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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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machte ich mich denn in Gottes Namen auf den Weg, Herrn Janos aufzusuchen;
es war der Müller ein Viertel Stündchen abwärts. Er wollte aber nicht fahren.

"Lieber Herr" -- sagte er -- "nicht um alles Geld in der Welt.---

Bist du kein Ungar?

"Gott sei Dank, ich bin ein Ungar und hab' manchen Landsmann hin¬
übergeführt, wie's noch gefährlich war und "die Deutschen" da waren, aber jetzt
darf ich nicht."

Wer hat dies verboten?

"Die Unsrigen drüben Haben's verboten. Bei Nacht darf ich keine Menschen¬
seele über's Wasser bringen, sonst schießen sie. Es ist strenger Befehl." --

Nach langem Weigern und nachdem ich ihm an's Herz gelegt, daß ich einen
vornehmen Herrn zu Kossuth führen müsse, entschloß sich der Müller endlich,
den Kahn loszubinden, den er zwischen Weidenbäumen sorgfältig verborgen hatte.
Es war indessen vollkommen dunkel geworden und wir stießen ab. Mitten im
breiten Strom aber packten den Fährmann Gewissensbisse über die verletzte Ordre,
oder es überkam ihn Furcht vor den Oestreichern. Er wollte umkehren, ja er
wollte lieber aus einer kleinen Insel gegenüber von Almas übernachten als weiter¬
fahren. Ich mußte alle meine Ueberrednngskunst aufbieten, um ihn zu überzeugen,
daß ich ihn im Lager drüben in Schutz nehmen werde "und was die Oestreicher
betrifft, süßer Janos" -- sagte ich ihm -- "so wirst du künftig nach Wien reisen
müssen, wenn du einen sehn willst. So weit kommt keiner mehr zurück." "Gott
geb's!" sagte er und ruderte weiter.

Bald wurden wir von einer Schildwache am jenseitigen Ufer angerufen und
zugleich rief sie deu nahen Feldposten ins Gewehr. Janos antwortete, daß er es
sei, der einen vornehmen Herrn bringe, ich versicherte gleichfalls, daß wir Lands¬
leute seien, und so kamen wir wohlbehalten ans Land. Mylord schlief in einem
Ofstzicrszclte und des andern Tags gings fort nach Debreczin im gestreckten
Galopp. -- Da riß er denn seine kleinen grauen Aeuglein auf, wie wir durch
Sand und Sumpf im furchtbarsten Carrii-re dahinjagten, da hatte er doch etwas
Neues zu schauen, den Wagen, die Pferde, das Riemzeug und die lange Peitsche.
Ich war froh, daß ihn doch etwas interessire und Se. Griesgrämigkeit ein wenig
Zerstreuung fand. Wir waren Beide aber ehrlich durchgeschüttelt, als wir in
Debreczin ankamen.

Es war vier Uhr Morgens und wir stiege" im ersten Hütel der Stadt, beim
"Ochsen" ab. Früher hieß es zum "Palatin." Die Metamorphose des Haus-
schildes sollte wahrscheinlich einen revolutionären Witz des Eigenthümers vor¬
stellen. -- Es dauerte eine geraume Zeit, bis uns der Hausknecht die Thorflügel
öffnete, und uns gestattete, in den schmutzigen Thorweg einzutreten. Wir ver¬
langten eine Stube, aber er versicherte uus, daß vom Keller bis zum Boden nicht
ein Winkel unbesetzt sei. Mylord, dem ich diese trostreiche Auskunft ins Englische


machte ich mich denn in Gottes Namen auf den Weg, Herrn Janos aufzusuchen;
es war der Müller ein Viertel Stündchen abwärts. Er wollte aber nicht fahren.

„Lieber Herr" — sagte er — „nicht um alles Geld in der Welt.---

Bist du kein Ungar?

„Gott sei Dank, ich bin ein Ungar und hab' manchen Landsmann hin¬
übergeführt, wie's noch gefährlich war und „die Deutschen" da waren, aber jetzt
darf ich nicht."

Wer hat dies verboten?

„Die Unsrigen drüben Haben's verboten. Bei Nacht darf ich keine Menschen¬
seele über's Wasser bringen, sonst schießen sie. Es ist strenger Befehl." —

Nach langem Weigern und nachdem ich ihm an's Herz gelegt, daß ich einen
vornehmen Herrn zu Kossuth führen müsse, entschloß sich der Müller endlich,
den Kahn loszubinden, den er zwischen Weidenbäumen sorgfältig verborgen hatte.
Es war indessen vollkommen dunkel geworden und wir stießen ab. Mitten im
breiten Strom aber packten den Fährmann Gewissensbisse über die verletzte Ordre,
oder es überkam ihn Furcht vor den Oestreichern. Er wollte umkehren, ja er
wollte lieber aus einer kleinen Insel gegenüber von Almas übernachten als weiter¬
fahren. Ich mußte alle meine Ueberrednngskunst aufbieten, um ihn zu überzeugen,
daß ich ihn im Lager drüben in Schutz nehmen werde „und was die Oestreicher
betrifft, süßer Janos" — sagte ich ihm — „so wirst du künftig nach Wien reisen
müssen, wenn du einen sehn willst. So weit kommt keiner mehr zurück." „Gott
geb's!" sagte er und ruderte weiter.

Bald wurden wir von einer Schildwache am jenseitigen Ufer angerufen und
zugleich rief sie deu nahen Feldposten ins Gewehr. Janos antwortete, daß er es
sei, der einen vornehmen Herrn bringe, ich versicherte gleichfalls, daß wir Lands¬
leute seien, und so kamen wir wohlbehalten ans Land. Mylord schlief in einem
Ofstzicrszclte und des andern Tags gings fort nach Debreczin im gestreckten
Galopp. — Da riß er denn seine kleinen grauen Aeuglein auf, wie wir durch
Sand und Sumpf im furchtbarsten Carrii-re dahinjagten, da hatte er doch etwas
Neues zu schauen, den Wagen, die Pferde, das Riemzeug und die lange Peitsche.
Ich war froh, daß ihn doch etwas interessire und Se. Griesgrämigkeit ein wenig
Zerstreuung fand. Wir waren Beide aber ehrlich durchgeschüttelt, als wir in
Debreczin ankamen.

Es war vier Uhr Morgens und wir stiege» im ersten Hütel der Stadt, beim
„Ochsen" ab. Früher hieß es zum „Palatin." Die Metamorphose des Haus-
schildes sollte wahrscheinlich einen revolutionären Witz des Eigenthümers vor¬
stellen. — Es dauerte eine geraume Zeit, bis uns der Hausknecht die Thorflügel
öffnete, und uns gestattete, in den schmutzigen Thorweg einzutreten. Wir ver¬
langten eine Stube, aber er versicherte uus, daß vom Keller bis zum Boden nicht
ein Winkel unbesetzt sei. Mylord, dem ich diese trostreiche Auskunft ins Englische


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[0309] machte ich mich denn in Gottes Namen auf den Weg, Herrn Janos aufzusuchen; es war der Müller ein Viertel Stündchen abwärts. Er wollte aber nicht fahren. „Lieber Herr" — sagte er — „nicht um alles Geld in der Welt.--- Bist du kein Ungar? „Gott sei Dank, ich bin ein Ungar und hab' manchen Landsmann hin¬ übergeführt, wie's noch gefährlich war und „die Deutschen" da waren, aber jetzt darf ich nicht." Wer hat dies verboten? „Die Unsrigen drüben Haben's verboten. Bei Nacht darf ich keine Menschen¬ seele über's Wasser bringen, sonst schießen sie. Es ist strenger Befehl." — Nach langem Weigern und nachdem ich ihm an's Herz gelegt, daß ich einen vornehmen Herrn zu Kossuth führen müsse, entschloß sich der Müller endlich, den Kahn loszubinden, den er zwischen Weidenbäumen sorgfältig verborgen hatte. Es war indessen vollkommen dunkel geworden und wir stießen ab. Mitten im breiten Strom aber packten den Fährmann Gewissensbisse über die verletzte Ordre, oder es überkam ihn Furcht vor den Oestreichern. Er wollte umkehren, ja er wollte lieber aus einer kleinen Insel gegenüber von Almas übernachten als weiter¬ fahren. Ich mußte alle meine Ueberrednngskunst aufbieten, um ihn zu überzeugen, daß ich ihn im Lager drüben in Schutz nehmen werde „und was die Oestreicher betrifft, süßer Janos" — sagte ich ihm — „so wirst du künftig nach Wien reisen müssen, wenn du einen sehn willst. So weit kommt keiner mehr zurück." „Gott geb's!" sagte er und ruderte weiter. Bald wurden wir von einer Schildwache am jenseitigen Ufer angerufen und zugleich rief sie deu nahen Feldposten ins Gewehr. Janos antwortete, daß er es sei, der einen vornehmen Herrn bringe, ich versicherte gleichfalls, daß wir Lands¬ leute seien, und so kamen wir wohlbehalten ans Land. Mylord schlief in einem Ofstzicrszclte und des andern Tags gings fort nach Debreczin im gestreckten Galopp. — Da riß er denn seine kleinen grauen Aeuglein auf, wie wir durch Sand und Sumpf im furchtbarsten Carrii-re dahinjagten, da hatte er doch etwas Neues zu schauen, den Wagen, die Pferde, das Riemzeug und die lange Peitsche. Ich war froh, daß ihn doch etwas interessire und Se. Griesgrämigkeit ein wenig Zerstreuung fand. Wir waren Beide aber ehrlich durchgeschüttelt, als wir in Debreczin ankamen. Es war vier Uhr Morgens und wir stiege» im ersten Hütel der Stadt, beim „Ochsen" ab. Früher hieß es zum „Palatin." Die Metamorphose des Haus- schildes sollte wahrscheinlich einen revolutionären Witz des Eigenthümers vor¬ stellen. — Es dauerte eine geraume Zeit, bis uns der Hausknecht die Thorflügel öffnete, und uns gestattete, in den schmutzigen Thorweg einzutreten. Wir ver¬ langten eine Stube, aber er versicherte uus, daß vom Keller bis zum Boden nicht ein Winkel unbesetzt sei. Mylord, dem ich diese trostreiche Auskunft ins Englische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/309>, abgerufen am 15.01.2025.