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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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teil und ein Gefühl der Schwäche eingetreten, welches ein feinfühlender Stamm
a"f die Länge nicht erträgt. Noch ist nicht abzusehn, wie und in welcher Rich¬
tung sich der Schmerz über diese innerliche Abzehrung zunächst Lust machen
wird; die erste Stimmung ist jetzt ein zänkisches Grollen des kranken Volkes gegen
olle Parteien ; jedenfalls aber ist dieser Zustand für die Krone sehr bedenklich. --
^eit 8 Tagen sollen die Kammern zusammentreten, noch immer fehlt die beschlu߬
fähige Anzahl der Mitglieder, weil das Volk zum Theil abgespannt, zum Theil
erbittert ist. Auch mit diesen Kammern wird die Regierung ans die Länge nicht
auskommen, in ihrer isolirten Lage mit keinen mehr; vielleicht selbst dann nicht,
wenn sie deu Muth hätte, ein neues Wahlgesetz oder noch weiter zu octroyiren.

Es gibt für das Volk und für die Regierung, welche eine gute Proviuzial-
regieruug sein kann, aber keine souveräne Größe, nur ein Mittel, aus diesem
schlaffen, kläglichen Zustand herauszukommen. Dem Volke muß die Möglichkeit
geboten sein, sich für Etwas zu erwärmen, größere Interessen in sich aufzunehmen,
und mit anderen deutschen Stämmen, welche entgegengesetzte Eigenthümlichkeiten
haben, in eine Verbindung zu trete", welche die Sachsen befestigt und erhebt,
"hre sie zu verderben. Jedes andere EinhcitSwcrk wäre dem Sachsen angenehmer,
als das vou Preußen angebahnte; aber wie es jetzt steht in Europa, und wie
Sachsen liegt, mit zwei Drittheilen seiner Grenzen und mit neun Zchnthcilen sei¬
ner Interessen am Bundesstaat, bleibt ihm keine Wahl mehr. Ja, der endliche
Beitritt Sachsens zur "norddeutschen Union" ist so wenig zweifelhaft, und wird
U> kurzem so dringend nothwendig werden, daß hier zunächst nnr die Verzögerung
U" Interesse Sachsens sowohl als des neue" Bundesstaates beklagt werden darf.

Wenn die gegenwärtigen sächsischen Kammern wirklich beschlußfähig werden
!">d sich so parlamentarisch zeig,en, daß die Regierung einige Wochen hindurch
wie ihnen auskommt, mag eS wohl geschehen, daß sie in ihrer Majorität gegen
das DrciköuigSbündniß sprechen, weil es den Sachsen aus naheliegenden Gründen
"och ungemüthlich und widerwärtig ist; aber eben so sicher ist, daß das sächsische
Volk im nächsten Jahr den Anschluß an den Bundesstaat fordern und durchsetzen
^'ird; die Regierung Sachsens aber wird bis dahin Gelegenheit haben, zu fühlen,
daß der Weg der isolirten Souveränität, auf dem sie jetzt geht, ein Martyrium
^, für welches ihr Niemand dankt.




teil und ein Gefühl der Schwäche eingetreten, welches ein feinfühlender Stamm
a»f die Länge nicht erträgt. Noch ist nicht abzusehn, wie und in welcher Rich¬
tung sich der Schmerz über diese innerliche Abzehrung zunächst Lust machen
wird; die erste Stimmung ist jetzt ein zänkisches Grollen des kranken Volkes gegen
olle Parteien ; jedenfalls aber ist dieser Zustand für die Krone sehr bedenklich. —
^eit 8 Tagen sollen die Kammern zusammentreten, noch immer fehlt die beschlu߬
fähige Anzahl der Mitglieder, weil das Volk zum Theil abgespannt, zum Theil
erbittert ist. Auch mit diesen Kammern wird die Regierung ans die Länge nicht
auskommen, in ihrer isolirten Lage mit keinen mehr; vielleicht selbst dann nicht,
wenn sie deu Muth hätte, ein neues Wahlgesetz oder noch weiter zu octroyiren.

Es gibt für das Volk und für die Regierung, welche eine gute Proviuzial-
regieruug sein kann, aber keine souveräne Größe, nur ein Mittel, aus diesem
schlaffen, kläglichen Zustand herauszukommen. Dem Volke muß die Möglichkeit
geboten sein, sich für Etwas zu erwärmen, größere Interessen in sich aufzunehmen,
und mit anderen deutschen Stämmen, welche entgegengesetzte Eigenthümlichkeiten
haben, in eine Verbindung zu trete», welche die Sachsen befestigt und erhebt,
"hre sie zu verderben. Jedes andere EinhcitSwcrk wäre dem Sachsen angenehmer,
als das vou Preußen angebahnte; aber wie es jetzt steht in Europa, und wie
Sachsen liegt, mit zwei Drittheilen seiner Grenzen und mit neun Zchnthcilen sei¬
ner Interessen am Bundesstaat, bleibt ihm keine Wahl mehr. Ja, der endliche
Beitritt Sachsens zur „norddeutschen Union" ist so wenig zweifelhaft, und wird
U> kurzem so dringend nothwendig werden, daß hier zunächst nnr die Verzögerung
U» Interesse Sachsens sowohl als des neue» Bundesstaates beklagt werden darf.

Wenn die gegenwärtigen sächsischen Kammern wirklich beschlußfähig werden
!">d sich so parlamentarisch zeig,en, daß die Regierung einige Wochen hindurch
wie ihnen auskommt, mag eS wohl geschehen, daß sie in ihrer Majorität gegen
das DrciköuigSbündniß sprechen, weil es den Sachsen aus naheliegenden Gründen
»och ungemüthlich und widerwärtig ist; aber eben so sicher ist, daß das sächsische
Volk im nächsten Jahr den Anschluß an den Bundesstaat fordern und durchsetzen
^'ird; die Regierung Sachsens aber wird bis dahin Gelegenheit haben, zu fühlen,
daß der Weg der isolirten Souveränität, auf dem sie jetzt geht, ein Martyrium
^, für welches ihr Niemand dankt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/265>, abgerufen am 15.01.2025.