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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Klapka und Memoiren über den ungarischen Krieg.



Von den volksthümlichen Helden der Magyaren hat wenigstens einer, Klapka,
sich in den Hafen der Sicherheit gerettet. Mit einem Zwangspaß "auf Lebens¬
zeit" aus Komorn ins Ausland verwiesen, flog er auf der Eisenbahn nach Ham¬
burg, um von dort nach England überzusiedeln. Wo er rastete, begrüßten ihn
die Freudenrufe der Liberalen, und mit Stolz und Freude nahm der Gerettete ihre
Grüße entgegen. Wohl ist er glücklicher, als sein Freund Görgey; ihm blieb die
Seele rein von jener verhängnißvollen That, welche wir, die Zeitgenossen, verdam¬
men oder preisen, über welche es aber uur zwei Richter gibt, die Zukunft und
das eigene Gewissen des Ungarn. Furchtbar müssen dem Magyarenhäuptling Gör¬
gey die Tage in seiner Verbannung zu Klagenfurt werden, wo er aus den öst¬
reichischen Zeitungen liest, wie seiue Gefährten dem Strang oder der Kugel ver¬
fallen, weil er es für nützlich hielt, Ungarn von Kossuth zu scheiden. Hat er ge¬
handelt nach bestem Gewissen, uneigennützig, in reiner Absicht, so wirds ein tie¬
fer, bitterer Schmerz für ihn werden, daß Alles so ganz anders gekommen ist,
als er träumte; war aber etwas niedriges in seiner Seele an dem Tage, wo er
sich den Russen ergab, so werden aus den Leichenhügeln zu Pesth und Arad die
Erinnyen seiner That aufsteigen und den Rest seines Lebens erfüllen. -- Unterdeß
macht er Besuche bei östreichischen Gutsbesitzern und man rieth ihm freundschaftlich, sich in
der Gegend von Klagenfurt anzukaufen. Dagegen sitzt sein Gegner Kossuth bleich
und zerschmettert ans einem ärmlichen Polster zu Widdin, die Augen flehend nach
England gerichtet, müde seines Lebens, an der Zukunft seines Vaterlandes ver¬
zweifelnd, argwöhnisch auf die Politik seiner mürrischen Gastfreunde lauschend;
und eben dort liegt Bein, mit durchlöcherter Haut und zerfetztem Fleisch, sein Leib
eine große Wunde, aber seine Seele trotzig und ungebeugt wie immer.

Von Dembinski erzählen sie, daß er jetzt tagelang schweigend neben ihnen
sitzt und Tokayer trinkt. Guyon, den Dritten, hat der englische Gesandte frei
gemacht von der Gastfreundschaft der Türken. -- Glücklicher, als alle diese ist
Klapka, er hat seinen Ruhm und Ruf in die Freiheit gerettet und vor ihm liegt
ein neues Leben offen da. -- Er soll die Absicht geäußert haben, die Memoiren
dieses Krieges zu schreiben. Ein gutes Unternehmen! Nie hat es einen Feldzug
gegeben, der so reich an geheimnißvollem Detail, an wunderbaren Thaten und
unbegreiflichen Fehlern war, als dieser. Aber nicht nur als geschichtliche Bege¬
benheit ist er interessant, auch sür die Kriegskunst ist die Kriegführung in dem¬
selben ein Ereigniß. Es war ein Kämpfen mit Kanonen und Husaren, die In¬
fanterie der Ungarn war zu grün und zu schwach, um sicher zu sein, da brachten


Klapka und Memoiren über den ungarischen Krieg.



Von den volksthümlichen Helden der Magyaren hat wenigstens einer, Klapka,
sich in den Hafen der Sicherheit gerettet. Mit einem Zwangspaß „auf Lebens¬
zeit" aus Komorn ins Ausland verwiesen, flog er auf der Eisenbahn nach Ham¬
burg, um von dort nach England überzusiedeln. Wo er rastete, begrüßten ihn
die Freudenrufe der Liberalen, und mit Stolz und Freude nahm der Gerettete ihre
Grüße entgegen. Wohl ist er glücklicher, als sein Freund Görgey; ihm blieb die
Seele rein von jener verhängnißvollen That, welche wir, die Zeitgenossen, verdam¬
men oder preisen, über welche es aber uur zwei Richter gibt, die Zukunft und
das eigene Gewissen des Ungarn. Furchtbar müssen dem Magyarenhäuptling Gör¬
gey die Tage in seiner Verbannung zu Klagenfurt werden, wo er aus den öst¬
reichischen Zeitungen liest, wie seiue Gefährten dem Strang oder der Kugel ver¬
fallen, weil er es für nützlich hielt, Ungarn von Kossuth zu scheiden. Hat er ge¬
handelt nach bestem Gewissen, uneigennützig, in reiner Absicht, so wirds ein tie¬
fer, bitterer Schmerz für ihn werden, daß Alles so ganz anders gekommen ist,
als er träumte; war aber etwas niedriges in seiner Seele an dem Tage, wo er
sich den Russen ergab, so werden aus den Leichenhügeln zu Pesth und Arad die
Erinnyen seiner That aufsteigen und den Rest seines Lebens erfüllen. — Unterdeß
macht er Besuche bei östreichischen Gutsbesitzern und man rieth ihm freundschaftlich, sich in
der Gegend von Klagenfurt anzukaufen. Dagegen sitzt sein Gegner Kossuth bleich
und zerschmettert ans einem ärmlichen Polster zu Widdin, die Augen flehend nach
England gerichtet, müde seines Lebens, an der Zukunft seines Vaterlandes ver¬
zweifelnd, argwöhnisch auf die Politik seiner mürrischen Gastfreunde lauschend;
und eben dort liegt Bein, mit durchlöcherter Haut und zerfetztem Fleisch, sein Leib
eine große Wunde, aber seine Seele trotzig und ungebeugt wie immer.

