Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Den Bußpredigern, die gegen dieses Scheusal der neuen Zeit zu Felde ziehn, Also zuerst: wer ist eigentlich diese Bourgeoisie, der mau so viel schlimme Nehmen wir einen Edelmann, einen Tory, der 36 Ahnen wohlgezählt auf Den Bußpredigern, die gegen dieses Scheusal der neuen Zeit zu Felde ziehn, Also zuerst: wer ist eigentlich diese Bourgeoisie, der mau so viel schlimme Nehmen wir einen Edelmann, einen Tory, der 36 Ahnen wohlgezählt auf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279833"/> <p xml:id="ID_1010"> Den Bußpredigern, die gegen dieses Scheusal der neuen Zeit zu Felde ziehn,<lb/> ich weiß nicht, ob mit größerer Erbitterung in den Vorsälen der hohen Herrschaften<lb/> oder in den Bierstuben des Kommunismus, wird es um so bequemer, die schau¬<lb/> derhaften Eigenschaften des Chamäleons in Callotscher Manier auszumalen, da sie<lb/> es überall im Dunkeln lassen, auf wen sich die Schilderung eigentlich bezieht.<lb/> Die Grenzboten, deren Hauptaufgabe es ist, die roman lischen Illusionen<lb/> unsers Zeitalters aufzulösen, die banalen Phrasen, die um so größere<lb/> Macht ausüben, je weniger Verstand im Volle ist, auf ihren eigentlichen Sinn<lb/> zinückzuführeu und dadurch unschädlich zu machen, werden anch diesmal die Vogel-<lb/> scheuche ihrer bunten Federn und Schellen entkleiden, und bitten im Voraus um<lb/> Entschuldigung, wenn sie es mit der gewöhnten UnHöflichkeit thun. Ihrer vor¬<lb/> züglichsten Liebe und Hochachtung aber versichern sie die edlen Seelen, die, selber<lb/> aus den Kreisen der Bourgeoisie, sich unterthänig vor dem Herrn Baron v. X.<lb/> verbeugen und vertraulich dem souveränen Schusterjungen K). "uf die Schultern<lb/> klopfen, nach beiden Seiten hin mit der Versicherung, daß Edelmut!) und Seelen-<lb/> größe nur bei den Baronen und Schusterjungen wohne, nud daß alles übrige unter<lb/> die Guillotine müsse, wenn die Morgenröthe der neuen Zeit in Wahrheit aufgehen soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1011"> Also zuerst: wer ist eigentlich diese Bourgeoisie, der mau so viel schlimme<lb/> Dinge nachredet?</p><lb/> <p xml:id="ID_1012" next="#ID_1013"> Nehmen wir einen Edelmann, einen Tory, der 36 Ahnen wohlgezählt auf<lb/> seinem Stammbaum im Koffer verschließt, der das Recht hat, Gardelientnant und<lb/> Kammerjunker zu werden, der courfähig ist und die schickliche Summe Schulden<lb/> besitzt. Obgleich ein Abonnent der Kreuzzeitung, ist er doch nicht feindselig ge¬<lb/> stimmt gegen Jeden, in dem das blaue Blut der Rotüre fließt. Der Manu in<lb/> Livree, der ihm die Stiefeln putzt, und den er gelegentlich ohrfeigen kann, der<lb/> Mann im Schurzfell, der ihm sein Pferd beschlägt, selbst die betrnnknen Gesellen,<lb/> die am blauen Montag ans der Straße heulen — er wird zwar eine nähere Allianz<lb/> mit ihnen nicht suchen, aber er wird ihnen gnädig zunicken, wenn sie den Hut<lb/> vor ihm abziehn, denn er hat Christenthum, es gehört zu den Vorrechten seines<lb/> Standes, sich um Thron und Altar zu schaaren und bei passender Gelegenheit<lb/> sich von der Kanzel herab die christliche Liebe empfehlen zu lassen. Die christliche<lb/> Liebe! Er denkt für sich: „Das ist zwar Canaille, mehr Schwein als Mensch,<lb/> aber das weiß doch, wen es vor sich hat! das fühlt doch den Abstand zwischen<lb/> einer thierischen Natur und einer noblen!" Wenn aber der gemeine Plebejer in<lb/> der nivellireuden, destructiven Tracht des Pariser Fracks neben ihm steht, kaum<lb/> in der Chaussure und der Cravatte zu unterscheiden, wenn er auf der nämlichen<lb/> Schulbank sitzt und die Unverschämtheit hat, eine geometrische Aufgabe gewandter<lb/> zu lösen, als der hochgeborne Erbe jener ritterlichen Zeit, die sich mit dem<lb/> Euklid noch nichts zu thun machte, und die sich doch eines Königs erfreute und<lb/> einer Ritterschaft; wenn er am Aktentisch dem Herrn Baron den Rang abläuft und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0285]
Den Bußpredigern, die gegen dieses Scheusal der neuen Zeit zu Felde ziehn,
ich weiß nicht, ob mit größerer Erbitterung in den Vorsälen der hohen Herrschaften
oder in den Bierstuben des Kommunismus, wird es um so bequemer, die schau¬
derhaften Eigenschaften des Chamäleons in Callotscher Manier auszumalen, da sie
es überall im Dunkeln lassen, auf wen sich die Schilderung eigentlich bezieht.
