Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Cin gutes Wort für die Bourgeoisie.



Es ist noch nicht lange her, als die after Herren von guter Gesinnung in
jedem Liberalen den Samen Jsaschar'ö witterten nud die ganze Doctrin der übel¬
gesinnten Opposition aus dem Talmud herleiteten. Ein Stichwort mag noch so
kräftig sein, zuletzt verbraucht sich's doch, so ging es mit dem Juden. Seitdem
hat die Loyalität sich eine neue Phrase angeeignet, und es ist charakteristisch für
sie, daß sie selber uicht im Stande war, ein tüchtiges Wort auszudenken, daß
sie zu den Rothhäuten in die Schule gehen mußte. Und nicht einmal bei den
Eingebornen fand sie Nath, sie flüchtete zu den sonst so übel berufenen Franzosen
nud lernte die Gespenstergeschichten von Louis Blanc und Michelet auswendig, um
sich selber vor dem neuerfundenen Gottseibeiuns mit sieben Hörnern und sieben
Klauen, der Bourgeoisie, das angemessene erbauliche Entsetzen einzuflößen.

Seitdem ist in der Geschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts
ein neues Licht aufgesteckt. Es siud nicht, wie der Jesuit Barrnel erwiesen zu haben
glaubte, die Freimaurer, welche die Aufklärung, die Revolution und all den
Greuel, der weiter daraus entsprang, veranlaßt haben, es find auch nicht die
Juden, es ist eine viel gefährlichere, viel verderbtere und viel dunklere Verschwö¬
rung, in der sich die unheiligen Fäoen der modernen Gottlosigkeit verzweigen --
die schauderhafte Verschwörung der Bourgeosie.

Ja, es gibt in unserm civilisirten Europa eine Seele, die gleich dem Vampyr
von dem Blut der nothleidenden Menschheit ihr schattenhaftes Traumleben fristet,
die mit dem ruchlosen Raffinement der Hölle den Menschen, das Ebenbild Gottes,
in den Staub getreten, die endlich auch den Bund, den Gott mit ihm geschlossen,
zerrissen hat; eine Art Molochspriester, die täglich ihre und die fremde Erstgeburt
dem nämlichen Sticrofen schlachten, dessen sich die Daumerscheu Christen bedienen;
ein geheimer Bund der Finsterniß, der die Heiligenbilder Liebe, Glaube, Ehre,
Treue, Religion, Tugend, Sittlichkeit, Demuth u. s. w. mit dem blassen Neid
eines von Gott verworfenen Geschlechts zerfleischt und entweiht; ein Cultus des
Gottes Mammon, ausgeübt von entmenschten Krämerseelen ohne Herz im Leibe
und ohne Blut in den Adern. Diese unheimliche Secte, die man nirgend sieht
und die doch überall umherschleicht, ist die Bourgeoisie.


Grenzboten., to. 134S. 36
Cin gutes Wort für die Bourgeoisie.



Es ist noch nicht lange her, als die after Herren von guter Gesinnung in
jedem Liberalen den Samen Jsaschar'ö witterten nud die ganze Doctrin der übel¬
gesinnten Opposition aus dem Talmud herleiteten. Ein Stichwort mag noch so
kräftig sein, zuletzt verbraucht sich's doch, so ging es mit dem Juden. Seitdem
hat die Loyalität sich eine neue Phrase angeeignet, und es ist charakteristisch für
sie, daß sie selber uicht im Stande war, ein tüchtiges Wort auszudenken, daß
sie zu den Rothhäuten in die Schule gehen mußte. Und nicht einmal bei den
Eingebornen fand sie Nath, sie flüchtete zu den sonst so übel berufenen Franzosen
nud lernte die Gespenstergeschichten von Louis Blanc und Michelet auswendig, um
sich selber vor dem neuerfundenen Gottseibeiuns mit sieben Hörnern und sieben
Klauen, der Bourgeoisie, das angemessene erbauliche Entsetzen einzuflößen.

