Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.seine Seele verschrieb, hat er die Bedingung gesetzt, er wolle ihm erst dann an¬ Die Scene hat keinen Schluß, denn die Variationen jener Frage sind unend- Was weben die dort am Rabenstein? -- Weiß uicht, was sie schaffen und treiben. -- Schweben aus, schweben ab, neigen sich, beugen sich. -- Eine Hexcnzunft. -- Vorbei! Vorbei! - Dritte Scene. Wir sind in einem Kirchhof. Sganarelle oder Mephistopheles In Jugendzeit ich liebte, ja liebte, Mich dünkt, das war hehre süß. Die Zeit hinzubringen, wie ich das übte, Q mich dünkt, nichts besonderes war dies. Faust steht vor ihm, betrachtet die Gebeine und philosophirt darüber, ob wohl seine Seele verschrieb, hat er die Bedingung gesetzt, er wolle ihm erst dann an¬ Die Scene hat keinen Schluß, denn die Variationen jener Frage sind unend- Was weben die dort am Rabenstein? — Weiß uicht, was sie schaffen und treiben. — Schweben aus, schweben ab, neigen sich, beugen sich. — Eine Hexcnzunft. — Vorbei! Vorbei! - Dritte Scene. Wir sind in einem Kirchhof. Sganarelle oder Mephistopheles In Jugendzeit ich liebte, ja liebte, Mich dünkt, das war hehre süß. Die Zeit hinzubringen, wie ich das übte, Q mich dünkt, nichts besonderes war dies. Faust steht vor ihm, betrachtet die Gebeine und philosophirt darüber, ob wohl <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279800"/> <p xml:id="ID_875" prev="#ID_874"> seine Seele verschrieb, hat er die Bedingung gesetzt, er wolle ihm erst dann an¬<lb/> gehören, wenn er einen Augenblick fände, in welchem er Alles ans einmal sei,<lb/> Alles auf einmal thue, Alles auf einmal genieße. Der Angenblick wird nicht kom¬<lb/> men, denn die Blonde ist nicht braun, die Blasse uicht roth, die Jungfrau hat<lb/> nicht das Interessante der Mutter, die Mutter nicht das Frische der Jungfrau. Im<lb/> Genuß empfindet er nicht die Ruhe des Schlafs, im Schlaf genießt er nicht das Selbst¬<lb/> bewußtsein. So wird er die Last der Unzufriedenheit, dieses stolze Bewußtsein<lb/> der Fähigkeit, ein Verlangen zu hegen, dem der Augenblick nie gerecht wird, so<lb/> lange büßen können, bis die Stunde kömmt, wo tausend Seelen in einem mathe¬<lb/> matischen Punkt Faudango tanzen. Bis dahin wird er sich mit seinem Gefährten<lb/> unterhalten, der beiläufig noch älter ist, als er, älter als Methusalem, so alt als<lb/> der liebe Gott, in dessen Schatten er ruhte, als die Welt geschaffen wurde; der<lb/> närrische Geist des Widerspruchs, der immer fragt, warum ist 2 mal 2 blos 4,<lb/> und nicht zugleich auch 5, oder wozu wird man geboren, wenn man doch sterben<lb/> muß u. s. w. und der eine kindische Freude daran hat, wenn der liebe Gott ihm<lb/> nichts zu sagen weiß, als dieses: Ein Narr kaun mehr fragen, als tausend Weise<lb/> antworten. Der einzige Unterschied zwischen deu beide» Freunden und Verbün¬<lb/> deten ist der, daß der eine sein Ideal — eben jene Frage des Narren — als<lb/> sein Recht, und daher sein Schicksal, keine Antwort zu erhalten, als seine tragische<lb/> Bestümnuug betrachtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_876"> Die Scene hat keinen Schluß, denn die Variationen jener Frage sind unend-<lb/> lich. Die beiden Reisenden sind bloße Zugvögel.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l> Was weben die dort am Rabenstein? —<lb/> Weiß uicht, was sie schaffen und treiben. —<lb/> Schweben aus, schweben ab, neigen sich, beugen sich. —<lb/> Eine Hexcnzunft. —<lb/> Vorbei! Vorbei! -</l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_877"> Dritte Scene. Wir sind in einem Kirchhof. Sganarelle oder Mephistopheles<lb/> schaufelt in einem offenen Grabe, spielt mit den Schädeln, die er aufwirft, und<lb/> singt dazu ein lustiges Schelmeulied.