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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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deutung dieses Ereignisses sogleich errathen, denn sie stießen einen Schrei des
Schreckens aus und begannen zu wimmern und zu heulen. Nachdem der Oeconom
die übrigen Aufseher und etliche alte Bauern herbeigerufen, wurde die Scheuer
wieder geöffnet. Man warf sich stürmisch über die unglücklichen Burschen, von
denen sich zwei im Stroh verkrochen hatten, knebelte ihnen die Hände und Füße
und brachte sie ins Wirthshaus, wo sie in eine Art Küche, welche eigentlich nichts
weiter war, als ein riesenmäßiger Nauchschlvt, der alle Nauchkcmäle des Hauses
aufnahm, eingeschlossen wurden.

In früheren Jahren, erzählte der Graf, habe er des Nachts die Conseri-
birten in den Betten überfallen und vor zwei Jahren sie einzeln auf dem Felde
bei der Arbeit aufgreifen lassen. So müsse er jedes Jahr eine neue Manier, sich
ihrer zu bemächtigen, ersinnen, damit sie die Recrutirung nicht etwa eher merkten,
als sie gefangen wären.

Das Schicksal der vier Burschen war rasch im Dorfe bekannt geworden. Vor
dem Wirthshause erschienen unter entsetzlichem Gewimmer und Geheul die Väter,
Mütter und Geschwister der Gefangenen. Als sich der Graf blicken ließ, stürzte
ihm Alles zu Füßen und verdoppelte das Geschrei. Es schien dies nichts anders,
als ein verstärkter Ausbruch des Schmerzes zu sein, denn die Leute wußte" sehr
gut, daß der Graf die Conseribirten nicht retten konnte; sie richteten daher auch
keine Bitte an ihn, sondern lagen nur in ihrem Schmerze vor ihm und schrieen
lind wimmerten zu seinen Füßen. Der Graf dagegen suchte sie damit zu trösten,
daß er versprach, den Gefangenen mehrere Maß Branntwein geben zu lassen.
Dieses Versprechen hielt er, und die Gefangenen mögen wohl für die nächste
Nacht über ihr Geschick beruhigt worden sein.

Am andern Tage sehr früh wurden die aufgehobenen Militärpflichtiger der
übrigen Grundherren eingebracht. Sie befanden sich sämmtlich uuter Bewachung,
ja ein Grundherr war in seiner ängstlichen Besorgnis; sogar so weit gegangen,
je zwei aneinander binden zu lassen. Die Recruten erschienen wie gefangenes
Wild, keine Spur von dem Ansehn freier Menschen war an ihnen geblieben, man
mußte sie für Verbrecher halten, und doch waren sie vielleicht die ehrlichsten brav¬
sten Menschen. Nachdem der Graf die Namen der eingebrachten Ansgehobenen
aufgezeichnet, ließ er die seinigen aus ihrem Verwahrungsorte befreien und dazu
gesellen. Die Wächter umgaben das unglückliche Häuflein, welches in kleine Trupps
getheilt wurde, und der Zug setzte sich uach dem Städtchen I. in Bewegung.
Die Anverwandten der Ausgehobenen, Eltern und Geschwister begleiteten den
Haufen. Das Geheul dieser Leute, das sich bisweilen zu fürchterlichen wahn¬
witzigen Verwünschungen steigerte, läßt sich kaum beschreiben. Bei einer gleichen
Scene an einem andern Orte Polens und in früherer Zeit hatte ich eine Mutter
den scheußlichen Seufzer ausstoßen hören: "hätte ich ihn doch in der Wiege er-


Grenzbvtm< to. 1849.

deutung dieses Ereignisses sogleich errathen, denn sie stießen einen Schrei des
Schreckens aus und begannen zu wimmern und zu heulen. Nachdem der Oeconom
die übrigen Aufseher und etliche alte Bauern herbeigerufen, wurde die Scheuer
wieder geöffnet. Man warf sich stürmisch über die unglücklichen Burschen, von
denen sich zwei im Stroh verkrochen hatten, knebelte ihnen die Hände und Füße
und brachte sie ins Wirthshaus, wo sie in eine Art Küche, welche eigentlich nichts
weiter war, als ein riesenmäßiger Nauchschlvt, der alle Nauchkcmäle des Hauses
aufnahm, eingeschlossen wurden.

In früheren Jahren, erzählte der Graf, habe er des Nachts die Conseri-
birten in den Betten überfallen und vor zwei Jahren sie einzeln auf dem Felde
bei der Arbeit aufgreifen lassen. So müsse er jedes Jahr eine neue Manier, sich
ihrer zu bemächtigen, ersinnen, damit sie die Recrutirung nicht etwa eher merkten,
als sie gefangen wären.

Das Schicksal der vier Burschen war rasch im Dorfe bekannt geworden. Vor
dem Wirthshause erschienen unter entsetzlichem Gewimmer und Geheul die Väter,
Mütter und Geschwister der Gefangenen. Als sich der Graf blicken ließ, stürzte
ihm Alles zu Füßen und verdoppelte das Geschrei. Es schien dies nichts anders,
als ein verstärkter Ausbruch des Schmerzes zu sein, denn die Leute wußte» sehr
gut, daß der Graf die Conseribirten nicht retten konnte; sie richteten daher auch
keine Bitte an ihn, sondern lagen nur in ihrem Schmerze vor ihm und schrieen
lind wimmerten zu seinen Füßen. Der Graf dagegen suchte sie damit zu trösten,
daß er versprach, den Gefangenen mehrere Maß Branntwein geben zu lassen.
Dieses Versprechen hielt er, und die Gefangenen mögen wohl für die nächste
Nacht über ihr Geschick beruhigt worden sein.

Am andern Tage sehr früh wurden die aufgehobenen Militärpflichtiger der
übrigen Grundherren eingebracht. Sie befanden sich sämmtlich uuter Bewachung,
ja ein Grundherr war in seiner ängstlichen Besorgnis; sogar so weit gegangen,
je zwei aneinander binden zu lassen. Die Recruten erschienen wie gefangenes
Wild, keine Spur von dem Ansehn freier Menschen war an ihnen geblieben, man
mußte sie für Verbrecher halten, und doch waren sie vielleicht die ehrlichsten brav¬
sten Menschen. Nachdem der Graf die Namen der eingebrachten Ansgehobenen
aufgezeichnet, ließ er die seinigen aus ihrem Verwahrungsorte befreien und dazu
gesellen. Die Wächter umgaben das unglückliche Häuflein, welches in kleine Trupps
getheilt wurde, und der Zug setzte sich uach dem Städtchen I. in Bewegung.
Die Anverwandten der Ausgehobenen, Eltern und Geschwister begleiteten den
Haufen. Das Geheul dieser Leute, das sich bisweilen zu fürchterlichen wahn¬
witzigen Verwünschungen steigerte, läßt sich kaum beschreiben. Bei einer gleichen
Scene an einem andern Orte Polens und in früherer Zeit hatte ich eine Mutter
den scheußlichen Seufzer ausstoßen hören: „hätte ich ihn doch in der Wiege er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/300>, abgerufen am 15.01.2025.