Seitdem ist in der Geschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts
ein neues Licht aufgesteckt. Es siud nicht, wie der Jesuit Barrnel erwiesen zu haben
glaubte, die Freimaurer, welche die Aufklärung, die Revolution und all den
Greuel, der weiter daraus entsprang, veranlaßt haben, es find auch nicht die
Juden, es ist eine viel gefährlichere, viel verderbtere und viel dunklere Verschwö¬
rung, in der sich die unheiligen Fäoen der modernen Gottlosigkeit verzweigen —
die schauderhafte Verschwörung der Bourgeosie.

Ja, es gibt in unserm civilisirten Europa eine Seele, die gleich dem Vampyr
von dem Blut der nothleidenden Menschheit ihr schattenhaftes Traumleben fristet,
die mit dem ruchlosen Raffinement der Hölle den Menschen, das Ebenbild Gottes,
in den Staub getreten, die endlich auch den Bund, den Gott mit ihm geschlossen,
zerrissen hat; eine Art Molochspriester, die täglich ihre und die fremde Erstgeburt
dem nämlichen Sticrofen schlachten, dessen sich die Daumerscheu Christen bedienen;
ein geheimer Bund der Finsterniß, der die Heiligenbilder Liebe, Glaube, Ehre,
Treue, Religion, Tugend, Sittlichkeit, Demuth u. s. w. mit dem blassen Neid
eines von Gott verworfenen Geschlechts zerfleischt und entweiht; ein Cultus des
Gottes Mammon, ausgeübt von entmenschten Krämerseelen ohne Herz im Leibe
und ohne Blut in den Adern. Diese unheimliche Secte, die man nirgend sieht
und die doch überall umherschleicht, ist die Bourgeoisie.


