Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.als an der künstlichen spanischen Komödie, denn man hat es nicht mit Automaten Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte, So incommensnrabel auf den ersten Anblick jeder einzelne dieser Charaktere In den Charaktermasken des neuesten Lustspiels unterscheide ich drei Gruppe". Zuerst die Typen der fixirten, conventionellen Sentimentalität, des sogenann¬ Die zweite Gruppe sind die satyrischen Figuren, gegen einzelne, blos zeit¬ Die dritte Form und die höchste des modernen Lustspiels sucht einen zeitlich als an der künstlichen spanischen Komödie, denn man hat es nicht mit Automaten Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte, So incommensnrabel auf den ersten Anblick jeder einzelne dieser Charaktere In den Charaktermasken des neuesten Lustspiels unterscheide ich drei Gruppe». Zuerst die Typen der fixirten, conventionellen Sentimentalität, des sogenann¬ Die zweite Gruppe sind die satyrischen Figuren, gegen einzelne, blos zeit¬ Die dritte Form und die höchste des modernen Lustspiels sucht einen zeitlich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279797"/> <p xml:id="ID_864" prev="#ID_863"> als an der künstlichen spanischen Komödie, denn man hat es nicht mit Automaten<lb/> zu thun. So chargirt die Figuren, so faustdick der Humor, es ist doch überall<lb/> Ursprünglichkeit und Natur, und mit einer gelinden Parodie des Dichters kann<lb/> man von ihnen sagen:</p><lb/> <quote> Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte,<lb/> Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind.</quote><lb/> <p xml:id="ID_865"> So incommensnrabel auf den ersten Anblick jeder einzelne dieser Charaktere<lb/> in der unbedingten Freiheit seiner Sonderlingsnatur, so fehlt es doch bei dein<lb/> genaueren Studium an Typen, an Charaktermasken keineswegs. Selbst im Sha¬<lb/> kespeare taucht uuter verschiedenen Formen hin und wieder eine bekannte Gestalt<lb/> »»f. Aber eben die neue Form ist jedesmal eine Eroberung für das Reich der<lb/> Poesie. Es sind Resultate conventioneller Verwickelungen, aber dnrch Humor befreit<lb/> und zu einer wirklichen Individualität verkörpert. Das ist die höchste Aufgabe<lb/> des Lustspiels. Fallstaff z. B. ist ein Typus — der Cynismus des gemeinen<lb/> Menschenverstandes gegen die idealen Anforderungen des sittlichen Wesens, die er<lb/> von ihrer endlichen Seite ganz richtig übersieht; er ist Ideal, denn er vermittelt<lb/> seine empirische Lebensweisheit durch freien Humor; er ist in seinem Detail zeit¬<lb/> lich und local bestimmt, und er ist wirkliche Person.</p><lb/> <p xml:id="ID_866"> In den Charaktermasken des neuesten Lustspiels unterscheide ich drei Gruppe».</p><lb/> <p xml:id="ID_867"> Zuerst die Typen der fixirten, conventionellen Sentimentalität, des sogenann¬<lb/> ten bürgerlichen Dramas, von Diderot erfunden, von den Deutschen mit einer<lb/> Schauder erregenden Ausdauer und Virtuosität fortgeführt. Jffland ist der Höhe¬<lb/> punkt dieser Richtung, und die Schauspielergcsellschast im Wilhelm Meister das<lb/> ungefähre Abbild. Der polternde Alte, der Pedant (böse Geheimerath), der ver¬<lb/> lerne Sohn u. f. w. Die Regeln des Gemüths sind fertig, wie die Regeln der<lb/> ^hre bei Calderon, aber sie sind weich, nicht spröde, wie ihre Voraussetzungen.<lb/> Wahrhaft poetische, d. h. freie Gestalten haben aus ihnen nicht hervorgehn können,<lb/> sie sind als Charaktermasken nur im Ganze» lehrreich.</p><lb/> <p xml:id="ID_868"> Die zweite Gruppe sind die satyrischen Figuren, gegen einzelne, blos zeit¬<lb/> liche Verirrungen gerichtet, in der Art, wie der bourgvoi« ^utiliwmmv von<lb/> Mvlivre, die meisten Lustspiele von Holberg. Auch Kotzebue ist reich daran (die<lb/> Organe des Gehirns, die Sucht zu glänzen u. s. w.). Solche Satyren verlieren<lb/> ehren Werth mit dem Aufhören ihres Gegenstandes, wenn sich nicht in dem In¬<lb/> halt desselben ein allgemeiner sittlicher Conflict ausspricht, wie es bei dem Tartüffe<lb/> ^' Fall ist, ans den wir noch zurückkommen. — Die schlechteste Art dieser Satyre<lb/> und die Lustspiele unserer romantischen Schule, trotz alles phantastischen Aufputzes,<lb/> ^ni sie lediglich aus literarischer Animosität hervorgehn, und weil ihre komischen<lb/> Personen nnr als Träger mißliebiger Ansichten Existenz haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_869" next="#ID_870"> Die dritte Form und die höchste des modernen Lustspiels sucht einen zeitlich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0249]
als an der künstlichen spanischen Komödie, denn man hat es nicht mit Automaten
zu thun. So chargirt die Figuren, so faustdick der Humor, es ist doch überall
Ursprünglichkeit und Natur, und mit einer gelinden Parodie des Dichters kann
man von ihnen sagen:
Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte,
Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind.
