Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.doxie in religiösen und politischen Dingen, die Einseitigkeit des Wissens und Wol- Für diesen Zweck, soweit er dnrch Bildung der Jugend zu erreichen ist,- Eine Hauptausgabe unserer Zeit aber ist, in dieser Hinsicht für die erwach¬ Zu diesem Behufe leisten in neuerer Zeit allerdings die vervielfältigten Rei¬ doxie in religiösen und politischen Dingen, die Einseitigkeit des Wissens und Wol- Für diesen Zweck, soweit er dnrch Bildung der Jugend zu erreichen ist,- Eine Hauptausgabe unserer Zeit aber ist, in dieser Hinsicht für die erwach¬ Zu diesem Behufe leisten in neuerer Zeit allerdings die vervielfältigten Rei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279730"/> <p xml:id="ID_616" prev="#ID_615"> doxie in religiösen und politischen Dingen, die Einseitigkeit des Wissens und Wol-<lb/> lens, vor allem aber die Unwissenheit. Wahre, vielseitige Belehrung ist un¬<lb/> bedingt das Hauptmittel gegen diese Krankheit, besonders wo sie epidemisch herrscht.<lb/> Wer dem Fanatismus der Volker vorbauen oder seine Nachwehen heilen will, der<lb/> tavf nicht Unwissenheit oder Orthodoxie aussäen. Hier gibt es nur ein Mittel:<lb/> »it.mneine Verbreitung wahrer Bildung, eines vielseitigen und thatsachenreichen<lb/> Wissens im Volke!</p><lb/> <p xml:id="ID_617"> Für diesen Zweck, soweit er dnrch Bildung der Jugend zu erreichen ist,-<lb/> hat die neuere Zeit unstreitig viel, aber noch uicht Alles geleistet. Unsere Schul-<lb/> einrichtungen haben sich verbessert und die Unterrichtsgegenstände (fast zu sehr)<lb/> vervielfältigt. Aber noch immer hat unser Unterrichtswesen eine einseitige spiri-<lb/> tualistische Richtung beibehalten. Es muß den Naturwissenschaften, es muß der<lb/> Körperbildung, der Sinnesübung bei der Erziehung unserer Jugend eine weit<lb/> größere Geltung eingeräumt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_618"> Eine Hauptausgabe unserer Zeit aber ist, in dieser Hinsicht für die erwach¬<lb/> sene Bevölkerung unseres Vaterlandes zu sorgen, welche so eben und so plötz¬<lb/> lich erst zur politischen Mündigkeit gelangt ist. Denn sie leidet noch an den Fol¬<lb/> gen der früheren Beschränkungen ihrer politischen und religiösen Bildung und ist<lb/> mehr als vielleicht jede künftige Generation dazu disponirt, in Fanatismus zu<lb/> verfallen oder dazu bearbeitet zu werden. Plötzlich ist ihnen die neue Freiheit<lb/> gekommen. Oft habe ich mich im letzten Jahre gefragt, oft andere fragen hören:<lb/> „War denn das Volk l848 wirklich reif für die Freiheit?" Und<lb/> ich habe stets antworten müssen: „ja! und abermals ja!" Wir haben das Volk<lb/> reifer befunden, als wir vorher geglaubt hätten: reifer als Viele unter den sich<lb/> vom Volke abschließenden Klassen; denn unter diesen fanden sich Tausende, welche<lb/> bei den ersten Unannehmlichkeiten und Uebertreibungen der neuen Freiheit schon bereit<lb/> waren, sich und die Ehre und Freiheit des Volkes zu verkaufe», um nur ihre<lb/> Vorrechte und ihre Einnahmen zu sichern. — Aber diese Reife ist erst die Be¬<lb/> fähigung zur selbstständigen freien Fortbildung. So wenig man ei¬<lb/> nen jungen, so eben von der Universität kommenden Doctor schon als erfahrenen<lb/> ärztlichen Praktiker anerkennen kann: so wenig kann man annehmen, daß ein Volk,<lb/> das erst frei wird, die Freiheit schon völlig und richtig zu gebrauchen verstehen werde.<lb/> Vielmehr beginnt nun erst die wichtigste Schule für dasselbe.</p><lb/> <p xml:id="ID_619"> Zu diesem Behufe leisten in neuerer Zeit allerdings die vervielfältigten Rei¬<lb/> segelegenheiten, besonders die Eisenbahnen und Dampfschiffe sehr viel; sie gestat¬<lb/> ten auch dem Aermsten, sich in der Welt umzusehen, seinen Gesichtskreis zu er¬<lb/> weitern, sein Wissen dnrch thatsächliche Selbstbeobachtungen zu vermehren. Sie<lb/> zerstören namentlich jene abschließende Isolirung der Stämme wie der Einzelnen,<lb/> welche eine Hauptquelle der Einseitigkeiten, der Vorurtheile und der Neigung zum<lb/> Fanatismus ist.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
doxie in religiösen und politischen Dingen, die Einseitigkeit des Wissens und Wol-
lens, vor allem aber die Unwissenheit. Wahre, vielseitige Belehrung ist un¬
bedingt das Hauptmittel gegen diese Krankheit, besonders wo sie epidemisch herrscht.
