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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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und nicht völlig zufriedengestellten Handelsmannes erklärte: "dies Geld scheine ihm
seiner Gefälligkeit nicht ganz zu entsprechen," so daß jener noch etwas zulegen
mußte. Dieses Vorspiel, welches bisweilen den Anstrich einer freundschaftlichen
Unterhaltung annahm und auf ganz fremde Dinge, auf Jagd, Pferdezucht, Wind¬
hunde hinüberflog, erschöpfte fast meine Geduld. Ich schene mich nämlich nicht,
zu bekennen, daß ich die wenig imponirende Rolle eines Horchers spielte. -- Durch
die Aerzte schien es mir, müsse leichter zu erreichen sei", was jene Grundherren
durch den Commissionschef, den Oberstlieutenant, zu erreichen suchten. Aber das
Reglement gestattet nicht, daß die Aerzte den Namen der einzelnen Rekruten er¬
fahren, welche so eben vor sie und nnter das Maß treten. Daher ist die Be¬
freiung eines Militärpflichtiger durch sie uur daun möglich, wenn ihnen der
Bursch zuvor persönlich vor's Auge gebracht werden kauu, so, daß sie ihn wieder¬
erkennen, wenn er ihrem Gutachten anheimfällt. Trotz der Umständlichkeit dieser
Prozedur werden viele Befreiungen durch die Aerzte ausgeführt, und das Mi߬
trauen der Behörde gegen sie zeigt sich gerechtfertigt. Allein die Behörde ge¬
winnt durch diese Sorgfalt gar nichts, da der Commissionschef stets nicht minder
bestechlich ist. Es ist einmal im russischen Staatswesen von oben bis unten Alles
bestechlich und daher mag die Negierung sich drehen und wenden wie sie will/
sie geräth nur aus dem Regen in die Traufe.

Die Bestechungen, welche bei der Couscriptionscvmmisstvn stattfinden, haben
übrigens einen Einfluß, der im Heere sehr sichtbar ist. Die Grundherren, welche
noch immer gewöhnt sind, die Bewohner ihrer Dörfer für einen Theil ihres Ver¬
mögens anzusehen, bemühen sich natürlich niemals für die Freigebung der unan-
sehnlichen, sondern der schönen kräftigen Leute. Da nun an der Zahl der Re-
kruten nichts fehlen darf, so sind die Commissionen grade wie Sir John Wlstasf,
gezwungen, die freigelassenen Niesen zu ersetze". Daher kommt es, daß man im
russischen Heere so viele Leute findet, die mau kaum für fähig hält, einen Milch¬
topf, geschweige ein Gewehr zu tragen. Sogar Krüppel fehlen nicht; einäu¬
gige, schiefgewachsene und krnmmfüßige Soldaten habe ich ziemlich viele bemerkt.
Derartige Leute werden stets der Infanterie zugewiesen, bei welcher die körper¬
lichen Mängel durch die laugen kuhhärenen Kittel verborgen werden.

Endlich, nachdem der Oberstlieutenant in den Saal zurückgekehrt war und
sich an der Seite des Cvmmissärs niedergelassen hatte, begann die Commission
ihr Geschäft, welches so seltsam geheimnißvoller Art war, daß ich dadurch lebhaft
a" den Geschäftsgang in den finstern Sälen der Inquisition erinnert wurde. Der
Conimissär schrieb den Namen desjenigen Militärpflichtiger, welcher zunächst zu
^'scheinen hatte, auf einen Zettel und überreichte diesen verkehrt, so daß kein Drit¬
te den Namen absehen konnte, dem Oberstlieutenant. Dieser las den Namen,
s^h ans sein-e Liste, um zu wissen, ob er in Folge der Bestechung diesen Namen
um lW. beigefügt habe, und übergab ihn zusammengefaltet einem Gensd'ariiienun-


und nicht völlig zufriedengestellten Handelsmannes erklärte: „dies Geld scheine ihm
seiner Gefälligkeit nicht ganz zu entsprechen," so daß jener noch etwas zulegen
mußte. Dieses Vorspiel, welches bisweilen den Anstrich einer freundschaftlichen
Unterhaltung annahm und auf ganz fremde Dinge, auf Jagd, Pferdezucht, Wind¬
hunde hinüberflog, erschöpfte fast meine Geduld. Ich schene mich nämlich nicht,
zu bekennen, daß ich die wenig imponirende Rolle eines Horchers spielte. — Durch
die Aerzte schien es mir, müsse leichter zu erreichen sei», was jene Grundherren
durch den Commissionschef, den Oberstlieutenant, zu erreichen suchten. Aber das
Reglement gestattet nicht, daß die Aerzte den Namen der einzelnen Rekruten er¬
fahren, welche so eben vor sie und nnter das Maß treten. Daher ist die Be¬
freiung eines Militärpflichtiger durch sie uur daun möglich, wenn ihnen der
Bursch zuvor persönlich vor's Auge gebracht werden kauu, so, daß sie ihn wieder¬
erkennen, wenn er ihrem Gutachten anheimfällt. Trotz der Umständlichkeit dieser
Prozedur werden viele Befreiungen durch die Aerzte ausgeführt, und das Mi߬
trauen der Behörde gegen sie zeigt sich gerechtfertigt. Allein die Behörde ge¬
winnt durch diese Sorgfalt gar nichts, da der Commissionschef stets nicht minder
bestechlich ist. Es ist einmal im russischen Staatswesen von oben bis unten Alles
bestechlich und daher mag die Negierung sich drehen und wenden wie sie will/
sie geräth nur aus dem Regen in die Traufe.

