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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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galizischer Erde, unter deren Bewohnern sich Viele griechisch bekreuzen anstatt
katholisch, knetete daraus einige hundert Tausend Staatsbürger, blies ihnen
das Zauberwort: Gleichberechtigung, in die Nüstern, und siehe da, im Schat¬
ten des babylonische" Thurmes lagerte plötzlich eine neue, unerhörte Nation: die
Nuthenen, und ballte die Faust und stotterte inartikulirte Flüche gegen die re¬
bellisch gesinnten Polen. Die gefürchtet" Nemesis lebt aber immer noch und wandte
sich zuerst gegen den Volkscrfinder. Stadion hatte seinem Geschöpf eine respek¬
table menschliche Sprache verheißen, und bis zur Anfertigung derselben dachte er
es in die deutsche Schule zu schicken. Das war eine deutsche List, eine plumpe
List, und sie schlug fehl. Dem Grasen ging es wie dem Zauberlehrling, nur daß
ihm kein Meister im Augenblick der Noth zu Hilfe kam. Die Rutheucn ließen
nicht ab von ihm, sie verfolgten ihn, wo er ging und stand; ob er im Staatsrath
saß oder sein Lager suchte, im Wachen und Träumen erschienen sie, angeführt von
weißbärtigen Popen, würfen sich ihm zu Füßen, hingen sich an seinen Rocksaum
und schrieen: Du hast aus uus ein Volk gemacht, nun gib uns Ohren- und
Nasenringe, wie andere Völker haben, gib uns eine glorreiche Vergangenheit, gib uns
Ahnen, Fürstengrüfte, Genies und Doctoren und eine geflügelte Sprache, damit wir
gleichberechtigt austreten und uicht so bettelhaft cinherschleichen zwischen den Kin¬
dern des weißen Czars und den stolzen Polacken. -- Der Graf ging und riß ein
schmutziges Blatt aus der Geschichte Oestreichs mit der Ueberschrift 1846, reichte
es ihnen und sagte: Da habt Ihr! Szela sei euer Ahnherr, und der Vernichtungs¬
krieg gegen euere Edelleute, ihre Weiber und Kinder sei euere Historie; sie wiegt
die glorreichen Thaten vieler Fürsten anf. -- I" den dämonischen Kreaturen war
jedoch ein unbändiger Ehrgeiz erwacht; sie begnügten sich nicht mit ihrer Historie,
sondern kamen wieder und verlangten nationale Werke der Kunst und Gelehrsam¬
keit, womit sie sich brüsten könnten; auch eine Handvoll Witz begehrten sie, damit
sie heiter sein könnten und liebenswürdig, wie ihre feindlichen Brüder, die Po¬
len, und sich ihr elendes Dasein verschönern in den kothigen Dörfern und lang¬
weiligen Winternächten Galiziens. -- Der Graf geriet!) in Verzweiflung, er bat
und beschwor, aber keine Ausflucht nützte, denn sie drohten im Weigerungsfalle
mit dem Popen aller Popen in Se. Petersburg. Und der Arme ging und
arbeitete im Schweiße seines Angesichts und wollte dem Volke seiner Schöpfung
eine Blumenlese aus den künftigen Klassikern Nutheniens oktroyiren. Die März-
vcrfaffnng war Kinderspiel gegen dieses Zauberwcrk; daß er jedoch kein Zauberer,
das wurde Stadion zu spät inne. Angst und Sorge über sein tollkühnes Be¬
ginnen erzeugten einen bösen schwarzgelben Wurm, für den die Naturforscher noch
keinen Namen gefunden haben, und dieser Wurm zerstörte allmälig das Gehirn
des Grafen; keines der schlechtesten, keines der unedelsten in Oestreich. --