Grenzboten., to. 134S. 36
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279832"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Cin gutes Wort für die Bourgeoisie.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1007"> Es ist noch nicht lange her, als die after Herren von guter Gesinnung in<lb/>
jedem Liberalen den Samen Jsaschar'ö witterten nud die ganze Doctrin der übel¬<lb/>
gesinnten Opposition aus dem Talmud herleiteten. Ein Stichwort mag noch so<lb/>
kräftig sein, zuletzt verbraucht sich's doch, so ging es mit dem Juden. Seitdem<lb/>
hat die Loyalität sich eine neue Phrase angeeignet, und es ist charakteristisch für<lb/>
sie, daß sie selber uicht im Stande war, ein tüchtiges Wort auszudenken, daß<lb/>
sie zu den Rothhäuten in die Schule gehen mußte. Und nicht einmal bei den<lb/>
Eingebornen fand sie Nath, sie flüchtete zu den sonst so übel berufenen Franzosen<lb/>
nud lernte die Gespenstergeschichten von Louis Blanc und Michelet auswendig, um<lb/>
sich selber vor dem neuerfundenen Gottseibeiuns mit sieben Hörnern und sieben<lb/>
Klauen, der Bourgeoisie, das angemessene erbauliche Entsetzen einzuflößen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1008"> Seitdem ist in der Geschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts<lb/>
ein neues Licht aufgesteckt. Es siud nicht, wie der Jesuit Barrnel erwiesen zu haben<lb/>
glaubte, die Freimaurer, welche die Aufklärung, die Revolution und all den<lb/>
Greuel, der weiter daraus entsprang, veranlaßt haben, es find auch nicht die<lb/>
Juden, es ist eine viel gefährlichere, viel verderbtere und viel dunklere Verschwö¬<lb/>
rung, in der sich die unheiligen Fäoen der modernen Gottlosigkeit verzweigen &#x2014;<lb/>
die schauderhafte Verschwörung der Bourgeosie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1009"> Ja, es gibt in unserm civilisirten Europa eine Seele, die gleich dem Vampyr<lb/>
von dem Blut der nothleidenden Menschheit ihr schattenhaftes Traumleben fristet,<lb/>
die mit dem ruchlosen Raffinement der Hölle den Menschen, das Ebenbild Gottes,<lb/>
in den Staub getreten, die endlich auch den Bund, den Gott mit ihm geschlossen,<lb/>
zerrissen hat; eine Art Molochspriester, die täglich ihre und die fremde Erstgeburt<lb/>
dem nämlichen Sticrofen schlachten, dessen sich die Daumerscheu Christen bedienen;<lb/>
ein geheimer Bund der Finsterniß, der die Heiligenbilder Liebe, Glaube, Ehre,<lb/>
Treue, Religion, Tugend, Sittlichkeit, Demuth u. s. w. mit dem blassen Neid<lb/>
eines von Gott verworfenen Geschlechts zerfleischt und entweiht; ein Cultus des<lb/>
Gottes Mammon, ausgeübt von entmenschten Krämerseelen ohne Herz im Leibe<lb/>
und ohne Blut in den Adern. Diese unheimliche Secte, die man nirgend sieht<lb/>
und die doch überall umherschleicht, ist die Bourgeoisie.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten., to. 134S. 36</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0284] Cin gutes Wort für die Bourgeoisie. Es ist noch nicht lange her, als die after Herren von guter Gesinnung in jedem Liberalen den Samen Jsaschar'ö witterten nud die ganze Doctrin der übel¬ gesinnten Opposition aus dem Talmud herleiteten. Ein Stichwort mag noch so kräftig sein, zuletzt verbraucht sich's doch, so ging es mit dem Juden. Seitdem hat die Loyalität sich eine neue Phrase angeeignet, und es ist charakteristisch für sie, daß sie selber uicht im Stande war, ein tüchtiges Wort auszudenken, daß sie zu den Rothhäuten in die Schule gehen mußte. Und nicht einmal bei den Eingebornen fand sie Nath, sie flüchtete zu den sonst so übel berufenen Franzosen nud lernte die Gespenstergeschichten von Louis Blanc und Michelet auswendig, um sich selber vor dem neuerfundenen Gottseibeiuns mit sieben Hörnern und sieben Klauen, der Bourgeoisie, das angemessene erbauliche Entsetzen einzuflößen. Seitdem ist in der Geschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts ein neues Licht aufgesteckt. Es siud nicht, wie der Jesuit Barrnel erwiesen zu haben glaubte, die Freimaurer, welche die Aufklärung, die Revolution und all den Greuel, der weiter daraus entsprang, veranlaßt haben, es find auch nicht die Juden, es ist eine viel gefährlichere, viel verderbtere und viel dunklere Verschwö¬ rung, in der sich die unheiligen Fäoen der modernen Gottlosigkeit verzweigen — die schauderhafte Verschwörung der Bourgeosie. Ja, es gibt in unserm civilisirten Europa eine Seele, die gleich dem Vampyr von dem Blut der nothleidenden Menschheit ihr schattenhaftes Traumleben fristet, die mit dem ruchlosen Raffinement der Hölle den Menschen, das Ebenbild Gottes, in den Staub getreten, die endlich auch den Bund, den Gott mit ihm geschlossen, zerrissen hat; eine Art Molochspriester, die täglich ihre und die fremde Erstgeburt dem nämlichen Sticrofen schlachten, dessen sich die Daumerscheu Christen bedienen; ein geheimer Bund der Finsterniß, der die Heiligenbilder Liebe, Glaube, Ehre, Treue, Religion, Tugend, Sittlichkeit, Demuth u. s. w. mit dem blassen Neid eines von Gott verworfenen Geschlechts zerfleischt und entweiht; ein Cultus des Gottes Mammon, ausgeübt von entmenschten Krämerseelen ohne Herz im Leibe und ohne Blut in den Adern. Diese unheimliche Secte, die man nirgend sieht und die doch überall umherschleicht, ist die Bourgeoisie. Grenzboten., to. 134S. 36

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/284
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/284>, abgerufen am 15.01.2025.