Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Russische Recrutirnttg in Polen. Es gibt Staaten, wo das Heerwesen ein Beweis der politischen Reife und Vor einigen Jahren befand ich mich um die Osternzeit in einem Dorfe auf Ich frug den widerwilligen Beamten, was die Depesche bedeute. "Ueber¬ "Die Behörde weiß," fuhr er vorsichtig fort, "daß das Volk sich auf eine Grcnzbvtc". IV. 1849. 37
Russische Recrutirnttg in Polen. Es gibt Staaten, wo das Heerwesen ein Beweis der politischen Reife und Vor einigen Jahren befand ich mich um die Osternzeit in einem Dorfe auf Ich frug den widerwilligen Beamten, was die Depesche bedeute. „Ueber¬ „Die Behörde weiß," fuhr er vorsichtig fort, „daß das Volk sich auf eine Grcnzbvtc». IV. 1849. 37
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Russische Recrutirnttg in Polen.
Es gibt Staaten, wo das Heerwesen ein Beweis der politischen Reife und
Würde des Volks ist, und ein Mittel zur Steigerung dieser schonen Prädicate;
in anderen Staaten dagegen beweist die Beschaffenheit des Militärs die politische
Würdelosigkeit des Volkes, ja es bezweckt und vermehrt dieselbe.
Vor einigen Jahren befand ich mich um die Osternzeit in einem Dorfe auf
dem linken Weichselnfer im Königreich Polen. Der Herr dieses Dorfes und noch
mehrerer, welche in der Nähe lagen, ließ sich Graf nennen, wozu er jedoch kein
unbestreitbares Recht hatte, er war Polizcicommtssarins eines kleinen Districtes,
welcher dreizehn Dörfer und Dörfchen mit etwa 2000 Seelen enthielt. Diese Wo^t.,-
^minstvvn, wörtlich Gcmeindcfnhrerschaft, gab ihm eine nicht unwichtige amtliche
Stellung, obwohl er durchaus keine geschäftliche Bildung hatte. Am Nachmittag
eines Sonnabends kam ein Unteroffizier der Gensdarmerie ans der ungefähr drei
Meilen entfernten Kreisstadt zum Grasen und überreichte ihm ein doppelt conver-
tirtes und zwei Mal mit drei amtlichen Siegeln verschlossenes Schreiben. Schon
die Erscheinung des Gensdarmen hatte dem Grafen, einem echten Polen, Verdruß
verursacht. Der Anblick der Depesche, deren Inhalt er gleich an ihrem Aeußern
erkannte, that dies noch mehr. Er schüttelte sich, schnob, stürmte im Zimmer
auf und nieder, kratzte sich in den Haaren und zog dabei eine Miene, als ob er
ein Donnerwetter von ungewöhnlicher Stärke über ganz Rußland wünsche: „Wollte
wich der liebe Himmel doch nur stets vor dieser Geschichte behüten," rief er, in¬
dem er das Schreiben durch die geöffnete Thür in das anstoßende kleine Zim¬
mer warf.
Ich frug den widerwilligen Beamten, was die Depesche bedeute. „Ueber¬
morgen Conscription — aber ich ersuche Sie, keine Sylbe laut werden zu lassen "
— „lind warum dies Geheimniß bei einer Sache, die doch nach einem Tage
offenkundig werden muß?" — „Weil sie Vorschrift ist und ich verantwortlich bin,"
war sein Bescheid.
„Die Behörde weiß," fuhr er vorsichtig fort, „daß das Volk sich auf eine
gräuliche Weise vor dem russischen Militärdienst fürchtet, und sich ihm ans jede
Mögliche Weise zu entziehen sucht. Selbst die Conscription, welcher man dadurch
ein ungefährliches Ansehen zu geben glaubt, daß man ans sie die Recrutirung
uicht unmittelbar folgen läßt, ist ein so gefürchtetes Ding, daß zuverlässig ein
großer Theil der stelluugspflichtigen Mannschaft flüchten würde, wenn sie vorher
über den Eintritt derselben in Kenntniß gesetzt wäre. Deshalb erhalte ich als
Grcnzbvtc». IV. 1849. 37
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