Die Bestechungen, welche bei der Couscriptionscvmmisstvn stattfinden, haben
übrigens einen Einfluß, der im Heere sehr sichtbar ist. Die Grundherren, welche
noch immer gewöhnt sind, die Bewohner ihrer Dörfer für einen Theil ihres Ver¬
mögens anzusehen, bemühen sich natürlich niemals für die Freigebung der unan-
sehnlichen, sondern der schönen kräftigen Leute. Da nun an der Zahl der Re-
kruten nichts fehlen darf, so sind die Commissionen grade wie Sir John Wlstasf,
gezwungen, die freigelassenen Niesen zu ersetze». Daher kommt es, daß man im
russischen Heere so viele Leute findet, die mau kaum für fähig hält, einen Milch¬
topf, geschweige ein Gewehr zu tragen. Sogar Krüppel fehlen nicht; einäu¬
gige, schiefgewachsene und krnmmfüßige Soldaten habe ich ziemlich viele bemerkt.
Derartige Leute werden stets der Infanterie zugewiesen, bei welcher die körper¬
lichen Mängel durch die laugen kuhhärenen Kittel verborgen werden.

Endlich, nachdem der Oberstlieutenant in den Saal zurückgekehrt war und
sich an der Seite des Cvmmissärs niedergelassen hatte, begann die Commission
ihr Geschäft, welches so seltsam geheimnißvoller Art war, daß ich dadurch lebhaft
a« den Geschäftsgang in den finstern Sälen der Inquisition erinnert wurde. Der
Conimissär schrieb den Namen desjenigen Militärpflichtiger, welcher zunächst zu
^'scheinen hatte, auf einen Zettel und überreichte diesen verkehrt, so daß kein Drit¬
te den Namen absehen konnte, dem Oberstlieutenant. Dieser las den Namen,
s^h ans sein-e Liste, um zu wissen, ob er in Folge der Bestechung diesen Namen
um lW. beigefügt habe, und übergab ihn zusammengefaltet einem Gensd'ariiienun-


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[0296] und nicht völlig zufriedengestellten Handelsmannes erklärte: „dies Geld scheine ihm seiner Gefälligkeit nicht ganz zu entsprechen," so daß jener noch etwas zulegen mußte. Dieses Vorspiel, welches bisweilen den Anstrich einer freundschaftlichen Unterhaltung annahm und auf ganz fremde Dinge, auf Jagd, Pferdezucht, Wind¬ hunde hinüberflog, erschöpfte fast meine Geduld. Ich schene mich nämlich nicht, zu bekennen, daß ich die wenig imponirende Rolle eines Horchers spielte. — Durch die Aerzte schien es mir, müsse leichter zu erreichen sei», was jene Grundherren durch den Commissionschef, den Oberstlieutenant, zu erreichen suchten. Aber das Reglement gestattet nicht, daß die Aerzte den Namen der einzelnen Rekruten er¬ fahren, welche so eben vor sie und nnter das Maß treten. Daher ist die Be¬ freiung eines Militärpflichtiger durch sie uur daun möglich, wenn ihnen der Bursch zuvor persönlich vor's Auge gebracht werden kauu, so, daß sie ihn wieder¬ erkennen, wenn er ihrem Gutachten anheimfällt. Trotz der Umständlichkeit dieser Prozedur werden viele Befreiungen durch die Aerzte ausgeführt, und das Mi߬ trauen der Behörde gegen sie zeigt sich gerechtfertigt. Allein die Behörde ge¬ winnt durch diese Sorgfalt gar nichts, da der Commissionschef stets nicht minder bestechlich ist. Es ist einmal im russischen Staatswesen von oben bis unten Alles bestechlich und daher mag die Negierung sich drehen und wenden wie sie will/ sie geräth nur aus dem Regen in die Traufe. Die Bestechungen, welche bei der Couscriptionscvmmisstvn stattfinden, haben übrigens einen Einfluß, der im Heere sehr sichtbar ist. Die Grundherren, welche noch immer gewöhnt sind, die Bewohner ihrer Dörfer für einen Theil ihres Ver¬ mögens anzusehen, bemühen sich natürlich niemals für die Freigebung der unan- sehnlichen, sondern der schönen kräftigen Leute. Da nun an der Zahl der Re- kruten nichts fehlen darf, so sind die Commissionen grade wie Sir John Wlstasf, gezwungen, die freigelassenen Niesen zu ersetze». Daher kommt es, daß man im russischen Heere so viele Leute findet, die mau kaum für fähig hält, einen Milch¬ topf, geschweige ein Gewehr zu tragen. Sogar Krüppel fehlen nicht; einäu¬ gige, schiefgewachsene und krnmmfüßige Soldaten habe ich ziemlich viele bemerkt. Derartige Leute werden stets der Infanterie zugewiesen, bei welcher die körper¬ lichen Mängel durch die laugen kuhhärenen Kittel verborgen werden. Endlich, nachdem der Oberstlieutenant in den Saal zurückgekehrt war und sich an der Seite des Cvmmissärs niedergelassen hatte, begann die Commission ihr Geschäft, welches so seltsam geheimnißvoller Art war, daß ich dadurch lebhaft a« den Geschäftsgang in den finstern Sälen der Inquisition erinnert wurde. Der Conimissär schrieb den Namen desjenigen Militärpflichtiger, welcher zunächst zu ^'scheinen hatte, auf einen Zettel und überreichte diesen verkehrt, so daß kein Drit¬ te den Namen absehen konnte, dem Oberstlieutenant. Dieser las den Namen, s^h ans sein-e Liste, um zu wissen, ob er in Folge der Bestechung diesen Namen um lW. beigefügt habe, und übergab ihn zusammengefaltet einem Gensd'ariiienun-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/296>, abgerufen am 15.01.2025.