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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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schmerzlich, spielte um die schmalen zusammengepreßten Lippen. Aber wenn er
erst, wie sein Roß, die großen dunklen Augen aufschlug, that es Einem doppelt
weh, das Geplauder der Schnitterburschen anzuhören. -- Er wird nicht viel
Vater Unser mehr beten, der arme Junge. -- Zwei Tage haben sie ihn verfolgen
müssen und dann hat er sich noch sakrisch gewehrt. -- Ha, wenn's dem geglückt
wär', über die ungrische Grenze zu kommen! -- Konnte er auch jede Minute in's
Gras beißen. -- Ja, sagte der älteste der Burschen; dort konnte er, hier muß
er. Und s'ist was Anders, auf freiem Feld, hoch zu Roß, uuter Trompetenschall
und Kanvnengelänt, tausend Bruderherzen um sich, für seine Nation zu fallen,
oder allein, im Morgennebel an einer Kirchhofmauer, oder im Stadtgraben zu
Wien sich die Augen verbinden lassen und mit den Jägern blinde Kuh spielen! --
Ein schwerer Seufzer entfuhr den Andern, das Rößlein draußen zuckte hautschau-
derud auf, erschreckend vor dem Gedanken seinen Herrn zu überleben, der
Wind seufzte in den Pappeln und selbst der hölzerne Storch, das Wirthsschild
über der Thüre, schien trauernd den langen gekrümmten Hals mit dem frommen
Kopfe und langen Schnabel tiefer zu senken als gewöhnlich. Nur der Gefangene
stand wie eine Bildsäule.

Während der Hausknecht deu beiden Kürassicrpferden Heu und Wasser reichte,
hatte die Wirthstochter, die schlanke Kathi, einen Blick dnrch's Fenster geworfen
und sich des Husaren erbarmt. Die verwundete linke Hand war ihrem raschen
Auge nicht entgangen und sie brachte ihm deshalb kleingeschnittenes Brot auf
einem Teller; auch einige saftige Kaiserbirnen, um die schmachtenden Lippen zu
erfrischen. Die Birnen steckte er in die Tasche, das Brot theilte er brüderlich
mit seinem Rößlein, welches die Schnittchen ihm ans der Hand aß. Der Husar
dankte mit einem Blick, den Kathi gewiß noch nicht vergessen hat, und lehnte sich
an den Hals des treuen Thieres, unter der Mähne sein Gesicht verbergend.

Jetzt klirrten die Kürassiere wieder ans der Schenke heraus, zum Aufbruch
mahnend. Aber Kathi besann sich, daß dem Gefangenen ein Trunk Noth that;
eilends kam sie zum zweiten Male, ein großes geschliffenes Glas voll rothen
Weines in der einen Hand, die andere schüchtern auf die Schulter des Husaren
legend. Er richtete sich ans, ließ sein Roß von der Gottesgabe schlürfen, trank
in zwei Zügen aus, dann hob er das Glas in die Höhe und legte die verbun¬
dene Hand aufs Herz, einen stummen Toast ausbringend. Selbst die Jäger und
Kürassiere sahen nicht ohne Theilnahme zu, warteten geduldig, bis der Gefangene
getrunken hatte und enthielten sich, den Ernst des Moments achtend, die schöne
Wirthstochter um den Leib zu nehmen oder nur am Kinn zu fassen. Die Schuit-
terburscheu jedoch überkam es gewaltig; sie mußten ihren Gefühlen auf irgeud
eine Weise Luft mache", und so schwenkten sie die Hüte und riefen Eljen, Eljen,
Eljen! -- die Soldaten, den Namen des Erbfeindes Kossuth erwartend, legten
die Hand an's Seitengewehr -- Eljen Kathi! Der Husar verstand Alles, was


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schmerzlich, spielte um die schmalen zusammengepreßten Lippen. Aber wenn er
erst, wie sein Roß, die großen dunklen Augen aufschlug, that es Einem doppelt
weh, das Geplauder der Schnitterburschen anzuhören. — Er wird nicht viel
Vater Unser mehr beten, der arme Junge. — Zwei Tage haben sie ihn verfolgen
müssen und dann hat er sich noch sakrisch gewehrt. — Ha, wenn's dem geglückt
wär', über die ungrische Grenze zu kommen! — Konnte er auch jede Minute in's
Gras beißen. — Ja, sagte der älteste der Burschen; dort konnte er, hier muß
er. Und s'ist was Anders, auf freiem Feld, hoch zu Roß, uuter Trompetenschall
und Kanvnengelänt, tausend Bruderherzen um sich, für seine Nation zu fallen,
oder allein, im Morgennebel an einer Kirchhofmauer, oder im Stadtgraben zu
Wien sich die Augen verbinden lassen und mit den Jägern blinde Kuh spielen! —
Ein schwerer Seufzer entfuhr den Andern, das Rößlein draußen zuckte hautschau-
derud auf, erschreckend vor dem Gedanken seinen Herrn zu überleben, der
Wind seufzte in den Pappeln und selbst der hölzerne Storch, das Wirthsschild
über der Thüre, schien trauernd den langen gekrümmten Hals mit dem frommen
Kopfe und langen Schnabel tiefer zu senken als gewöhnlich. Nur der Gefangene
stand wie eine Bildsäule.

Während der Hausknecht deu beiden Kürassicrpferden Heu und Wasser reichte,
hatte die Wirthstochter, die schlanke Kathi, einen Blick dnrch's Fenster geworfen
und sich des Husaren erbarmt. Die verwundete linke Hand war ihrem raschen
Auge nicht entgangen und sie brachte ihm deshalb kleingeschnittenes Brot auf
einem Teller; auch einige saftige Kaiserbirnen, um die schmachtenden Lippen zu
erfrischen. Die Birnen steckte er in die Tasche, das Brot theilte er brüderlich
mit seinem Rößlein, welches die Schnittchen ihm ans der Hand aß. Der Husar
dankte mit einem Blick, den Kathi gewiß noch nicht vergessen hat, und lehnte sich
an den Hals des treuen Thieres, unter der Mähne sein Gesicht verbergend.

Jetzt klirrten die Kürassiere wieder ans der Schenke heraus, zum Aufbruch
mahnend. Aber Kathi besann sich, daß dem Gefangenen ein Trunk Noth that;
eilends kam sie zum zweiten Male, ein großes geschliffenes Glas voll rothen
Weines in der einen Hand, die andere schüchtern auf die Schulter des Husaren
legend. Er richtete sich ans, ließ sein Roß von der Gottesgabe schlürfen, trank
in zwei Zügen aus, dann hob er das Glas in die Höhe und legte die verbun¬
dene Hand aufs Herz, einen stummen Toast ausbringend. Selbst die Jäger und
Kürassiere sahen nicht ohne Theilnahme zu, warteten geduldig, bis der Gefangene
getrunken hatte und enthielten sich, den Ernst des Moments achtend, die schöne
Wirthstochter um den Leib zu nehmen oder nur am Kinn zu fassen. Die Schuit-
terburscheu jedoch überkam es gewaltig; sie mußten ihren Gefühlen auf irgeud
eine Weise Luft mache», und so schwenkten sie die Hüte und riefen Eljen, Eljen,
Eljen! — die Soldaten, den Namen des Erbfeindes Kossuth erwartend, legten
die Hand an's Seitengewehr — Eljen Kathi! Der Husar verstand Alles, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/270>, abgerufen am 15.01.2025.