Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.und doch sind die armen Oestreicher und speziell die Wiener seit einem Jahre so In Italien hat es heißen Kampf gegeben, es mag sein, die Leidenschaften Die Wiener waren toll geworden, waren dem ungarischen Kriegsschauplatze Ungarn brennt noch unter der Asche, und General Haynau muß dort noch Wie aber ist es mit Galizien, diesem unglückseligen Lande, diesem Krebsschaden Die fromme Marie Theresia sträubte sich gegen diese traurige Erwerbung, sie Und dieses gemordete Polen, es liegt wie ein Vampyr über Enropa, saugt Im Jahre 1846 haben sie ihn eingesenkt in die Gruft der Jagellonen zu Ganz Galizien ist heute noch belagert, das polnische und ruthenische zumal, Böhmen endlich, oder doch Prag, hat seinen Rausch gehabt im Juni 1848, und doch sind die armen Oestreicher und speziell die Wiener seit einem Jahre so In Italien hat es heißen Kampf gegeben, es mag sein, die Leidenschaften Die Wiener waren toll geworden, waren dem ungarischen Kriegsschauplatze Ungarn brennt noch unter der Asche, und General Haynau muß dort noch Wie aber ist es mit Galizien, diesem unglückseligen Lande, diesem Krebsschaden Die fromme Marie Theresia sträubte sich gegen diese traurige Erwerbung, sie Und dieses gemordete Polen, es liegt wie ein Vampyr über Enropa, saugt Im Jahre 1846 haben sie ihn eingesenkt in die Gruft der Jagellonen zu Ganz Galizien ist heute noch belagert, das polnische und ruthenische zumal, Böhmen endlich, oder doch Prag, hat seinen Rausch gehabt im Juni 1848, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279780"/> <p xml:id="ID_792" prev="#ID_791"> und doch sind die armen Oestreicher und speziell die Wiener seit einem Jahre so<lb/> geistig mager geworden, daß ein Platzen jener Näthe wirklich nicht zu fürchten ist,<lb/> anch hat man überdies an 600,000 allzeit fertige Schneider zur Hand, die mit<lb/> den langen Nadeln, die sie auf den Flinten tragen, jede geplatzte Rath flugs zu<lb/> flicken, ja uns das Gewand an die Haut selber zu nähen verstehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_793"> In Italien hat es heißen Kampf gegeben, es mag sein, die Leidenschaften<lb/> brauchen vielleicht noch einige Zeit sich zu kühlen, wenn nicht etwa der Ausnahms¬<lb/> zustand selber wieder zum Zündstoff wird. —</p><lb/> <p xml:id="ID_794"> Die Wiener waren toll geworden, waren dem ungarischen Kriegsschauplatze<lb/> nahe, es mag sein, daß der Belagerungszustand bis zum Falle Komorns räthlich<lb/> schien. Komorn aber siel, und Wien, das längst gefallene, ist dennoch belagert.</p><lb/> <p xml:id="ID_795"> Ungarn brennt noch unter der Asche, und General Haynau muß dort noch<lb/> immer löschen mit Blut, das ist nothwendig, wie die Gutgesinnten gutgesinnt be¬<lb/> haupten, wir verstehen das nicht, die Gutgesinnten sind in Henkersachen kompetent.</p><lb/> <p xml:id="ID_796"> Wie aber ist es mit Galizien, diesem unglückseligen Lande, diesem Krebsschaden<lb/> der Monarchie, einem Lande, das man von allem Anbeginne vernachläßigte, seit<lb/> man es ungern und gezwungen erworben.</p><lb/> <p xml:id="ID_797"> Die fromme Marie Theresia sträubte sich gegen diese traurige Erwerbung, sie<lb/> widerstrebte ihrem Herzen, sie war zu ihrem Kummer gezwungen, dem Morde<lb/> Polens zuzusehn und sich in die Spotten zu theilen mit den Mördern. Wir ent¬<lb/> schuldigen die Vernachlässigung Galiziens eben in jenem Widerstreben gegen seine<lb/> Erwerbung. Galizien war der Negierung eine stete Mahnung an jenen politischen<lb/> Mord, man mied das Land, wie man die Mords!alte meidet.</p><lb/> <p xml:id="ID_798"> Und dieses gemordete Polen, es liegt wie ein Vampyr über Enropa, saugt<lb/> ihm das Herzblut aus und rächt sich, rächt sich unversöhnlich ohne Unterlaß,<lb/> schleicht als bleicher Emissär düster brennenden Anges von Land zu Land; immer¬<lb/> fort blutet sein Herz und immerfort säet er Blut, Mord, Anarchie und Verwüstung,<lb/> dieser Racheengel der polirischen Erbsünde.