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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Gin Besuch des Kaiser Atikolaus in Warschau.



In Warschau hatte sich das Gerücht verbreitet, der Kaiser werde mit seiner
Gemahlin und dem Großfürsten Constantin in Kurzem die Stadt besuchen und
vielleicht einige Wochen verweilen. Man traute anfangs dem Gerücht wenig und
glaubte, es sei dem Gehirn eines Spions entsprungen, der durch dasselbe einen
Fang zu machen gedenke. Gleichwohl war es Tagesgespräch, die Ladendiener
unterhielten sich darüber in deu Comptoirs, die Bürger controlirtcu im "Warschauer
Kurier" deu Artikel "Petersburg," in öffentlichen Lokalen wurde halblaut gefragt:
"Ist es wahr, daß Jemand von Petersburg kommen soll?" und die Spione riefen
mit lauter Stimme in den Kaffeestnben: "Meine Herren, wissen Sie schon, daß der
Kaiser kommt?" Es ist ein Glück, daß diese Agenten dreister als andere Leute
über Kaiser und Regierung sprechen und sich dadurch erkennbar machen. -- Im
Allgemeinen schenkte man dem Geschwätz wenig Glauben und es begann wieder
zu verklingen. --

Plötzlich aber hörte mau die Spione in den öffentlichen Häusern verkünden:
"Meine Herren, was man gesagt, ist eine Lüge gewesen: der Kaiser wird nicht
kommen." Nun wußte man gewiß, daß der Kaiser kommen werde, denn die
Manier der Behörde, das Publikum so zu täusche" und irre zu führen, war alt
und bekannt. Warschau wurde anf's Neue verdrießlich, um so verdrießlicher, als
Man in des Fürsten Paskiewilsch gcmißbilligter allzu milder Verwaltung einen Grund
für die Reise des Kaisers zu finden glaubte. Bald kamen Bestätigungen. Zunächst
befahlen die Zirkelcvmmissäre den Hausbesitzern der Hauptstraßen, "ihre Häuser
in gutes Ansehn zu versetzen." Dieser Befehl wurde mit der russischen Beamten
eigenen Brutalität ertheilt. Birnen fünf Tagen sollten alle Häuser der "neuen
Welt," der "Krakauer Borstadt," der "Mazureu" und anderer Straßen, welche
den Weg vom königlichen Schlosse nach dem Lustschloß Lazienki bilden, theils
bestens gesäubert, theils neu angestrichen sein. Widerspenstigkeit war nicht zu
^warten, aber auch die Saumseligkeit bedrohet" mau mit Gefängnißstrafe. Ob die
Hausbesitzer sich Maurer und Zimmerleute durch Zauberei so plötzlich herbeischaff¬
en, oder selbst Pinsel und Winkelmaß ergriffen und Gerüste bauten, ob sie die


Grenzboten, lo. 1849. 41
Gin Besuch des Kaiser Atikolaus in Warschau.



In Warschau hatte sich das Gerücht verbreitet, der Kaiser werde mit seiner
Gemahlin und dem Großfürsten Constantin in Kurzem die Stadt besuchen und
vielleicht einige Wochen verweilen. Man traute anfangs dem Gerücht wenig und
glaubte, es sei dem Gehirn eines Spions entsprungen, der durch dasselbe einen
Fang zu machen gedenke. Gleichwohl war es Tagesgespräch, die Ladendiener
unterhielten sich darüber in deu Comptoirs, die Bürger controlirtcu im „Warschauer
Kurier" deu Artikel „Petersburg," in öffentlichen Lokalen wurde halblaut gefragt:
„Ist es wahr, daß Jemand von Petersburg kommen soll?" und die Spione riefen
mit lauter Stimme in den Kaffeestnben: „Meine Herren, wissen Sie schon, daß der
Kaiser kommt?" Es ist ein Glück, daß diese Agenten dreister als andere Leute
über Kaiser und Regierung sprechen und sich dadurch erkennbar machen. — Im
Allgemeinen schenkte man dem Geschwätz wenig Glauben und es begann wieder
zu verklingen. —

