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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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ein als Lump Geborner im Schweiß seines Angesichts ein Vermögen erwirbt,
das ihn von seinen Bruder unterscheidet, so ist das ein prämcditirter Meuchel¬
mord der Freiheit! -- Und wie gehn diese Bourgeois mit uns um, uns, den
Propheten des neuen Evangeliums? Der Adel nennt uns Teufel, die am Zer¬
stören ihre Lust haben; vir bion! Teufel ist etwas Nobles, wir lassen uns den
Teufel gefallen. Teufel hat etwas Dämonisches. Aber diese Bürger haben die
Impertinenz, uus für Schafsköpfe zu erkläre", die wohl Barrikaden zu bauen
verstehn, aber keine Staaten, und das greift unsre Ehre an! Schafskopf ist nicht
nobel. Sie spotten unser mit ihrem satten Lächeln! mögen sie an unserm Fluch
ersticken!

Und hier begegnen-sich brüderlich die drei Ehrenmänner in einem zweiten
Stichwort: Professor, Doctrinär. Der Landjunker, der Heilige mit dem Johan¬
nesgesicht, der Wühler im Mondschein. Gelernt haben sie alle drei nichts, ihre
Vorfahren haben auch nichts gewußt, und doch hat sich der Staat in chrfamer
Frömmigkeit erhalten. Jetzt kommen diese Leute ans der Schule, und wollen
uns etwas vordemonstriren, diese Professoren! Wir sollen Gründe angeben! Und
wenn Gründe so wohlfeil wären als Brombeeren, mit Gewalt geben wir keinen
an! Reicht der Grund uicht ans, wenn wir ihnen sagen: (der Junker) ihr habt
kein Blut, keine Ahnen! (der Heilige) ihr habt keinen Glauben! (der Mondschein-
ritter) ihr habt keine Ideen! Mit einem Wort, ihr seid die Canaille, welche
vergessen hat, daß sie Canaille ist! --

Wir wissen jetzt, wer mit dem Collectivbegriff Bourgeoisie gemeint ist. Je¬
denfalls sehr verschiedene Elemente, welche aber unsere Romantik durch zwei sehr
bequeme Hausmittelchen in einen Topf zu werfen versteht.

Einmal versteht sie es, jeden Collectivbegriss zu persvnnisiciren. Sie spricht
von der Reaction, der Revolution, dem Absolutismus, dem Liberalismus, dem
Geist, der Kritik, dem Volk nud der Bourgeoisie ans eine Weise, als wenn es
sich um Personen handelte, die man prügeln und nöthigenfalls aufhängen könnte.
So gibt sie der Abstraction die formale Einheit.

Dann sucht sie, um diese Abstraction lebendig zu machen, ein bestimmtes,
einzelnes Bild, welches sie mit derselben identificirt. Für Bourgeoisie hat sie zwei
Typen, aus deu Croquis des Pariser Charivari entlehnt: den Proprietaire mit
blauem Frack, gelben Hosen, impertinent festen Stiefeln, dickem Bauch, rother
Nase und strammer Haltung, der seiue armen Miethsleute auspfäudeu und auf
die Straße werfen, läßt, sodann den kleinen Epicier, der in seinem Comtoir ver¬
kümmert ist, mit ganz dünnen Beinchen, blassen faltigen Wangen, gebückter Hal¬
tung, eine ungeheuer große und dicke Fran an seiner Seite, der er den Shawl
und die Kinder tragen muß, obgleich er sich selber kaum auf den Beinen hält.
Das ist ein bestimmtes, der Phantasie geläufiges Bild, das mau jener Abstrac¬
tion unterschiebt, und wenn man also von der tyrannischen Bourgeoisie, der Bonr-


ein als Lump Geborner im Schweiß seines Angesichts ein Vermögen erwirbt,
das ihn von seinen Bruder unterscheidet, so ist das ein prämcditirter Meuchel¬
mord der Freiheit! — Und wie gehn diese Bourgeois mit uns um, uns, den
Propheten des neuen Evangeliums? Der Adel nennt uns Teufel, die am Zer¬
stören ihre Lust haben; vir bion! Teufel ist etwas Nobles, wir lassen uns den
Teufel gefallen. Teufel hat etwas Dämonisches. Aber diese Bürger haben die
Impertinenz, uus für Schafsköpfe zu erkläre», die wohl Barrikaden zu bauen
verstehn, aber keine Staaten, und das greift unsre Ehre an! Schafskopf ist nicht
nobel. Sie spotten unser mit ihrem satten Lächeln! mögen sie an unserm Fluch
ersticken!

Und hier begegnen-sich brüderlich die drei Ehrenmänner in einem zweiten
Stichwort: Professor, Doctrinär. Der Landjunker, der Heilige mit dem Johan¬
nesgesicht, der Wühler im Mondschein. Gelernt haben sie alle drei nichts, ihre
Vorfahren haben auch nichts gewußt, und doch hat sich der Staat in chrfamer
Frömmigkeit erhalten. Jetzt kommen diese Leute ans der Schule, und wollen
uns etwas vordemonstriren, diese Professoren! Wir sollen Gründe angeben! Und
wenn Gründe so wohlfeil wären als Brombeeren, mit Gewalt geben wir keinen
an! Reicht der Grund uicht ans, wenn wir ihnen sagen: (der Junker) ihr habt
kein Blut, keine Ahnen! (der Heilige) ihr habt keinen Glauben! (der Mondschein-
ritter) ihr habt keine Ideen! Mit einem Wort, ihr seid die Canaille, welche
vergessen hat, daß sie Canaille ist! —

Wir wissen jetzt, wer mit dem Collectivbegriff Bourgeoisie gemeint ist. Je¬
denfalls sehr verschiedene Elemente, welche aber unsere Romantik durch zwei sehr
bequeme Hausmittelchen in einen Topf zu werfen versteht.

Einmal versteht sie es, jeden Collectivbegriss zu persvnnisiciren. Sie spricht
von der Reaction, der Revolution, dem Absolutismus, dem Liberalismus, dem
Geist, der Kritik, dem Volk nud der Bourgeoisie ans eine Weise, als wenn es
sich um Personen handelte, die man prügeln und nöthigenfalls aufhängen könnte.
So gibt sie der Abstraction die formale Einheit.

Dann sucht sie, um diese Abstraction lebendig zu machen, ein bestimmtes,
einzelnes Bild, welches sie mit derselben identificirt. Für Bourgeoisie hat sie zwei
Typen, aus deu Croquis des Pariser Charivari entlehnt: den Proprietaire mit
blauem Frack, gelben Hosen, impertinent festen Stiefeln, dickem Bauch, rother
Nase und strammer Haltung, der seiue armen Miethsleute auspfäudeu und auf
die Straße werfen, läßt, sodann den kleinen Epicier, der in seinem Comtoir ver¬
kümmert ist, mit ganz dünnen Beinchen, blassen faltigen Wangen, gebückter Hal¬
tung, eine ungeheuer große und dicke Fran an seiner Seite, der er den Shawl
und die Kinder tragen muß, obgleich er sich selber kaum auf den Beinen hält.
Das ist ein bestimmtes, der Phantasie geläufiges Bild, das mau jener Abstrac¬
tion unterschiebt, und wenn man also von der tyrannischen Bourgeoisie, der Bonr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/288>, abgerufen am 15.01.2025.