Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.die Haut schon ganz zusammengezogen sei und sie es kaum mehr im Wasser aus¬ Ueberall. nicht nur in Polen, sondern auch in Rußland, kommen solche Am Nachmittag des andern Tages fertigte der Graf die nöthige Ordre an Im Laufe des Vormittags traf die Commission aus der Obwodschaftsstadt ein. Als der Oberstlieutenant vom Wagen stieg, gestalteten sich einige seltsame ,37*
die Haut schon ganz zusammengezogen sei und sie es kaum mehr im Wasser aus¬ Ueberall. nicht nur in Polen, sondern auch in Rußland, kommen solche Am Nachmittag des andern Tages fertigte der Graf die nöthige Ordre an Im Laufe des Vormittags traf die Commission aus der Obwodschaftsstadt ein. Als der Oberstlieutenant vom Wagen stieg, gestalteten sich einige seltsame ,37*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279842"/> <p xml:id="ID_1038" prev="#ID_1037"> die Haut schon ganz zusammengezogen sei und sie es kaum mehr im Wasser aus¬<lb/> halten könnten, und frugen dann: ob sie ohne Gefahr aus dem Teiche steigen<lb/> und ferner bei dem gnädigen Herrn bleiben dürsten. Der Edelmann, ein sehr<lb/> gutmüthiger Mensch, gab den Burschen den Rath, während der Nacht zu flüchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1039"> Ueberall. nicht nur in Polen, sondern auch in Rußland, kommen solche<lb/> Fluchtversuche in Masse vor. Ein Beweis der entsetzlichen Scheu des Volks vor<lb/> dem Heerwesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1040"> Am Nachmittag des andern Tages fertigte der Graf die nöthige Ordre an<lb/> die übrigen Grundherren seines Amtsbezirks ab, und am Abend gab er seinen<lb/> Aufsehern den Befehl, den nächsten Tag schon um vier Uhr auf dem Platze zu<lb/> sein. Sie erschienen im Morgengrau vor dem Fenster des gräflichen Schlafzim¬<lb/> mers und wurden von hier ans durch den Oeconvm, ihren Inspector, nach dem<lb/> Dorfe in die Hütten geführt, in welchen sich Militärpflichtige befanden. Diesen<lb/> blieb nichts übrig als der Aufsehertruppe zu folgen. Escortirt erschien das Häuf¬<lb/> chen junger Leute gegen 6 Uhr vor dem „Palaste" des Grafen, welcher sich, bei¬<lb/> läufig erwähnt, nur durch eine größere Anzahl von Naumabtheilungeu von den<lb/> hölzernen Hütten der Bauern unterschied. Die militärpflichtige Mannschaft der andern<lb/> Grundherren traf um dieselbe Zeit ein. Auch sie befanden sich unter einer Art<lb/> von Escorte, welche sich sogleich entfernte, als sie ihre Meldung beim Grafen<lb/> gemacht hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1041"> Im Laufe des Vormittags traf die Commission aus der Obwodschaftsstadt ein.<lb/> Sie bestand ans dem KreiScvmmissär, zwei Aerzten vom Heere, etlichen Militär¬<lb/> schreibern von Unteroffiziersrang, mehreren Gensdarmen, einem Gensdarmenoberst--<lb/> lieuteuant und einer unbekannten Person, welche in der nächsten Beziehung zum<lb/> Obwodschaftscommissär zu stehen schien. Bei der Conscription that diese Person<lb/> nichts sichtbares, ich frug deu Grafen, was dieselbe zu bedeuten habe. Der<lb/> Graf antwortete mit einem gewissen Lächeln: „es ist ein Spion; am Schnitt des<lb/> Gesichtes und an der Sprachaccentuatiou merken Sie doch, daß der Mensch ein<lb/> Jude ist." „Aber was soll ein Spion hier, wo die Behörde selbst amresend und<lb/> thätig ist?" Er zuckte mit der Achsel und schien keine Antwort zu haben. Doch<lb/> versetzte er nach einigen Augenblicken: „Es ist bei den russischen Behörden in Po¬<lb/> len Sitte, stets derartige Agenten bei sich zu haben."</p><lb/> <p xml:id="ID_1042" next="#ID_1043"> Als der Oberstlieutenant vom Wagen stieg, gestalteten sich einige seltsame<lb/> Scenen. Drei Militärpflichtige warfen sich ihm zu Füßen, umschlossen seine<lb/> Kniee mit deu Armen und flehten unter jämmerlichem Geheul, er solle sie doch<lb/> nicht zu Soldaten machen. Die mangelnde körperliche Berechtigung zu einer sol¬<lb/> chen Bitte schienen sie dnrch die Stärke ihrer Jammerstimmen ersetzen zu wollen,<lb/> daher ihr Bittgeschrei endlich wahrhaft entsetzlich wurde. Die übrigen tölpischen<lb/> Burschen, welche anfangs schüchtern in einer gewissen Ferne geblieben waren,<lb/> nahten sich, sobald es ihnen schien, daß die Jammerscene den drei A cteuren keine</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> ,37*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
die Haut schon ganz zusammengezogen sei und sie es kaum mehr im Wasser aus¬
halten könnten, und frugen dann: ob sie ohne Gefahr aus dem Teiche steigen
und ferner bei dem gnädigen Herrn bleiben dürsten. Der Edelmann, ein sehr
gutmüthiger Mensch, gab den Burschen den Rath, während der Nacht zu flüchten.