Plötzlich aber hörte mau die Spione in den öffentlichen Häusern verkünden:
„Meine Herren, was man gesagt, ist eine Lüge gewesen: der Kaiser wird nicht
kommen." Nun wußte man gewiß, daß der Kaiser kommen werde, denn die
Manier der Behörde, das Publikum so zu täusche» und irre zu führen, war alt
und bekannt. Warschau wurde anf's Neue verdrießlich, um so verdrießlicher, als
Man in des Fürsten Paskiewilsch gcmißbilligter allzu milder Verwaltung einen Grund
für die Reise des Kaisers zu finden glaubte. Bald kamen Bestätigungen. Zunächst
befahlen die Zirkelcvmmissäre den Hausbesitzern der Hauptstraßen, „ihre Häuser
in gutes Ansehn zu versetzen." Dieser Befehl wurde mit der russischen Beamten
eigenen Brutalität ertheilt. Birnen fünf Tagen sollten alle Häuser der „neuen
Welt," der „Krakauer Borstadt," der „Mazureu" und anderer Straßen, welche
den Weg vom königlichen Schlosse nach dem Lustschloß Lazienki bilden, theils
bestens gesäubert, theils neu angestrichen sein. Widerspenstigkeit war nicht zu
^warten, aber auch die Saumseligkeit bedrohet« mau mit Gefängnißstrafe. Ob die
Hausbesitzer sich Maurer und Zimmerleute durch Zauberei so plötzlich herbeischaff¬
en, oder selbst Pinsel und Winkelmaß ergriffen und Gerüste bauten, ob sie die


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[0324] Gin Besuch des Kaiser Atikolaus in Warschau. In Warschau hatte sich das Gerücht verbreitet, der Kaiser werde mit seiner Gemahlin und dem Großfürsten Constantin in Kurzem die Stadt besuchen und vielleicht einige Wochen verweilen. Man traute anfangs dem Gerücht wenig und glaubte, es sei dem Gehirn eines Spions entsprungen, der durch dasselbe einen Fang zu machen gedenke. Gleichwohl war es Tagesgespräch, die Ladendiener unterhielten sich darüber in deu Comptoirs, die Bürger controlirtcu im „Warschauer Kurier" deu Artikel „Petersburg," in öffentlichen Lokalen wurde halblaut gefragt: „Ist es wahr, daß Jemand von Petersburg kommen soll?" und die Spione riefen mit lauter Stimme in den Kaffeestnben: „Meine Herren, wissen Sie schon, daß der Kaiser kommt?" Es ist ein Glück, daß diese Agenten dreister als andere Leute über Kaiser und Regierung sprechen und sich dadurch erkennbar machen. — Im Allgemeinen schenkte man dem Geschwätz wenig Glauben und es begann wieder zu verklingen. — Plötzlich aber hörte mau die Spione in den öffentlichen Häusern verkünden: „Meine Herren, was man gesagt, ist eine Lüge gewesen: der Kaiser wird nicht kommen." Nun wußte man gewiß, daß der Kaiser kommen werde, denn die Manier der Behörde, das Publikum so zu täusche» und irre zu führen, war alt und bekannt. Warschau wurde anf's Neue verdrießlich, um so verdrießlicher, als Man in des Fürsten Paskiewilsch gcmißbilligter allzu milder Verwaltung einen Grund für die Reise des Kaisers zu finden glaubte. Bald kamen Bestätigungen. Zunächst befahlen die Zirkelcvmmissäre den Hausbesitzern der Hauptstraßen, „ihre Häuser in gutes Ansehn zu versetzen." Dieser Befehl wurde mit der russischen Beamten eigenen Brutalität ertheilt. Birnen fünf Tagen sollten alle Häuser der „neuen Welt," der „Krakauer Borstadt," der „Mazureu" und anderer Straßen, welche den Weg vom königlichen Schlosse nach dem Lustschloß Lazienki bilden, theils bestens gesäubert, theils neu angestrichen sein. Widerspenstigkeit war nicht zu ^warten, aber auch die Saumseligkeit bedrohet« mau mit Gefängnißstrafe. Ob die Hausbesitzer sich Maurer und Zimmerleute durch Zauberei so plötzlich herbeischaff¬ en, oder selbst Pinsel und Winkelmaß ergriffen und Gerüste bauten, ob sie die Grenzboten, lo. 1849. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/324>, abgerufen am 15.01.2025.