewölbe von den lebendi¬ gen Blättern hoher herrlicher Ulmen gebildet wird. Man gab eine der Schauvpern mit großem Ballet, welche in neurer Zeit eigens für dieses Theater fabrizirt worden sind: „Die Rettung der Verwünschten." Zuerst erschien eine einzelne Person, der erste Liebhaber und Held. Er steht sich ans ein menschenleeres Eiland geschleudert, beklagt vor Gott sein jämmerliches Schicksal und gelobt, sich nie an dem Reize holder Frauen zu erfreuen, wenn er nur aus dieser traurigen Einsamkeit erlöst werde. Siehe, da naht ein Schiff, bis in die Spitzen der Maste hinauf mit unzähligen bunten Lampen illuminirt. Es trägt eine zahlreiche Bevölkerung, welche zum Theil in phantastischer Gruppirung und Stellung hoch oben im Tauwerk hängt. Es läuft in die Bucht, den schmalen Seearm zwischen der Insel-Bühne und dem eigentlichen Amphitheater ein, und das Schiffsvolk springt freudenvoll ans das Eiland. Nun beginnt die eigentliche dra¬ matische Handlung. Jener unglückliche Robinson, der jetzt aus seiner schrecklichen Einsamkeit erlöst wurde, ist in seinem Gelübde nicht taktfest; kaum hat er ein reizendes Mädchen von der neuen Gesellschaft erblickt, als er sich zum Sterben in sie verliebt, ihr mit Fußfall huldigt und sie bewegt, sich ihm zu versprechen. In dem Augenblicke, wo dies geschieht, erbleicht die Braut und stirbt mit rosenfarbenen Wangen. Ihre Freunde und Freundinnen, welche sie für ihren Glücks- und Leit¬ stern gehalten haben, gerathen darüber in maßlosen Jammer, ziehen ihr illnmi- nirtcs Schiff wieder heran und fliehen das unheilvolle Eiland. So befindet sich denn jener unglückliche Robinson wieder in seiner schrecklichen Einsamkeit. EM einziges menschliches Wesen, seine Braut, ist bei ihm, aber sie ist todt. Da be¬ schwört er wieder den Gott, den Himmel und stehe, es steuert dasselbe illnniinirte Schiff wieder aus dem Meere daher, aber jetzt schweben auf ihm schwarze Gestalten, die für ein Leichenbegängnis) passen. Sie besteigen das Eiland, umringen die Leiche, die auf einer Moosbank liegt, und da ein Weiser, den sie bei sich h^ ben, an den rosigen Wangen der Leiche gewahrt, daß sie keine wirkliche Leiche, sondern nur wahrscheinlich aus Liebe in eine Erstarrung versunken ist, so entfallen allen Umstehenden plötzlich die Trauermäntel und man erblickt das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/331>, abgerufen am 15.01.2025.