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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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lich um das revolutionäre Gelächter der Emancipirten abschreckend darzustellen.
Schon recht! rief er wieder mit pathetischen Zorn: nur philosophisch: So kommt's,
wenn lauter Supergelehrte und Feinredner regieren!! Und er ward dunkelroth im
Gesicht, vielleicht von dem stechenden Blick, den ich ihm zuwarf. -- Lieber Mann
Gottes, waren es denn Sänglinge, die in jenen Mainächten den züchtigen Wiener
Mond so betrübten? Drei Monat alte Sänglinge, geboren am 13. März, Nach¬
mittags Punkt fünf Uhr? Ich glaubte immer, die Garden und Legionäre seien
hübsch große Kinder aus der guten alten Zeit gewesen, aufgewachsen unter Euerer
Zuchtruthe? An der übertriebenen Gelehrsamkeit im alten Oestreich kann's aber
auch nicht gelegen haben? -- Diese Fragen enthielt mein Blick, allein der Hoch¬
würdige verstand ihn nicht zu entziffern. Er verbreitete sich gegen seinen Neben¬
mann über die ausgedehnte Verzweigung des katholischen Vereins und über die
segensreichen Folgen seiner Wirksamkeit für den Himmel und die Erde. Wir er¬
strecken uns, sagte er, an den Fingern zählend, erstens durch die ganze Mmiarchie, zwei¬
tens durch Vaterland, Schwaben, Baden und Rheinland, drittens durch Belgien
und die Schweiz , endlich, und das ist die Hauptsache, bis Äef "ud hoch in's
Französische hinein! -- Und triumphirend, wie der heilige Görg vom hohen Roß
herab auf den Lindwurm, sah er bei den letzten W. auf den kleinen Schneidermeister ^
herunter. -- Na, sagte dieser gähnend; so wird's mit den Franzosen auch bald
aus sein? -- Das versteht sich. Wer kann ruhig schlafen in Europa, so lang
die Pariser Revolution dauert? Man kommt ja zu Nichts, vor lauter Zeitung¬
lesen, die Kirchen stehen leer, die Messe wird rein vor'in Bettelvolk gelesen und
tritt man in den Beichtstuhl und guckt durch's Gitterloch, so melden sich lauter
alte Weiber. S'ist erbärmlich. Die größten Potentaten wie die kleinsten müssen
in Einem fort den Courszettel auswendig lernen und schicken jeden Augenblick
zum Rothschild und zum Sina, zum Sina und zum Rothschild, wie der König
Pharao zu deu Zeichendeutern oder wie Saul nach der Hexe von Endor; sie kön¬
nen ja nicht wissen, was heut oder morgen dem ersten besten Republikaner für
eine Jnterpellation einfällt. Gewiß, mein braver Herr Obermaier, dem Krater
der Revolution wird man mit Gottes Hilfe schon den Rachen stopfen.

Geschlossen wird er einst, sagte ich; aber Euere Hände sind zu diesem Werke
am wenigsten berufen oder auserwählt. Was ist seit sechzig Jahren nicht geopfert
worden, um den geheimnißvollen Curtiusschlund zu befriedigen, und er gähnt
noch immer, schwarz und unheimlich wie einst. Ganze Menschengeschlechter, sieg¬
reiche Heere, zertrümmerte Städte und hundert Thronsessel wurden hineingestürzt,
umsonst. Dreimal ward eine hohe zackige Krone um seinen Rand geschmiedet,
sie schmolz. Jetzt sitzt der Louis Napoleon des Friedens als loser Stöpsel
drauf und nähmt Ihr einen Stöpsel von Gottes Gnaden mit einem Purpur¬
mantel und rauschgoldigem Königsstecken in der Hand, -- er frommt nur kurze
Zeit. Und frommt er auch länger: der ausgebrannten Vulkan dort ist nicht der


lich um das revolutionäre Gelächter der Emancipirten abschreckend darzustellen.
Schon recht! rief er wieder mit pathetischen Zorn: nur philosophisch: So kommt's,
wenn lauter Supergelehrte und Feinredner regieren!! Und er ward dunkelroth im
Gesicht, vielleicht von dem stechenden Blick, den ich ihm zuwarf. — Lieber Mann
Gottes, waren es denn Sänglinge, die in jenen Mainächten den züchtigen Wiener
Mond so betrübten? Drei Monat alte Sänglinge, geboren am 13. März, Nach¬
mittags Punkt fünf Uhr? Ich glaubte immer, die Garden und Legionäre seien
hübsch große Kinder aus der guten alten Zeit gewesen, aufgewachsen unter Euerer
Zuchtruthe? An der übertriebenen Gelehrsamkeit im alten Oestreich kann's aber
auch nicht gelegen haben? — Diese Fragen enthielt mein Blick, allein der Hoch¬
würdige verstand ihn nicht zu entziffern. Er verbreitete sich gegen seinen Neben¬
mann über die ausgedehnte Verzweigung des katholischen Vereins und über die
segensreichen Folgen seiner Wirksamkeit für den Himmel und die Erde. Wir er¬
strecken uns, sagte er, an den Fingern zählend, erstens durch die ganze Mmiarchie, zwei¬
tens durch Vaterland, Schwaben, Baden und Rheinland, drittens durch Belgien
und die Schweiz , endlich, und das ist die Hauptsache, bis Äef „ud hoch in's
Französische hinein! — Und triumphirend, wie der heilige Görg vom hohen Roß
herab auf den Lindwurm, sah er bei den letzten W. auf den kleinen Schneidermeister ^
herunter. — Na, sagte dieser gähnend; so wird's mit den Franzosen auch bald
aus sein? — Das versteht sich. Wer kann ruhig schlafen in Europa, so lang
die Pariser Revolution dauert? Man kommt ja zu Nichts, vor lauter Zeitung¬
lesen, die Kirchen stehen leer, die Messe wird rein vor'in Bettelvolk gelesen und
tritt man in den Beichtstuhl und guckt durch's Gitterloch, so melden sich lauter
alte Weiber. S'ist erbärmlich. Die größten Potentaten wie die kleinsten müssen
in Einem fort den Courszettel auswendig lernen und schicken jeden Augenblick
zum Rothschild und zum Sina, zum Sina und zum Rothschild, wie der König
Pharao zu deu Zeichendeutern oder wie Saul nach der Hexe von Endor; sie kön¬
nen ja nicht wissen, was heut oder morgen dem ersten besten Republikaner für
eine Jnterpellation einfällt. Gewiß, mein braver Herr Obermaier, dem Krater
der Revolution wird man mit Gottes Hilfe schon den Rachen stopfen.

Geschlossen wird er einst, sagte ich; aber Euere Hände sind zu diesem Werke
am wenigsten berufen oder auserwählt. Was ist seit sechzig Jahren nicht geopfert
worden, um den geheimnißvollen Curtiusschlund zu befriedigen, und er gähnt
noch immer, schwarz und unheimlich wie einst. Ganze Menschengeschlechter, sieg¬
reiche Heere, zertrümmerte Städte und hundert Thronsessel wurden hineingestürzt,
umsonst. Dreimal ward eine hohe zackige Krone um seinen Rand geschmiedet,
sie schmolz. Jetzt sitzt der Louis Napoleon des Friedens als loser Stöpsel
drauf und nähmt Ihr einen Stöpsel von Gottes Gnaden mit einem Purpur¬
mantel und rauschgoldigem Königsstecken in der Hand, — er frommt nur kurze
Zeit. Und frommt er auch länger: der ausgebrannten Vulkan dort ist nicht der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/219>, abgerufen am 15.01.2025.