</p><lb/> <p xml:id="ID_799"> Im Jahre 1846 haben sie ihn eingesenkt in die Gruft der Jagellonen zu<lb/> Krakau, haben ihm einen Pfahl durch die Brust getrieben , und dachten, nun sei<lb/> endlich der Vampyr zur Ruhe gebracht — und wieder hat er sich aufgerafft aus<lb/> seiner Gruft, und hat die traurige Blutsaat von Neuem begonnen, von Frankreich<lb/> aus bis an die Grenzen seines nordischen Erbfeindes.</p><lb/> <p xml:id="ID_800"> Ganz Galizien ist heute noch belagert, das polnische und ruthenische zumal,<lb/> und auf diese Weise glaubt man zu beschwichtigen, zu versöhnen? 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und doch sind die armen Oestreicher und speziell die Wiener seit einem Jahre so
geistig mager geworden, daß ein Platzen jener Näthe wirklich nicht zu fürchten ist,
anch hat man überdies an 600,000 allzeit fertige Schneider zur Hand, die mit
den langen Nadeln, die sie auf den Flinten tragen, jede geplatzte Rath flugs zu
flicken, ja uns das Gewand an die Haut selber zu nähen verstehen.
In Italien hat es heißen Kampf gegeben, es mag sein, die Leidenschaften
brauchen vielleicht noch einige Zeit sich zu kühlen, wenn nicht etwa der Ausnahms¬
zustand selber wieder zum Zündstoff wird. —
Die Wiener waren toll geworden, waren dem ungarischen Kriegsschauplatze
nahe, es mag sein, daß der Belagerungszustand bis zum Falle Komorns räthlich
schien. Komorn aber siel, und Wien, das längst gefallene, ist dennoch belagert.
Ungarn brennt noch unter der Asche, und General Haynau muß dort noch
immer löschen mit Blut, das ist nothwendig, wie die Gutgesinnten gutgesinnt be¬
haupten, wir verstehen das nicht, die Gutgesinnten sind in Henkersachen kompetent.
Wie aber ist es mit Galizien, diesem unglückseligen Lande, diesem Krebsschaden
der Monarchie, einem Lande, das man von allem Anbeginne vernachläßigte, seit
man es ungern und gezwungen erworben.
Die fromme Marie Theresia sträubte sich gegen diese traurige Erwerbung, sie
widerstrebte ihrem Herzen, sie war zu ihrem Kummer gezwungen, dem Morde
Polens zuzusehn und sich in die Spotten zu theilen mit den Mördern. Wir ent¬
schuldigen die Vernachlässigung Galiziens eben in jenem Widerstreben gegen seine
Erwerbung. Galizien war der Negierung eine stete Mahnung an jenen politischen
Mord, man mied das Land, wie man die Mords!alte meidet.
Und dieses gemordete Polen, es liegt wie ein Vampyr über Enropa, saugt
ihm das Herzblut aus und rächt sich, rächt sich unversöhnlich ohne Unterlaß,
schleicht als bleicher Emissär düster brennenden Anges von Land zu Land; immer¬
fort blutet sein Herz und immerfort säet er Blut, Mord, Anarchie und Verwüstung,
dieser Racheengel der polirischen Erbsünde.
Im Jahre 1846 haben sie ihn eingesenkt in die Gruft der Jagellonen zu
Krakau, haben ihm einen Pfahl durch die Brust getrieben , und dachten, nun sei
endlich der Vampyr zur Ruhe gebracht — und wieder hat er sich aufgerafft aus
seiner Gruft, und hat die traurige Blutsaat von Neuem begonnen, von Frankreich
aus bis an die Grenzen seines nordischen Erbfeindes.
Ganz Galizien ist heute noch belagert, das polnische und ruthenische zumal,
und auf diese Weise glaubt man zu beschwichtigen, zu versöhnen? Wir fürchten,
eben dort wird uus der Vampyr neues Unheil bereiten; ach, wer ihn begrübe!
damit er Ruhe finde und wir.
Böhmen endlich, oder doch Prag, hat seinen Rausch gehabt im Juni 1848,
Magyaren und Sarmaten haben der alten ruhigen Praga, ohne daß sie es merkte,
verauscheude Gifte in den Freudenbecher geträufelt, Soldaten haben in gieriger
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