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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Narr seiner eignen Eitelkeit da, die ihn von der Meinung der Schlechten ab¬
hängig gemacht hat. Das ist überhaupt charakteristisch für diese Wollüstlinge, daß
sie trotz aller Opposition gegen Gesetz und Sitte Sklaven der Meinung sind,
Sklaven der verkehrten Convenienz ihres Kreises, vor dem lächerlich zu erscheine"
sie ängstlicher besorgt sind, als der ehrsame Spießbürger, die polizeilichen Verord¬
nungen zu übertreten. Es liegt zu nahe, daß eben so, wie sie in Beziehung ans
ihre schlechte Gesinnung renommiren, sie in Beziehung auf ihre Erfolge aufschnei¬
den, und es wundert mich nur, daß noch Niemand den Muth gehabt hat, eine"
gelinden Zweifel zu hegen, ob auch das berühmte Register Leporello's exact ist.
Auffallen muß es wenigstens, daß Don Juan vor den Augen des Publikums kein
einziger seiner Verführungöversnchc gelingt. Er wird wohl etwas aufgeschnitten
haben, die Eitelkeit hat eine wunderbare Phantasie.

In jener Abhängigkeit von der Meinung liegt trotz des kläglichen Eindrucks,
deu sie im Ganzen macht, immer noch der einzige moralische Fonds, der die Lie¬
derlichkeit des französischen Nouv von der des römischen Schweigers unterscheidet.
Der Nous bleibt immer Kavalier, und bindet sich an gewisse conventionelle Be¬
stimmungen; es gibt einen l?"int it'jlmmour, den er nicht aus den Augen setzen darf.
Ein Schurke darf er sein, eine MeMme nicht. Dies ist der eine Punkt, von dem
aus die Macht des Guten sich bethätigen darf.

Verschlimmert wird die Sache dagegen dnrch einen andern Umstand. Da die
Leidenschaft nicht mehr natürlich entsteht, sondern als Object des Genusses gesucht
wird, so ist die kalte Bosheit bei der Verfolgung derselben schon begreiflich.
Balzac, dessen Romane (s./>>i"tuir"z de?" ti ol?.v, k>!-r<z (Zu-Jot n. s. w.) vielleicht das
beste Bild jener blutgierigen Wollust, jener gemein berechnenden Selbstsucht geben,
läßt einen seiner Nouvs, dem sich eine Herzogin nicht sofort ergibt, diesen Wider¬
stand gegen seine Wünsche förmlich als Verbrechen verurtheile", und die renitente
Herzogin mit der Strafe der Brandmarkung züchtigen! Das heißt doch den
Cultus der abstracten Persönlichkeit mit Konsequenz ausführe". -- Aber das
lst noch "icht das Schlimmste. Indem man von frühster Jugend auf, wo möglich
schon vor der Pubertät, in dem Dunstkreis jener Liederlichkeit aufwächst, und von
ihren Traditionen sich "ährt, anticipirt mau die Empfindungen, die mau noch uicht
haben kann, und stellt sie sodann der späteren Erfahrung als das reine Ideal
gegenüber, man belügt nicht blos die Welt, sondern sich selber. Wenn man sich
später einmal stark betrinkt, so tauchen die Reminiscenzen dieser vermeintliche"
ideale wieder ans, man wird exaltirt oder gar sentimental! Man läßt die Thränen
spielen, in demselben Augenblick, wo man Genüsse" huldigt, vou denen kein Thier
eine Vorstellung haben würde!

' Das ist der Punkt, an den unsere romantische Schule anknüpft. Sie hat
^le verhältnismäßig noch immer naive Liederlichkeit der "Regentschaft" zu einer
Doctrin ausgebildet, sie hat, wie sie überhaupt alle Begriffe zu verwirren, alle Poin-


Narr seiner eignen Eitelkeit da, die ihn von der Meinung der Schlechten ab¬
hängig gemacht hat. Das ist überhaupt charakteristisch für diese Wollüstlinge, daß
sie trotz aller Opposition gegen Gesetz und Sitte Sklaven der Meinung sind,
Sklaven der verkehrten Convenienz ihres Kreises, vor dem lächerlich zu erscheine»
sie ängstlicher besorgt sind, als der ehrsame Spießbürger, die polizeilichen Verord¬
nungen zu übertreten. Es liegt zu nahe, daß eben so, wie sie in Beziehung ans
ihre schlechte Gesinnung renommiren, sie in Beziehung auf ihre Erfolge aufschnei¬
den, und es wundert mich nur, daß noch Niemand den Muth gehabt hat, eine»
gelinden Zweifel zu hegen, ob auch das berühmte Register Leporello's exact ist.
Auffallen muß es wenigstens, daß Don Juan vor den Augen des Publikums kein
einziger seiner Verführungöversnchc gelingt. Er wird wohl etwas aufgeschnitten
haben, die Eitelkeit hat eine wunderbare Phantasie.

In jener Abhängigkeit von der Meinung liegt trotz des kläglichen Eindrucks,
deu sie im Ganzen macht, immer noch der einzige moralische Fonds, der die Lie¬
derlichkeit des französischen Nouv von der des römischen Schweigers unterscheidet.
Der Nous bleibt immer Kavalier, und bindet sich an gewisse conventionelle Be¬
stimmungen; es gibt einen l?»int it'jlmmour, den er nicht aus den Augen setzen darf.
Ein Schurke darf er sein, eine MeMme nicht. Dies ist der eine Punkt, von dem
aus die Macht des Guten sich bethätigen darf.