Wer dem Fanatismus der Volker vorbauen oder seine Nachwehen heilen will, der
tavf nicht Unwissenheit oder Orthodoxie aussäen. Hier gibt es nur ein Mittel:
»it.mneine Verbreitung wahrer Bildung, eines vielseitigen und thatsachenreichen
Wissens im Volke!
Für diesen Zweck, soweit er dnrch Bildung der Jugend zu erreichen ist,-
hat die neuere Zeit unstreitig viel, aber noch uicht Alles geleistet. Unsere Schul-
einrichtungen haben sich verbessert und die Unterrichtsgegenstände (fast zu sehr)
vervielfältigt. Aber noch immer hat unser Unterrichtswesen eine einseitige spiri-
tualistische Richtung beibehalten. Es muß den Naturwissenschaften, es muß der
Körperbildung, der Sinnesübung bei der Erziehung unserer Jugend eine weit
größere Geltung eingeräumt werden.
Eine Hauptausgabe unserer Zeit aber ist, in dieser Hinsicht für die erwach¬
sene Bevölkerung unseres Vaterlandes zu sorgen, welche so eben und so plötz¬
lich erst zur politischen Mündigkeit gelangt ist. Denn sie leidet noch an den Fol¬
gen der früheren Beschränkungen ihrer politischen und religiösen Bildung und ist
mehr als vielleicht jede künftige Generation dazu disponirt, in Fanatismus zu
verfallen oder dazu bearbeitet zu werden. Plötzlich ist ihnen die neue Freiheit
gekommen. Oft habe ich mich im letzten Jahre gefragt, oft andere fragen hören:
„War denn das Volk l848 wirklich reif für die Freiheit?" Und
ich habe stets antworten müssen: „ja! und abermals ja!" Wir haben das Volk
reifer befunden, als wir vorher geglaubt hätten: reifer als Viele unter den sich
vom Volke abschließenden Klassen; denn unter diesen fanden sich Tausende, welche
bei den ersten Unannehmlichkeiten und Uebertreibungen der neuen Freiheit schon bereit
waren, sich und die Ehre und Freiheit des Volkes zu verkaufe», um nur ihre
Vorrechte und ihre Einnahmen zu sichern. — Aber diese Reife ist erst die Be¬
fähigung zur selbstständigen freien Fortbildung. So wenig man ei¬
nen jungen, so eben von der Universität kommenden Doctor schon als erfahrenen
ärztlichen Praktiker anerkennen kann: so wenig kann man annehmen, daß ein Volk,
das erst frei wird, die Freiheit schon völlig und richtig zu gebrauchen verstehen werde.
Vielmehr beginnt nun erst die wichtigste Schule für dasselbe.
Zu diesem Behufe leisten in neuerer Zeit allerdings die vervielfältigten Rei¬
segelegenheiten, besonders die Eisenbahnen und Dampfschiffe sehr viel; sie gestat¬
ten auch dem Aermsten, sich in der Welt umzusehen, seinen Gesichtskreis zu er¬
weitern, sein Wissen dnrch thatsächliche Selbstbeobachtungen zu vermehren. Sie
zerstören namentlich jene abschließende Isolirung der Stämme wie der Einzelnen,
welche eine Hauptquelle der Einseitigkeiten, der Vorurtheile und der Neigung zum
Fanatismus ist.
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