Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Das Wissen hat seinen Gegenstand verloren, denn es gibt nichts Ewiges; was Und nun die Welt, die nach Freuden jagt, die in uuvcrdrvssner Arbeit, mit Wir haben hier in den Bildern großer Dichter jenes Gespenst versinnlicht, Zunächst haben wir zu fragen: wo ist die Quelle dieser Blasirtheit? d. h. Warum kennt das Alterthum diese Erscheinung nicht? -- Weil es fromm Grenzboten. IV. 18W. 32
Das Wissen hat seinen Gegenstand verloren, denn es gibt nichts Ewiges; was Und nun die Welt, die nach Freuden jagt, die in uuvcrdrvssner Arbeit, mit Wir haben hier in den Bildern großer Dichter jenes Gespenst versinnlicht, Zunächst haben wir zu fragen: wo ist die Quelle dieser Blasirtheit? d. h. Warum kennt das Alterthum diese Erscheinung nicht? — Weil es fromm Grenzboten. IV. 18W. 32
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Das Wissen hat seinen Gegenstand verloren, denn es gibt nichts Ewiges; was
man wirklich nennt, ist ja nur ein Wechsel von Erscheinungen. Man fordert ihn
auf, zu Handel»; das Gewissen stellt sich ihm als mahnendes Gespenst gegenüber,
auch die eigene Unruhe treibt ihn. Aber wozu handeln? Recht und Unrecht er¬
zeugt erst der Gedanke, und den Gedanken stört eine unruhige Fliege in seinem
Weg. Wozu handeln? Es nimmt ja alles zuletzt ein gleiches Ende, und anch
nur das Nächste mit Sicherheit zu berechnen, reicht keine Weisheit aus. Er hat
keine Freude am Leben, weil ihm der Glaube an seine Realität fehlt. Nur
Eines steht ihm fest, er muß daran glauben, weil er es fürchtet — der Tod.
Der Tod ist das einzig Gewisse, und dieses Einzige verschließt sich dem Ver¬
ständniß. Das Nichtsein, die wahre Realität ist lmbegreiflich.
Und nun die Welt, die nach Freuden jagt, die in uuvcrdrvssner Arbeit, mit
Noth und Sorge sich Werke schafft, die doch vergehen müssen! welche liebt, wo sie
doch nur Truumgcstalten, Einbildungen sich gegenüber findet! Diese Narrenwelt
wirbelt in einem wüsten Kreise um seine Sinne, er sieht wunderbare Gestalten,
einen Sarg, in dem seine Geliebte liegt, die seinetwegen wahnsinnig geworden ist
und sich ertränkt hat, Brüder, die ihren Schmerz um ihre» Tod in wüsten Bil¬
dern auszumalen suchen; er wird mit angesteckt, er überbietet die Bilder, seine
Phantasie wird rege; man treibt ihn zu handeln, er schwärmt sich in Pläne hinein,
die aber nur so lauge aushalten, als die persönliche Gefahr ihn stachelt; zuletzt
lufft ihn im Spiel ein vergifteter Degenstoß, er greift noch rasch nach dem
Schwert, und tödtet seine Mörder. Die ganze Familie kommt in das Hans des
alten Maulwurfs, des ironischen Mephistopheles, der seine Schclmenliedcheu dazu
sengen wird, wie er es über Avril's Schädel trillerte. —
Wir haben hier in den Bildern großer Dichter jenes Gespenst versinnlicht,
das in unserer Poesie immer von Neuem auftaucht, so oft wir uns auch vorstellen,
es los zu sein, wie ein böses Traumbild, das wir nicht abschütteln können, wie
wir uns auch anstrengen, zu erwachen. Wir werden es erst dann überwunden
haben, wenn wir im Stande sind, darüber zu spotten. Ein Cervantes, der Don
Juan, Faust und Hamlet zu einem Don Quixote idcalistrt, und die neue Zeit
ist frei von diesem Spiel der Romantik. Wir kommen dazu — doch ich will nicht
vorgreifen.
Zunächst haben wir zu fragen: wo ist die Quelle dieser Blasirtheit? d. h.
dieses Gefühls von dem unendlichen Contrast zwischen dem, was der Geist wollen
kann, und dem, was die Wirklichkeit ihm bietet.
Warum kennt das Alterthum diese Erscheinung nicht? — Weil es fromm
Wu, weil es das Individuum herabdrückte, weil es die Kraft mit dem Maß, der
Grenze der Kraft identificirte^ weil ihm die gesammte Natur in ihrer Nothwendig¬
st höher stand, als das einzelne Herz in seinen wechselnden Stimmungen, weil
Grenzboten. IV. 18W. 32
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