Verschlimmert wird die Sache dagegen dnrch einen andern Umstand. Da die
Leidenschaft nicht mehr natürlich entsteht, sondern als Object des Genusses gesucht
wird, so ist die kalte Bosheit bei der Verfolgung derselben schon begreiflich.
Balzac, dessen Romane (s./>>i«tuir«z de?« ti ol?.v, k>!-r<z (Zu-Jot n. s. w.) vielleicht das
beste Bild jener blutgierigen Wollust, jener gemein berechnenden Selbstsucht geben,
läßt einen seiner Nouvs, dem sich eine Herzogin nicht sofort ergibt, diesen Wider¬
stand gegen seine Wünsche förmlich als Verbrechen verurtheile», und die renitente
Herzogin mit der Strafe der Brandmarkung züchtigen! Das heißt doch den
Cultus der abstracten Persönlichkeit mit Konsequenz ausführe». — Aber das
lst noch »icht das Schlimmste. Indem man von frühster Jugend auf, wo möglich
schon vor der Pubertät, in dem Dunstkreis jener Liederlichkeit aufwächst, und von
ihren Traditionen sich Ȋhrt, anticipirt mau die Empfindungen, die mau noch uicht
haben kann, und stellt sie sodann der späteren Erfahrung als das reine Ideal
gegenüber, man belügt nicht blos die Welt, sondern sich selber. Wenn man sich
später einmal stark betrinkt, so tauchen die Reminiscenzen dieser vermeintliche»
ideale wieder ans, man wird exaltirt oder gar sentimental! Man läßt die Thränen
spielen, in demselben Augenblick, wo man Genüsse» huldigt, vou denen kein Thier
eine Vorstellung haben würde!

' Das ist der Punkt, an den unsere romantische Schule anknüpft. Sie hat
^le verhältnismäßig noch immer naive Liederlichkeit der „Regentschaft" zu einer
Doctrin ausgebildet, sie hat, wie sie überhaupt alle Begriffe zu verwirren, alle Poin-


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[0257] Narr seiner eignen Eitelkeit da, die ihn von der Meinung der Schlechten ab¬ hängig gemacht hat. Das ist überhaupt charakteristisch für diese Wollüstlinge, daß sie trotz aller Opposition gegen Gesetz und Sitte Sklaven der Meinung sind, Sklaven der verkehrten Convenienz ihres Kreises, vor dem lächerlich zu erscheine» sie ängstlicher besorgt sind, als der ehrsame Spießbürger, die polizeilichen Verord¬ nungen zu übertreten. Es liegt zu nahe, daß eben so, wie sie in Beziehung ans ihre schlechte Gesinnung renommiren, sie in Beziehung auf ihre Erfolge aufschnei¬ den, und es wundert mich nur, daß noch Niemand den Muth gehabt hat, eine» gelinden Zweifel zu hegen, ob auch das berühmte Register Leporello's exact ist. Auffallen muß es wenigstens, daß Don Juan vor den Augen des Publikums kein einziger seiner Verführungöversnchc gelingt. Er wird wohl etwas aufgeschnitten haben, die Eitelkeit hat eine wunderbare Phantasie. In jener Abhängigkeit von der Meinung liegt trotz des kläglichen Eindrucks, deu sie im Ganzen macht, immer noch der einzige moralische Fonds, der die Lie¬ derlichkeit des französischen Nouv von der des römischen Schweigers unterscheidet. Der Nous bleibt immer Kavalier, und bindet sich an gewisse conventionelle Be¬ stimmungen; es gibt einen l?»int it'jlmmour, den er nicht aus den Augen setzen darf. Ein Schurke darf er sein, eine MeMme nicht. Dies ist der eine Punkt, von dem aus die Macht des Guten sich bethätigen darf. Verschlimmert wird die Sache dagegen dnrch einen andern Umstand. Da die Leidenschaft nicht mehr natürlich entsteht, sondern als Object des Genusses gesucht wird, so ist die kalte Bosheit bei der Verfolgung derselben schon begreiflich. Balzac, dessen Romane (s./>>i«tuir«z de?« ti ol?.v, k>!-r<z (Zu-Jot n. s. w.) vielleicht das beste Bild jener blutgierigen Wollust, jener gemein berechnenden Selbstsucht geben, läßt einen seiner Nouvs, dem sich eine Herzogin nicht sofort ergibt, diesen Wider¬ stand gegen seine Wünsche förmlich als Verbrechen verurtheile», und die renitente Herzogin mit der Strafe der Brandmarkung züchtigen! Das heißt doch den Cultus der abstracten Persönlichkeit mit Konsequenz ausführe». — Aber das lst noch »icht das Schlimmste. Indem man von frühster Jugend auf, wo möglich schon vor der Pubertät, in dem Dunstkreis jener Liederlichkeit aufwächst, und von ihren Traditionen sich »ährt, anticipirt mau die Empfindungen, die mau noch uicht haben kann, und stellt sie sodann der späteren Erfahrung als das reine Ideal gegenüber, man belügt nicht blos die Welt, sondern sich selber. Wenn man sich später einmal stark betrinkt, so tauchen die Reminiscenzen dieser vermeintliche» ideale wieder ans, man wird exaltirt oder gar sentimental! Man läßt die Thränen spielen, in demselben Augenblick, wo man Genüsse» huldigt, vou denen kein Thier eine Vorstellung haben würde! ' Das ist der Punkt, an den unsere romantische Schule anknüpft. Sie hat ^le verhältnismäßig noch immer naive Liederlichkeit der „Regentschaft" zu einer Doctrin ausgebildet, sie hat, wie sie überhaupt alle Begriffe zu verwirren, alle Poin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/257>, abgerufen am 15.01.2025.