Die Grenzboten, deren Hauptaufgabe es ist, die roman lischen Illusionen
unsers Zeitalters aufzulösen, die banalen Phrasen, die um so größere
Macht ausüben, je weniger Verstand im Volle ist, auf ihren eigentlichen Sinn
zinückzuführeu und dadurch unschädlich zu machen, werden anch diesmal die Vogel-
scheuche ihrer bunten Federn und Schellen entkleiden, und bitten im Voraus um
Entschuldigung, wenn sie es mit der gewöhnten UnHöflichkeit thun. Ihrer vor¬
züglichsten Liebe und Hochachtung aber versichern sie die edlen Seelen, die, selber
aus den Kreisen der Bourgeoisie, sich unterthänig vor dem Herrn Baron v. X.
verbeugen und vertraulich dem souveränen Schusterjungen K). "uf die Schultern
klopfen, nach beiden Seiten hin mit der Versicherung, daß Edelmut!) und Seelen-
größe nur bei den Baronen und Schusterjungen wohne, nud daß alles übrige unter
die Guillotine müsse, wenn die Morgenröthe der neuen Zeit in Wahrheit aufgehen soll.
Also zuerst: wer ist eigentlich diese Bourgeoisie, der mau so viel schlimme
Dinge nachredet?
Nehmen wir einen Edelmann, einen Tory, der 36 Ahnen wohlgezählt auf
seinem Stammbaum im Koffer verschließt, der das Recht hat, Gardelientnant und
Kammerjunker zu werden, der courfähig ist und die schickliche Summe Schulden
besitzt. Obgleich ein Abonnent der Kreuzzeitung, ist er doch nicht feindselig ge¬
stimmt gegen Jeden, in dem das blaue Blut der Rotüre fließt. Der Manu in
Livree, der ihm die Stiefeln putzt, und den er gelegentlich ohrfeigen kann, der
Mann im Schurzfell, der ihm sein Pferd beschlägt, selbst die betrnnknen Gesellen,
die am blauen Montag ans der Straße heulen — er wird zwar eine nähere Allianz
mit ihnen nicht suchen, aber er wird ihnen gnädig zunicken, wenn sie den Hut
vor ihm abziehn, denn er hat Christenthum, es gehört zu den Vorrechten seines
Standes, sich um Thron und Altar zu schaaren und bei passender Gelegenheit
sich von der Kanzel herab die christliche Liebe empfehlen zu lassen. Die christliche
Liebe! Er denkt für sich: „Das ist zwar Canaille, mehr Schwein als Mensch,
aber das weiß doch, wen es vor sich hat! das fühlt doch den Abstand zwischen
einer thierischen Natur und einer noblen!" Wenn aber der gemeine Plebejer in
der nivellireuden, destructiven Tracht des Pariser Fracks neben ihm steht, kaum
in der Chaussure und der Cravatte zu unterscheiden, wenn er auf der nämlichen
Schulbank sitzt und die Unverschämtheit hat, eine geometrische Aufgabe gewandter
zu lösen, als der hochgeborne Erbe jener ritterlichen Zeit, die sich mit dem
Euklid noch nichts zu thun machte, und die sich doch eines Königs erfreute und
einer Ritterschaft; wenn er am Aktentisch dem Herrn Baron den Rang abläuft und
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |