Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.wird, nicht die Idee an sich, sondern die Illusion überwunden zusahen. Um diesen Faust versichert uns, er habe sämmtliche Wissenschaften studirt, und sei zu Die moralische und wissenschaftliche Skepsis muß sich in ihrer Lächerlichkeit Die Poesie hat vielmehr die Aufgabe, auch in dieser Krankheit den gesunden Grcnzlwten. IV. 184g.
wird, nicht die Idee an sich, sondern die Illusion überwunden zusahen. Um diesen Faust versichert uns, er habe sämmtliche Wissenschaften studirt, und sei zu Die moralische und wissenschaftliche Skepsis muß sich in ihrer Lächerlichkeit Die Poesie hat vielmehr die Aufgabe, auch in dieser Krankheit den gesunden Grcnzlwten. IV. 184g.
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wird, nicht die Idee an sich, sondern die Illusion überwunden zusahen. Um diesen
Punkt deutlich zu macheu, komme ich auf die Blasirtheit Faust's zurück.
Faust versichert uns, er habe sämmtliche Wissenschaften studirt, und sei zu
dem Resultat gekommen, mau könne nichts wissen, was wesentlich zur Förderung
der Menschheit beitrage. Diese Art Skepsis ist in der Regel (man denke an Mon¬
taigne und Pascal) das Resultat eines dilettantisch, universell unruhigen Studiums,
dem es mehr auf die Masse der Gegenstände, als auf ihre Exactheit ankommt.
Mir geht es mit Faust wie mit Don Ina», ich glaube an seine große Gelehr¬
samkeit uicht. Wer die mathematisch-physikalischen Wissenschaften studirt, dnrch eigene
Forschung gefördert, und in ihrer Anwendung anf's Leben verfolgt hat, der ist
uicht recht bei Sinnen, wenn er behauptet, er wisse Nichts. Es fällt ihm auch
gar uicht el». Wie aber Faust studirt hat, darüber gibt uns seine Thätigkeit als
Arzt ein Zeugniß ; er hat die gegebenen Vorstellungen gelernt, darüber naturphi-
losophisch phantasirt, und sich allerlei einfallen lassen, bis es ihm zuletzt lang¬
weilig wurde. Die Verzweiflung am Wissen ist das Zeichen eines halbgebildeter
Antodidacten, der über Alles gebildet zu sprechen weiß, der aber nirgend voll¬
ständig zu Hause ist. Faust als Gelehrter ist halb Wagner, d. h. unselbstständig
receptiv, Sammler ohne Productivität, halb Phantast. So bleibt ihm als Re¬
sultat uur der Witz, wie ihn Mephistopheles ausübt. Diese Art Wissenschaft,
wie beide sie ironisiren, war anch wohl der Mühe werth, darüber sich dem Teu¬
fel zu verschreiben! Faust ist ein Ausdruck der Wissenschaft im 16. Jahrhundert.
Was Jahrtausende an Kenntnissen aufgespeichert, strömt in roher, barbarischer
Fülle zusammen, tausend Antworte», ehe man fragt, und wenn man zur Frage
kommt, ist mau durch das beständige Nccipiren so abgestumpft, daß man zu träge
ist, eine Antwort zu suchen.
Die moralische und wissenschaftliche Skepsis muß sich in ihrer Lächerlichkeit
erkennen, wie sie vorher die Illusion des Glaubens widerlegt hat, wenn die
wahre Freiheit errungen werden soll. Den Teufel muß man mit dem Teufel
überwinde», haist bleibt zuletzt nur die faule Verwesung übrig, wie in Hebbels
Bertram, der mit einer gewissen Wollust sich selbst als Leichnam anschaut —
diese aristokratisch dumme Blasirtheit, welche die Franzosen sehr treffend mit dem
Name» ihres Leichenhanses, I.l V<>>^»<! bezeichne». Aber „die Erde soll kein
Tummelplatz für Larve» sei»," noch weniger die Poesie. Lebendige Leichen gehören
w's Hospital oder i»'s Tollhaus.
Die Poesie hat vielmehr die Aufgabe, auch in dieser Krankheit den gesunden
Fonds zu verwerthen. Eine Aufgabe, wie sie sich mein Freund Gustav Frey¬
tag in seinem Waldemar gestellt hat: die Bekehrung eines Blastrten. Der
gesunde Fonds ist die Freiheit, mit der ein Weltmann die Illusionen des gewöhn¬
lichen Lebens spielend lost, die Fähigkeit, die Gravität der Amtsmiene schnell bei
Grcnzlwten. IV. 184g.
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