Ueberall. nicht nur in Polen, sondern auch in Rußland, kommen solche
Fluchtversuche in Masse vor. Ein Beweis der entsetzlichen Scheu des Volks vor
dem Heerwesen.
Am Nachmittag des andern Tages fertigte der Graf die nöthige Ordre an
die übrigen Grundherren seines Amtsbezirks ab, und am Abend gab er seinen
Aufsehern den Befehl, den nächsten Tag schon um vier Uhr auf dem Platze zu
sein. Sie erschienen im Morgengrau vor dem Fenster des gräflichen Schlafzim¬
mers und wurden von hier ans durch den Oeconvm, ihren Inspector, nach dem
Dorfe in die Hütten geführt, in welchen sich Militärpflichtige befanden. Diesen
blieb nichts übrig als der Aufsehertruppe zu folgen. Escortirt erschien das Häuf¬
chen junger Leute gegen 6 Uhr vor dem „Palaste" des Grafen, welcher sich, bei¬
läufig erwähnt, nur durch eine größere Anzahl von Naumabtheilungeu von den
hölzernen Hütten der Bauern unterschied. Die militärpflichtige Mannschaft der andern
Grundherren traf um dieselbe Zeit ein. Auch sie befanden sich unter einer Art
von Escorte, welche sich sogleich entfernte, als sie ihre Meldung beim Grafen
gemacht hatte.
Im Laufe des Vormittags traf die Commission aus der Obwodschaftsstadt ein.
Sie bestand ans dem KreiScvmmissär, zwei Aerzten vom Heere, etlichen Militär¬
schreibern von Unteroffiziersrang, mehreren Gensdarmen, einem Gensdarmenoberst--
lieuteuant und einer unbekannten Person, welche in der nächsten Beziehung zum
Obwodschaftscommissär zu stehen schien. Bei der Conscription that diese Person
nichts sichtbares, ich frug deu Grafen, was dieselbe zu bedeuten habe. Der
Graf antwortete mit einem gewissen Lächeln: „es ist ein Spion; am Schnitt des
Gesichtes und an der Sprachaccentuatiou merken Sie doch, daß der Mensch ein
Jude ist." „Aber was soll ein Spion hier, wo die Behörde selbst amresend und
thätig ist?" Er zuckte mit der Achsel und schien keine Antwort zu haben. Doch
versetzte er nach einigen Augenblicken: „Es ist bei den russischen Behörden in Po¬
len Sitte, stets derartige Agenten bei sich zu haben."
Als der Oberstlieutenant vom Wagen stieg, gestalteten sich einige seltsame
Scenen. Drei Militärpflichtige warfen sich ihm zu Füßen, umschlossen seine
Kniee mit deu Armen und flehten unter jämmerlichem Geheul, er solle sie doch
nicht zu Soldaten machen. Die mangelnde körperliche Berechtigung zu einer sol¬
chen Bitte schienen sie dnrch die Stärke ihrer Jammerstimmen ersetzen zu wollen,
daher ihr Bittgeschrei endlich wahrhaft entsetzlich wurde. Die übrigen tölpischen
Burschen, welche anfangs schüchtern in einer gewissen Ferne geblieben waren,
nahten sich, sobald es ihnen schien, daß die Jammerscene den drei A cteuren keine
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