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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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tels Termin und die Gewohnheit diesem Reitervolk eine sehr einfache, aber den
Oestreickern imponirende Art der Schlachtansührung. Sie warfen die alte Napo-
leonische Theorie, 3 Kanonen auf 1000 Mann, über den Haufen, vermehrten die
Zahl ihrer Feldgeschütze in's Unerhörte und gewannen eine Anzahl Schlachten da¬
durch, daß: sie mit ihrer Infanterie den ersten Angriff machten, dicht hinter ihr
die berittenen Batterien aufführten, bei ernsthaftem Widerstand des Feindes die
Honvedbatallwne sich öffnen ließe", durch ein furchtbares Geschützfeuer aus der
Nähe den Feind decontenancirten und in die Betroffenen mit ihrer Reiterei un¬
widerstehlich einHieben. Als sie die ersten blutigen Treffen gegen die Russen hat¬
ten, da fluchte der ungarische Husar, daß die feindlichen Jnfanterieregimenter nicht
aus Menschen bestanden, sondern aus Mehlsäcken oder Holzpfählen, was nicht er¬
schossen und überritten wurde, blieb ruhig und glotzäugig stehn; es mußte jeder
Einzelne getödtet werden, die Lebenden wichen durchaus uicht von der Stelle. Das
machte die Arbeit der Schlacht für die Husaren lästig und mühsam, zuletzt wur¬
den ihre Arme müde an der Menschenmauer. -- Die Russe" hatten übrigens
auch ihrerseits die Geschützanzahl unverhältnismäßig vermehrt; wenn man den
freilich nicht authentischen Aufzählungen der verschiedenen Trnppenkräste in den
ministeriellen Journalen trauen darf, so rückten die Russen mit ungefähr 150,000
Mann und 1,200 Geschützen in Ungarn ein; woraus das unerhörte Verhältniß
von 8 Geschützen auf 2000 Mann folgen würde. -- Ueber Alles dies und Vieles
Andere soll uns eine Geschichte dieses Feldzugs von einem Militär geschrieben,
Aufschluß geben; und die Magyaren müssen den Anfang machen, die langsameren
Oestreicher und Russen werden dann schon nachkommen, weil es Allerlei zu wi¬
derlegen und zu vertheidigen geben wird.

Unterdeß schreibt sich das arme geschlagene Volk der Magyaren daheim in
den Ebenen, über welche jetzt der kalte Herbstwind bläst, die Memoiren des Krie¬
ges auf seine eigene Weise. Alles Große, Menschliche, Rührende und Erschüt¬
ternde der seltsamen Zeit verwandelt sich ihm schon jetzt in Lieder, Sagen und
abenteuerliche Geschichten: keine Gegend Ungarns hat so viel davon in epischer
Behandlung verarbeitet, als das feste Komorn, wo der Honved und der Husar
während des Kampfes in behaglicher Ruhe nebeneinandersaßen und den Chorus
der griechischen Tragödie zu deu Thaten dort draußen bildeten.

Die Vertheidiger lebten während der Belagerung in Saus und Braus. Wenn
die kaiserlichen Bomben ans dem klafterhohen Rasen über den Wällen der Vor¬
werke ins Gras bissen und mit ohnmächtiger Wuth sich in das weiche Erdreich
vergruben, jubelten die Magyaren in den sichern Kasematten beim Glase Schom-
lauer oder Nesmyler und brachten Toaste aus auf den italienischen Ingenieur,
der Komorn gebant. Da sieht man, wie Italien und Ungarn von Haus aus
verschwistert sind; beide hassen dieselben Kerkermeister und arbeiteten, vorahnend,


Grenjbvte,^ IV. 1849. 25

tels Termin und die Gewohnheit diesem Reitervolk eine sehr einfache, aber den
Oestreickern imponirende Art der Schlachtansührung. Sie warfen die alte Napo-
leonische Theorie, 3 Kanonen auf 1000 Mann, über den Haufen, vermehrten die
Zahl ihrer Feldgeschütze in's Unerhörte und gewannen eine Anzahl Schlachten da¬
durch, daß: sie mit ihrer Infanterie den ersten Angriff machten, dicht hinter ihr
die berittenen Batterien aufführten, bei ernsthaftem Widerstand des Feindes die
Honvedbatallwne sich öffnen ließe», durch ein furchtbares Geschützfeuer aus der
Nähe den Feind decontenancirten und in die Betroffenen mit ihrer Reiterei un¬
widerstehlich einHieben. Als sie die ersten blutigen Treffen gegen die Russen hat¬
ten, da fluchte der ungarische Husar, daß die feindlichen Jnfanterieregimenter nicht
aus Menschen bestanden, sondern aus Mehlsäcken oder Holzpfählen, was nicht er¬
schossen und überritten wurde, blieb ruhig und glotzäugig stehn; es mußte jeder
Einzelne getödtet werden, die Lebenden wichen durchaus uicht von der Stelle. Das
machte die Arbeit der Schlacht für die Husaren lästig und mühsam, zuletzt wur¬
den ihre Arme müde an der Menschenmauer. — Die Russe» hatten übrigens
auch ihrerseits die Geschützanzahl unverhältnismäßig vermehrt; wenn man den
freilich nicht authentischen Aufzählungen der verschiedenen Trnppenkräste in den
ministeriellen Journalen trauen darf, so rückten die Russen mit ungefähr 150,000
Mann und 1,200 Geschützen in Ungarn ein; woraus das unerhörte Verhältniß
von 8 Geschützen auf 2000 Mann folgen würde. — Ueber Alles dies und Vieles
Andere soll uns eine Geschichte dieses Feldzugs von einem Militär geschrieben,
Aufschluß geben; und die Magyaren müssen den Anfang machen, die langsameren
Oestreicher und Russen werden dann schon nachkommen, weil es Allerlei zu wi¬
derlegen und zu vertheidigen geben wird.