Kindisch wie der Irrwahn war, trug er dem Hause Habsburg doch reiche Früchte,
denn unter dem Zeichen der Gleichberechtigung, welche Tausenden die Verwirkli-


galizischer Erde, unter deren Bewohnern sich Viele griechisch bekreuzen anstatt
katholisch, knetete daraus einige hundert Tausend Staatsbürger, blies ihnen
das Zauberwort: Gleichberechtigung, in die Nüstern, und siehe da, im Schat¬
ten des babylonische» Thurmes lagerte plötzlich eine neue, unerhörte Nation: die
Nuthenen, und ballte die Faust und stotterte inartikulirte Flüche gegen die re¬
bellisch gesinnten Polen. Die gefürchtet« Nemesis lebt aber immer noch und wandte
sich zuerst gegen den Volkscrfinder. Stadion hatte seinem Geschöpf eine respek¬
table menschliche Sprache verheißen, und bis zur Anfertigung derselben dachte er
es in die deutsche Schule zu schicken. Das war eine deutsche List, eine plumpe
List, und sie schlug fehl. Dem Grasen ging es wie dem Zauberlehrling, nur daß
ihm kein Meister im Augenblick der Noth zu Hilfe kam. Die Rutheucn ließen
nicht ab von ihm, sie verfolgten ihn, wo er ging und stand; ob er im Staatsrath
saß oder sein Lager suchte, im Wachen und Träumen erschienen sie, angeführt von
weißbärtigen Popen, würfen sich ihm zu Füßen, hingen sich an seinen Rocksaum
und schrieen: Du hast aus uus ein Volk gemacht, nun gib uns Ohren- und
Nasenringe, wie andere Völker haben, gib uns eine glorreiche Vergangenheit, gib uns
Ahnen, Fürstengrüfte, Genies und Doctoren und eine geflügelte Sprache, damit wir
gleichberechtigt austreten und uicht so bettelhaft cinherschleichen zwischen den Kin¬
dern des weißen Czars und den stolzen Polacken. — Der Graf ging und riß ein
schmutziges Blatt aus der Geschichte Oestreichs mit der Ueberschrift 1846, reichte
es ihnen und sagte: Da habt Ihr! Szela sei euer Ahnherr, und der Vernichtungs¬
krieg gegen euere Edelleute, ihre Weiber und Kinder sei euere Historie; sie wiegt
die glorreichen Thaten vieler Fürsten anf. — I» den dämonischen Kreaturen war
jedoch ein unbändiger Ehrgeiz erwacht; sie begnügten sich nicht mit ihrer Historie,
sondern kamen wieder und verlangten nationale Werke der Kunst und Gelehrsam¬
keit, womit sie sich brüsten könnten; auch eine Handvoll Witz begehrten sie, damit
sie heiter sein könnten und liebenswürdig, wie ihre feindlichen Brüder, die Po¬
len, und sich ihr elendes Dasein verschönern in den kothigen Dörfern und lang¬
weiligen Winternächten Galiziens. — Der Graf geriet!) in Verzweiflung, er bat
und beschwor, aber keine Ausflucht nützte, denn sie drohten im Weigerungsfalle
mit dem Popen aller Popen in Se. Petersburg. Und der Arme ging und
arbeitete im Schweiße seines Angesichts und wollte dem Volke seiner Schöpfung
eine Blumenlese aus den künftigen Klassikern Nutheniens oktroyiren. Die März-
vcrfaffnng war Kinderspiel gegen dieses Zauberwcrk; daß er jedoch kein Zauberer,
das wurde Stadion zu spät inne. Angst und Sorge über sein tollkühnes Be¬
ginnen erzeugten einen bösen schwarzgelben Wurm, für den die Naturforscher noch
keinen Namen gefunden haben, und dieser Wurm zerstörte allmälig das Gehirn
des Grafen; keines der schlechtesten, keines der unedelsten in Oestreich. —

Kindisch wie der Irrwahn war, trug er dem Hause Habsburg doch reiche Früchte,
denn unter dem Zeichen der Gleichberechtigung, welche Tausenden die Verwirkli-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/192>, abgerufen am 15.01.2025.