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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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ohne Ausnahme hatten eine äußerst geringe Meinung von der Macht Oestreichs.
"Wer soll auch wohl für Oestreich kümpfcu," sagte" sie immer, "die polnischen,
ungarischen und italienischen Regimenter thuen es gewiß nicht, denn Soldaten
und Offiziere fragen den Teufel nach Oestreich selbst, die Kroate" sehen schon el",
daß sie an der Nase herumgeführt wurden, und werden das nächste Mal egoisti¬
scher sein." Von den 13 ungarischen Infanterie- und 12 Husareuregimentern,
die vor der Erhebung zur östreichischen Armee gehörten, schlössen sich 8 Infanterie-
Regimenter fast ganz den Ungarn an und rissen die schwarz-gelben Feldzeichen
ab; und nur die übrigen, die so weit von Ungarn standen, daß sie die Grenzen
desselben nicht erreichen konnten, mußten gezwungenermaßen von dem Kampfe zu¬
rückbleiben. Ebenso aber sei es auch mit den italienischen Regimentern, die im
vorigen Frühjahr großentheils zu den Italienern übergegangen wären. "Es war
unsre Thorheit", fuhr der Major fort, "daß wir den Kampf nicht schon im Som¬
mer, wo Italien in vollem Aufstand war, anfingen, dann hätten wir wahrschein¬
lich gesiegt und es gäbe jetzt kein Kaiserthum Oestreich mehr. Nun, wir haben
diesen Fehler arg büßen müssen, unsere Nachfolger werden die Lehre daraus ziehen
und wenn jetzt der Kampf wieder beginnt, wird es von allen Seiten zugleich los¬
brechen." Als den Zeitpunkt aber, wo Ungarn von Neuem aufstehen und Ita¬
lien sich zugleich erheben würde, gaben Alle den Tod des Kaisers von Nußland
an, denn dieser würde bestimmt das Signal zum Aufstand aller polnischen Pro¬
vinzen des russische" Reiches gebe", und Galizien, Ungarn und Jralien sich die¬
sem Kampfe anschließen. "Daun können unsere Buben kämpfeu, sie werden das
Schicksal ihrer Väter rächen," sprach der Alte und sah finster vor sich nieder.

Ueber Görgeys Kapitulation ward sehr verschieden geurtheilt und dieselbe von
Manchem heftig.getadelt. An offenbaren Verrath von Seiten Görgey's glaubte
aber Keiner, sie nahmen ihn Alle sehr energisch gegen dergleichen schmähliche An¬
schuldigungen i" Schutz. "Er habe den Kops zuletzt verloren und sei durch die
ihn von allen Seiten umgebende" große" feindlichen Heeresmassen zu dem Glau¬
ben verleitet, es sei nun doch einmal Alles verloren; eine gute Kapitulation war
ihm noch das Beste. Sonst hätte er sich doch noch durchschlage" und den Krieg
wohl noch einige Wochen Hinhalten können," meinten sie. "Uebrigens sei die Sache
Ungarns seit dem Einmärsche der Russen für die Gegenwart doch verloren ge¬
wesen, und so sei es auch am Besten, daß der Kampf jetzt geendet sei." --
Einzelne Offiziere waren mit in Hamburg, die beim Görgey'schen Corps gestan¬
den und sich später heimlich nach Komorn durchgeschlichen hatten. Daß Komorn
noch mehrere Monate selbst gegen eine Belagerungsarmee von 60--80,000 Mann
zu halten gewesen wäre und an eine Erstürmung desselben für die erste Zeit
noch gar nicht zu denken war, bekräftigten alle einstimmig. Doch sei die Ver¬
theidigung dieser Festung ganz nutzlos geworden, nachdem Ungarn vollständig von
ihren Feinden besetzt und es keine ungarische Armee mehr gegeben habe: das Land


ohne Ausnahme hatten eine äußerst geringe Meinung von der Macht Oestreichs.
„Wer soll auch wohl für Oestreich kümpfcu," sagte» sie immer, „die polnischen,
ungarischen und italienischen Regimenter thuen es gewiß nicht, denn Soldaten
und Offiziere fragen den Teufel nach Oestreich selbst, die Kroate» sehen schon el»,
daß sie an der Nase herumgeführt wurden, und werden das nächste Mal egoisti¬
scher sein." Von den 13 ungarischen Infanterie- und 12 Husareuregimentern,
die vor der Erhebung zur östreichischen Armee gehörten, schlössen sich 8 Infanterie-
Regimenter fast ganz den Ungarn an und rissen die schwarz-gelben Feldzeichen
ab; und nur die übrigen, die so weit von Ungarn standen, daß sie die Grenzen
desselben nicht erreichen konnten, mußten gezwungenermaßen von dem Kampfe zu¬
rückbleiben. Ebenso aber sei es auch mit den italienischen Regimentern, die im
vorigen Frühjahr großentheils zu den Italienern übergegangen wären. „Es war
unsre Thorheit", fuhr der Major fort, „daß wir den Kampf nicht schon im Som¬
mer, wo Italien in vollem Aufstand war, anfingen, dann hätten wir wahrschein¬
lich gesiegt und es gäbe jetzt kein Kaiserthum Oestreich mehr. Nun, wir haben
diesen Fehler arg büßen müssen, unsere Nachfolger werden die Lehre daraus ziehen
und wenn jetzt der Kampf wieder beginnt, wird es von allen Seiten zugleich los¬
brechen." Als den Zeitpunkt aber, wo Ungarn von Neuem aufstehen und Ita¬
lien sich zugleich erheben würde, gaben Alle den Tod des Kaisers von Nußland
an, denn dieser würde bestimmt das Signal zum Aufstand aller polnischen Pro¬
vinzen des russische» Reiches gebe», und Galizien, Ungarn und Jralien sich die¬
sem Kampfe anschließen. „Daun können unsere Buben kämpfeu, sie werden das
Schicksal ihrer Väter rächen," sprach der Alte und sah finster vor sich nieder.

Ueber Görgeys Kapitulation ward sehr verschieden geurtheilt und dieselbe von
Manchem heftig.getadelt. An offenbaren Verrath von Seiten Görgey's glaubte
aber Keiner, sie nahmen ihn Alle sehr energisch gegen dergleichen schmähliche An¬
schuldigungen i» Schutz. „Er habe den Kops zuletzt verloren und sei durch die
ihn von allen Seiten umgebende» große» feindlichen Heeresmassen zu dem Glau¬
ben verleitet, es sei nun doch einmal Alles verloren; eine gute Kapitulation war
ihm noch das Beste. Sonst hätte er sich doch noch durchschlage» und den Krieg
wohl noch einige Wochen Hinhalten können," meinten sie. „Uebrigens sei die Sache
Ungarns seit dem Einmärsche der Russen für die Gegenwart doch verloren ge¬
wesen, und so sei es auch am Besten, daß der Kampf jetzt geendet sei." —
Einzelne Offiziere waren mit in Hamburg, die beim Görgey'schen Corps gestan¬
den und sich später heimlich nach Komorn durchgeschlichen hatten. Daß Komorn
noch mehrere Monate selbst gegen eine Belagerungsarmee von 60—80,000 Mann
zu halten gewesen wäre und an eine Erstürmung desselben für die erste Zeit
noch gar nicht zu denken war, bekräftigten alle einstimmig. Doch sei die Ver¬
theidigung dieser Festung ganz nutzlos geworden, nachdem Ungarn vollständig von
ihren Feinden besetzt und es keine ungarische Armee mehr gegeben habe: das Land


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/236>, abgerufen am 15.01.2025.