Unterdeß schreibt sich das arme geschlagene Volk der Magyaren daheim in
den Ebenen, über welche jetzt der kalte Herbstwind bläst, die Memoiren des Krie¬
ges auf seine eigene Weise. Alles Große, Menschliche, Rührende und Erschüt¬
ternde der seltsamen Zeit verwandelt sich ihm schon jetzt in Lieder, Sagen und
abenteuerliche Geschichten: keine Gegend Ungarns hat so viel davon in epischer
Behandlung verarbeitet, als das feste Komorn, wo der Honved und der Husar
während des Kampfes in behaglicher Ruhe nebeneinandersaßen und den Chorus
der griechischen Tragödie zu deu Thaten dort draußen bildeten.

Die Vertheidiger lebten während der Belagerung in Saus und Braus. Wenn
die kaiserlichen Bomben ans dem klafterhohen Rasen über den Wällen der Vor¬
werke ins Gras bissen und mit ohnmächtiger Wuth sich in das weiche Erdreich
vergruben, jubelten die Magyaren in den sichern Kasematten beim Glase Schom-
lauer oder Nesmyler und brachten Toaste aus auf den italienischen Ingenieur,
der Komorn gebant. Da sieht man, wie Italien und Ungarn von Haus aus
verschwistert sind; beide hassen dieselben Kerkermeister und arbeiteten, vorahnend,


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[0197] tels Termin und die Gewohnheit diesem Reitervolk eine sehr einfache, aber den Oestreickern imponirende Art der Schlachtansührung. Sie warfen die alte Napo- leonische Theorie, 3 Kanonen auf 1000 Mann, über den Haufen, vermehrten die Zahl ihrer Feldgeschütze in's Unerhörte und gewannen eine Anzahl Schlachten da¬ durch, daß: sie mit ihrer Infanterie den ersten Angriff machten, dicht hinter ihr die berittenen Batterien aufführten, bei ernsthaftem Widerstand des Feindes die Honvedbatallwne sich öffnen ließe», durch ein furchtbares Geschützfeuer aus der Nähe den Feind decontenancirten und in die Betroffenen mit ihrer Reiterei un¬ widerstehlich einHieben. Als sie die ersten blutigen Treffen gegen die Russen hat¬ ten, da fluchte der ungarische Husar, daß die feindlichen Jnfanterieregimenter nicht aus Menschen bestanden, sondern aus Mehlsäcken oder Holzpfählen, was nicht er¬ schossen und überritten wurde, blieb ruhig und glotzäugig stehn; es mußte jeder Einzelne getödtet werden, die Lebenden wichen durchaus uicht von der Stelle. Das machte die Arbeit der Schlacht für die Husaren lästig und mühsam, zuletzt wur¬ den ihre Arme müde an der Menschenmauer. — Die Russe» hatten übrigens auch ihrerseits die Geschützanzahl unverhältnismäßig vermehrt; wenn man den freilich nicht authentischen Aufzählungen der verschiedenen Trnppenkräste in den ministeriellen Journalen trauen darf, so rückten die Russen mit ungefähr 150,000 Mann und 1,200 Geschützen in Ungarn ein; woraus das unerhörte Verhältniß von 8 Geschützen auf 2000 Mann folgen würde. — Ueber Alles dies und Vieles Andere soll uns eine Geschichte dieses Feldzugs von einem Militär geschrieben, Aufschluß geben; und die Magyaren müssen den Anfang machen, die langsameren Oestreicher und Russen werden dann schon nachkommen, weil es Allerlei zu wi¬ derlegen und zu vertheidigen geben wird. Unterdeß schreibt sich das arme geschlagene Volk der Magyaren daheim in den Ebenen, über welche jetzt der kalte Herbstwind bläst, die Memoiren des Krie¬ ges auf seine eigene Weise. Alles Große, Menschliche, Rührende und Erschüt¬ ternde der seltsamen Zeit verwandelt sich ihm schon jetzt in Lieder, Sagen und abenteuerliche Geschichten: keine Gegend Ungarns hat so viel davon in epischer Behandlung verarbeitet, als das feste Komorn, wo der Honved und der Husar während des Kampfes in behaglicher Ruhe nebeneinandersaßen und den Chorus der griechischen Tragödie zu deu Thaten dort draußen bildeten. Die Vertheidiger lebten während der Belagerung in Saus und Braus. Wenn die kaiserlichen Bomben ans dem klafterhohen Rasen über den Wällen der Vor¬ werke ins Gras bissen und mit ohnmächtiger Wuth sich in das weiche Erdreich vergruben, jubelten die Magyaren in den sichern Kasematten beim Glase Schom- lauer oder Nesmyler und brachten Toaste aus auf den italienischen Ingenieur, der Komorn gebant. Da sieht man, wie Italien und Ungarn von Haus aus verschwistert sind; beide hassen dieselben Kerkermeister und arbeiteten, vorahnend, Grenjbvte,^ IV. 1849. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/197>, abgerufen am 15.01.2025.