So incommensnrabel auf den ersten Anblick jeder einzelne dieser Charaktere
in der unbedingten Freiheit seiner Sonderlingsnatur, so fehlt es doch bei dein
genaueren Studium an Typen, an Charaktermasken keineswegs. Selbst im Sha¬
kespeare taucht uuter verschiedenen Formen hin und wieder eine bekannte Gestalt
»»f. Aber eben die neue Form ist jedesmal eine Eroberung für das Reich der
Poesie. Es sind Resultate conventioneller Verwickelungen, aber dnrch Humor befreit
und zu einer wirklichen Individualität verkörpert. Das ist die höchste Aufgabe
des Lustspiels. Fallstaff z. B. ist ein Typus — der Cynismus des gemeinen
Menschenverstandes gegen die idealen Anforderungen des sittlichen Wesens, die er
von ihrer endlichen Seite ganz richtig übersieht; er ist Ideal, denn er vermittelt
seine empirische Lebensweisheit durch freien Humor; er ist in seinem Detail zeit¬
lich und local bestimmt, und er ist wirkliche Person.
In den Charaktermasken des neuesten Lustspiels unterscheide ich drei Gruppe».
Zuerst die Typen der fixirten, conventionellen Sentimentalität, des sogenann¬
ten bürgerlichen Dramas, von Diderot erfunden, von den Deutschen mit einer
Schauder erregenden Ausdauer und Virtuosität fortgeführt. Jffland ist der Höhe¬
punkt dieser Richtung, und die Schauspielergcsellschast im Wilhelm Meister das
ungefähre Abbild. Der polternde Alte, der Pedant (böse Geheimerath), der ver¬
lerne Sohn u. f. w. Die Regeln des Gemüths sind fertig, wie die Regeln der
^hre bei Calderon, aber sie sind weich, nicht spröde, wie ihre Voraussetzungen.
Wahrhaft poetische, d. h. freie Gestalten haben aus ihnen nicht hervorgehn können,
sie sind als Charaktermasken nur im Ganze» lehrreich.
Die zweite Gruppe sind die satyrischen Figuren, gegen einzelne, blos zeit¬
liche Verirrungen gerichtet, in der Art, wie der bourgvoi« ^utiliwmmv von
Mvlivre, die meisten Lustspiele von Holberg. Auch Kotzebue ist reich daran (die
Organe des Gehirns, die Sucht zu glänzen u. s. w.). Solche Satyren verlieren
ehren Werth mit dem Aufhören ihres Gegenstandes, wenn sich nicht in dem In¬
halt desselben ein allgemeiner sittlicher Conflict ausspricht, wie es bei dem Tartüffe
^' Fall ist, ans den wir noch zurückkommen. — Die schlechteste Art dieser Satyre
und die Lustspiele unserer romantischen Schule, trotz alles phantastischen Aufputzes,
^ni sie lediglich aus literarischer Animosität hervorgehn, und weil ihre komischen
Personen nnr als Träger mißliebiger Ansichten Existenz haben.
Die dritte Form und die höchste des modernen Lustspiels sucht einen zeitlich
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