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l> In Jugendzeit ich liebte, ja liebte,<lb/> Mich dünkt, das war hehre süß.<lb/> Die Zeit hinzubringen, wie ich das übte,<lb/> Q mich dünkt, nichts besonderes war dies.</l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_878" next="#ID_879"> Faust steht vor ihm, betrachtet die Gebeine und philosophirt darüber, ob wohl<lb/> Alexander's Schädel auch so riechen mag. Hier ist endlich ein Feld, auf dem<lb/> seine Melancholie sich weiden kann. Am Weibe hat er keine Lust mehr, den»<lb/> seine Phantasie, die nicht den Augenblick, d. h. nicht die Realität, sondern das<lb/> zeitlose Sein zu umspannen strebt, malt ihm die kommenden Runzeln unter der<lb/> frischen Wange, malt ihm die Todtenwürmer, die einst an ihr zehren werden.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
seine Seele verschrieb, hat er die Bedingung gesetzt, er wolle ihm erst dann an¬
gehören, wenn er einen Augenblick fände, in welchem er Alles ans einmal sei,
Alles auf einmal thue, Alles auf einmal genieße. Der Angenblick wird nicht kom¬
men, denn die Blonde ist nicht braun, die Blasse uicht roth, die Jungfrau hat
nicht das Interessante der Mutter, die Mutter nicht das Frische der Jungfrau. Im
Genuß empfindet er nicht die Ruhe des Schlafs, im Schlaf genießt er nicht das Selbst¬
bewußtsein. So wird er die Last der Unzufriedenheit, dieses stolze Bewußtsein
der Fähigkeit, ein Verlangen zu hegen, dem der Augenblick nie gerecht wird, so
lange büßen können, bis die Stunde kömmt, wo tausend Seelen in einem mathe¬
matischen Punkt Faudango tanzen. Bis dahin wird er sich mit seinem Gefährten
unterhalten, der beiläufig noch älter ist, als er, älter als Methusalem, so alt als
der liebe Gott, in dessen Schatten er ruhte, als die Welt geschaffen wurde; der
närrische Geist des Widerspruchs, der immer fragt, warum ist 2 mal 2 blos 4,
und nicht zugleich auch 5, oder wozu wird man geboren, wenn man doch sterben
muß u. s. w. und der eine kindische Freude daran hat, wenn der liebe Gott ihm
nichts zu sagen weiß, als dieses: Ein Narr kaun mehr fragen, als tausend Weise
antworten. Der einzige Unterschied zwischen deu beide» Freunden und Verbün¬
deten ist der, daß der eine sein Ideal — eben jene Frage des Narren — als
sein Recht, und daher sein Schicksal, keine Antwort zu erhalten, als seine tragische
Bestümnuug betrachtet.
Die Scene hat keinen Schluß, denn die Variationen jener Frage sind unend-
lich. Die beiden Reisenden sind bloße Zugvögel.
Was weben die dort am Rabenstein? —
Weiß uicht, was sie schaffen und treiben. —
Schweben aus, schweben ab, neigen sich, beugen sich. —
Eine Hexcnzunft. —
Vorbei! Vorbei! -
Dritte Scene. Wir sind in einem Kirchhof. Sganarelle oder Mephistopheles
schaufelt in einem offenen Grabe, spielt mit den Schädeln, die er aufwirft, und
singt dazu ein lustiges Schelmeulied.
In Jugendzeit ich liebte, ja liebte,
Mich dünkt, das war hehre süß.
Die Zeit hinzubringen, wie ich das übte,
Q mich dünkt, nichts besonderes war dies.
Faust steht vor ihm, betrachtet die Gebeine und philosophirt darüber, ob wohl
Alexander's Schädel auch so riechen mag. Hier ist endlich ein Feld, auf dem
seine Melancholie sich weiden kann. Am Weibe hat er keine Lust mehr, den»
seine Phantasie, die nicht den Augenblick, d. h. nicht die Realität, sondern das
zeitlose Sein zu umspannen strebt, malt ihm die kommenden Runzeln unter der
frischen Wange, malt ihm die Todtenwürmer, die einst an ihr zehren werden.
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