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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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das ganze Seeufer mit einer Menge von buntfarbigen Lampenlinien besetzt, die
Brücken waren von Licht übergössen, und enizclue riesenhafte Bäume so mit Lam-
Ven behängt, daß sich die Zweige unter der Last dieser seltsamen Huldigung
beugten. Sogar die Reiterstatue des Königs Sobiesli war gänzlich unter einem
ungeheuer" Jllnmiuationsgerüste vergraben, und jeden mußte die bittre Barbarei be¬
leidigen, mit welcher die glänzendste polnische Erinnerung durch jämmerliches Flitter¬
wesen entweihet wurde. In Berlin steht Napoleons Statue im königlichen Mu¬
seum auf einem Ehrenplatz; in Nußland versteckt man das Bild Sobieski's. Frei¬
lich ist Napoleon todt und Sobiesli lebt noch.

Bor dem Schloßgebäude befanden sich drei Militärmusikchöre, welche abwech¬
selnd ihre Stücke vortrugen. Unmittelbar vor der Glasthür des Speisesaals in
welchem die vornehmsten Würdenträger tafelte", führte ein fünf Personen
starkes Sängerchor seine Künste ans. Die Sänger waren gemeine russische Solda¬
ten und ihre Kehlen schienen den Branntwein des Lagers nicht gemieden zu haben.
Sie sangen ihre Nationalwersen nur durch die Fistel und in der möglichsten Höhe,
so daß ihre Vorträge für einen Nichtrussen ziemlich widerlich wurden. Dazu kam
eine originelle Geberdcnbegleitung und das Nachspiel, welches aus einer Me"ge
vou Verbeugungen, Wendungen und allerhand grotesken und possenhaften Körper^
Verrenkungen bestand. Man wurde durch diese Sänger an die Festgebräuche der
Huronen erinnert. Bei den vornehmen Russen aber sind diele Nationalsänger außer¬
ordentlich beliebt und bei ihren großen Festen darf der Tafel ein solches Corps
nicht fehlen. Der Kaiser Alexander schätzte den abscheulichen Gesang dieser Na¬
tionalsänger so hoch, daß er dem verstorbene" Könige von Preußen ein Geschenk
Mit einer Gesellschaft derselben machte. In Berlin aber konnte man ihrem Gesang
"ut Possenspiel keinen Geschmack abgewinnen und hielt es in späterer Zeit für
verständig, ihnen statt der Kapelle einen Kartoffelacker zur Bewirtschaftung anzu¬
weisen. --

Das Publikum war in so großer Masse vorhanden, daß man vor dem
Schlosse und auf anderen Hauptplätzen erdrückt zu werden fürchten mußte.
Wenn man die russischen Beamten und Kaufleute,'die polnischen Spötter und die
deutschen Neugierigen abrechnete, hätte man es "die üble Gesellschaft von Warschau"
nennen könne". Und die viele" neuerbauten Hauptwachen! Sie waren eine böse
Zugabe zu dem lärmend fröhlichen Volksfest. Der Unaufmerksame sah sie nicht,
denn man hatte sie versteckt und überdies ging in ihrer Nähe die Illumination zu
Ende, so daß sie Selbstschüssen glichen, die man in den düsteren Winkeln der
Garten unter Blättern anbringt. Am heutigen Abend hatten sie eine doppelte
Besatzung, und außerdem war die Mannschaft der nahen Cavalleriekaserne consig-
nirt und zum Aufsitzen bereit, so daß der glückliche Ablauf des Huldiguugssestes
hier war es recht eigentlich ein Selbsthuldigungssest -- durch circa 3000
Mann verbürgt wurde.


das ganze Seeufer mit einer Menge von buntfarbigen Lampenlinien besetzt, die
Brücken waren von Licht übergössen, und enizclue riesenhafte Bäume so mit Lam-
Ven behängt, daß sich die Zweige unter der Last dieser seltsamen Huldigung
beugten. Sogar die Reiterstatue des Königs Sobiesli war gänzlich unter einem
ungeheuer» Jllnmiuationsgerüste vergraben, und jeden mußte die bittre Barbarei be¬
leidigen, mit welcher die glänzendste polnische Erinnerung durch jämmerliches Flitter¬
wesen entweihet wurde. In Berlin steht Napoleons Statue im königlichen Mu¬
seum auf einem Ehrenplatz; in Nußland versteckt man das Bild Sobieski's. Frei¬
lich ist Napoleon todt und Sobiesli lebt noch.

Bor dem Schloßgebäude befanden sich drei Militärmusikchöre, welche abwech¬
selnd ihre Stücke vortrugen. Unmittelbar vor der Glasthür des Speisesaals in
welchem die vornehmsten Würdenträger tafelte», führte ein fünf Personen
starkes Sängerchor seine Künste ans. Die Sänger waren gemeine russische Solda¬
ten und ihre Kehlen schienen den Branntwein des Lagers nicht gemieden zu haben.
Sie sangen ihre Nationalwersen nur durch die Fistel und in der möglichsten Höhe,
so daß ihre Vorträge für einen Nichtrussen ziemlich widerlich wurden. Dazu kam
eine originelle Geberdcnbegleitung und das Nachspiel, welches aus einer Me»ge
vou Verbeugungen, Wendungen und allerhand grotesken und possenhaften Körper^
Verrenkungen bestand. Man wurde durch diese Sänger an die Festgebräuche der
Huronen erinnert. Bei den vornehmen Russen aber sind diele Nationalsänger außer¬
ordentlich beliebt und bei ihren großen Festen darf der Tafel ein solches Corps
nicht fehlen. Der Kaiser Alexander schätzte den abscheulichen Gesang dieser Na¬
tionalsänger so hoch, daß er dem verstorbene» Könige von Preußen ein Geschenk
Mit einer Gesellschaft derselben machte. In Berlin aber konnte man ihrem Gesang
«ut Possenspiel keinen Geschmack abgewinnen und hielt es in späterer Zeit für
verständig, ihnen statt der Kapelle einen Kartoffelacker zur Bewirtschaftung anzu¬
weisen. —

Das Publikum war in so großer Masse vorhanden, daß man vor dem
Schlosse und auf anderen Hauptplätzen erdrückt zu werden fürchten mußte.
Wenn man die russischen Beamten und Kaufleute,'die polnischen Spötter und die
deutschen Neugierigen abrechnete, hätte man es „die üble Gesellschaft von Warschau"
nennen könne». Und die viele» neuerbauten Hauptwachen! Sie waren eine böse
Zugabe zu dem lärmend fröhlichen Volksfest. Der Unaufmerksame sah sie nicht,
denn man hatte sie versteckt und überdies ging in ihrer Nähe die Illumination zu
Ende, so daß sie Selbstschüssen glichen, die man in den düsteren Winkeln der
Garten unter Blättern anbringt. Am heutigen Abend hatten sie eine doppelte
Besatzung, und außerdem war die Mannschaft der nahen Cavalleriekaserne consig-
nirt und zum Aufsitzen bereit, so daß der glückliche Ablauf des Huldiguugssestes
hier war es recht eigentlich ein Selbsthuldigungssest — durch circa 3000
Mann verbürgt wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/330>, abgerufen am 15.01.2025.