Von Dembinski erzählen sie, daß er jetzt tagelang schweigend neben ihnen
sitzt und Tokayer trinkt. Guyon, den Dritten, hat der englische Gesandte frei
gemacht von der Gastfreundschaft der Türken. — Glücklicher, als alle diese ist
Klapka, er hat seinen Ruhm und Ruf in die Freiheit gerettet und vor ihm liegt
ein neues Leben offen da. — Er soll die Absicht geäußert haben, die Memoiren
dieses Krieges zu schreiben. Ein gutes Unternehmen! Nie hat es einen Feldzug
gegeben, der so reich an geheimnißvollem Detail, an wunderbaren Thaten und
unbegreiflichen Fehlern war, als dieser. Aber nicht nur als geschichtliche Bege¬
benheit ist er interessant, auch sür die Kriegskunst ist die Kriegführung in dem¬
selben ein Ereigniß. Es war ein Kämpfen mit Kanonen und Husaren, die In¬
fanterie der Ungarn war zu grün und zu schwach, um sicher zu sein, da brachten


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[0196] Klapka und Memoiren über den ungarischen Krieg. Von den volksthümlichen Helden der Magyaren hat wenigstens einer, Klapka, sich in den Hafen der Sicherheit gerettet. Mit einem Zwangspaß „auf Lebens¬ zeit" aus Komorn ins Ausland verwiesen, flog er auf der Eisenbahn nach Ham¬ burg, um von dort nach England überzusiedeln. Wo er rastete, begrüßten ihn die Freudenrufe der Liberalen, und mit Stolz und Freude nahm der Gerettete ihre Grüße entgegen. Wohl ist er glücklicher, als sein Freund Görgey; ihm blieb die Seele rein von jener verhängnißvollen That, welche wir, die Zeitgenossen, verdam¬ men oder preisen, über welche es aber uur zwei Richter gibt, die Zukunft und das eigene Gewissen des Ungarn. Furchtbar müssen dem Magyarenhäuptling Gör¬ gey die Tage in seiner Verbannung zu Klagenfurt werden, wo er aus den öst¬ reichischen Zeitungen liest, wie seiue Gefährten dem Strang oder der Kugel ver¬ fallen, weil er es für nützlich hielt, Ungarn von Kossuth zu scheiden. Hat er ge¬ handelt nach bestem Gewissen, uneigennützig, in reiner Absicht, so wirds ein tie¬ fer, bitterer Schmerz für ihn werden, daß Alles so ganz anders gekommen ist, als er träumte; war aber etwas niedriges in seiner Seele an dem Tage, wo er sich den Russen ergab, so werden aus den Leichenhügeln zu Pesth und Arad die Erinnyen seiner That aufsteigen und den Rest seines Lebens erfüllen. — Unterdeß macht er Besuche bei östreichischen Gutsbesitzern und man rieth ihm freundschaftlich, sich in der Gegend von Klagenfurt anzukaufen. Dagegen sitzt sein Gegner Kossuth bleich und zerschmettert ans einem ärmlichen Polster zu Widdin, die Augen flehend nach England gerichtet, müde seines Lebens, an der Zukunft seines Vaterlandes ver¬ zweifelnd, argwöhnisch auf die Politik seiner mürrischen Gastfreunde lauschend; und eben dort liegt Bein, mit durchlöcherter Haut und zerfetztem Fleisch, sein Leib eine große Wunde, aber seine Seele trotzig und ungebeugt wie immer. Von Dembinski erzählen sie, daß er jetzt tagelang schweigend neben ihnen sitzt und Tokayer trinkt. Guyon, den Dritten, hat der englische Gesandte frei gemacht von der Gastfreundschaft der Türken. — Glücklicher, als alle diese ist Klapka, er hat seinen Ruhm und Ruf in die Freiheit gerettet und vor ihm liegt ein neues Leben offen da. — Er soll die Absicht geäußert haben, die Memoiren dieses Krieges zu schreiben. Ein gutes Unternehmen! Nie hat es einen Feldzug gegeben, der so reich an geheimnißvollem Detail, an wunderbaren Thaten und unbegreiflichen Fehlern war, als dieser. Aber nicht nur als geschichtliche Bege¬ benheit ist er interessant, auch sür die Kriegskunst ist die Kriegführung in dem¬ selben ein Ereigniß. Es war ein Kämpfen mit Kanonen und Husaren, die In¬ fanterie der Ungarn war zu grün und zu schwach, um sicher zu sein, da brachten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/196>, abgerufen am 15.01.2025.