Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.her sehr nahe. -- Der Unterschied beider ist, daß die fixe Idee das Ergebniß Die "Ursachen des Fanatismus" sind schon ans Dem, was wir über her sehr nahe. — Der Unterschied beider ist, daß die fixe Idee das Ergebniß Die „Ursachen des Fanatismus" sind schon ans Dem, was wir über <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279726"/> <p xml:id="ID_602" prev="#ID_601"> her sehr nahe. — Der Unterschied beider ist, daß die fixe Idee das Ergebniß<lb/> einer körperlichen Erkrankung (oft einer wirklichen Hirnkrankheit, oft der Sinnes¬<lb/> täuschungen) ist, daß der Irrthum hier von einer untergeordneten einzelnen Vor¬<lb/> stellung ausgeht und sich wider Willen des Erkrankenden festsetzt. Beim Fanatiker<lb/> aber beginnt die krankhafte Einseitigkeit von dem in Glaubenssätze sich vertiefen¬<lb/> den Gemüth und die Hartnäckigkeit oder Heftigkeit entsteht anfangs aus dem<lb/> Vorsatze des Fanatikers. Daher hält man ihn auch gemeinhin für zurechnungs¬<lb/> fähig und verantwortlich. Dies ist aber falsch. Es ist hier wie beim Rausch;<lb/> mit der gänzlichen Betrunkenheit und mit der ausgebildeten Trunksucht hört die<lb/> freie Selbstbestimmung auf. So wird auch der Fanatiker durch den Rausch seiner<lb/> Ideen bald tobsüchtig, bald tiefsinnig, bald gcistesstumpf, und mit der Gewohn¬<lb/> heit des Rausches unwiderstehlich zu neuer Trunkenheit fortgerissen: in beiden<lb/> Fällen überschreitet er die Grenze der geistigen Gesundheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_603" next="#ID_604"> Die „Ursachen des Fanatismus" sind schon ans Dem, was wir über<lb/> dessen Wesen bemerkt haben, abzuleiten. Daß es eine gewisse Anlage zu diesem<lb/> Geisteszustande gibt, lehrt die Erfahrung. Kinder sind gar nicht, Greise kaum,<lb/> Frauen weniger als Männer dazu geneigt. Doch bietet das weibliche Geschlecht,<lb/> besonders in den reiferen Lebensjahren, durch seine vorwiegende Abhängigkett vom<lb/> Gemüthsleben und durch seine Neigung zur Gläubigkeit dem Fanatismus Ele¬<lb/> mente zur Entwickelung dar, besonders wenn Mangel an Bildung hinzutritt. (Als<lb/> Beispiel diene: die Frau, welche den Scheiterhaufen von Huß ansteckte, und die<lb/> Poissarden der ersten französischen Revolution.) Vorwiegend sind jedoch Männer<lb/> in reiferen Jahren zum Fanatismus (wie zu deu Geisteskrankheiten) disponirt. —<lb/> Die Psychologen und Aerzte unterscheiden bekanntlich die Geistesrichtungen in vier<lb/> Temperamente nach dem Grade der Thatkraft und der Erregbarkeit. Von<lb/> diesen sind es natürlich die thatkräftigen und ausdauernden, welche zum Fanatis¬<lb/> mus disponiren: sowohl das cholerische Temperament, welches Erregbarkeit und<lb/> Heftigkeit mit Willenskraft vereint, als das melancholische, welches bei träger<lb/> Erregbarkeit desto ausdauerndere Energie beweist. Hingegen sind die beiden ener¬<lb/> gielosen Temperamente auch vom Fanatismus wenig gefährdet, der leicht erreg¬<lb/> bare Sanguiniker treibt es vielleicht bis zur Schwärmerei, aber bald wird ihm<lb/> etwas Neues einfallen und die fanatische Stimmung wird sich verlieren. Ein<lb/> fanatischer Pflegmatiker aber ist gar nicht denkbar. Denn was man in neuester Zeit<lb/> mehr witzig als ernsthaft „Fanatiker der Ruhe" gescholten hat, sind Leute,<lb/> denen es an Energie nicht fehlt, deren Gemüthsstimmung aber von einem ma߬<lb/> losen Haß gegen die Unruhe beherrscht wird. — Unbestreitbar hat die Natio¬<lb/> nalität einen großen Einfluß auf die Anlage zum Fanatismus oder deren Feh¬<lb/> len. Einen fanatischen Lappländer, Esquimo oder Feuerländer kann man sich<lb/> nicht denken, weil dies energielose Völker sind. Hingegen bei dem Spanier, dem<lb/> Araber gilt die Anlage zum Fanatismus als nationale Eigenthümlichkeit. Unde-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
her sehr nahe. — Der Unterschied beider ist, daß die fixe Idee das Ergebniß
einer körperlichen Erkrankung (oft einer wirklichen Hirnkrankheit, oft der Sinnes¬
täuschungen) ist, daß der Irrthum hier von einer untergeordneten einzelnen Vor¬
stellung ausgeht und sich wider Willen des Erkrankenden festsetzt. Beim Fanatiker
aber beginnt die krankhafte Einseitigkeit von dem in Glaubenssätze sich vertiefen¬
den Gemüth und die Hartnäckigkeit oder Heftigkeit entsteht anfangs aus dem
Vorsatze des Fanatikers. Daher hält man ihn auch gemeinhin für zurechnungs¬
fähig und verantwortlich. Dies ist aber falsch. Es ist hier wie beim Rausch;
mit der gänzlichen Betrunkenheit und mit der ausgebildeten Trunksucht hört die
freie Selbstbestimmung auf. So wird auch der Fanatiker durch den Rausch seiner
Ideen bald tobsüchtig, bald tiefsinnig, bald gcistesstumpf, und mit der Gewohn¬
heit des Rausches unwiderstehlich zu neuer Trunkenheit fortgerissen: in beiden
Fällen überschreitet er die Grenze der geistigen Gesundheit.
Die „Ursachen des Fanatismus" sind schon ans Dem, was wir über
dessen Wesen bemerkt haben, abzuleiten. Daß es eine gewisse Anlage zu diesem
Geisteszustande gibt, lehrt die Erfahrung. Kinder sind gar nicht, Greise kaum,
Frauen weniger als Männer dazu geneigt. Doch bietet das weibliche Geschlecht,
besonders in den reiferen Lebensjahren, durch seine vorwiegende Abhängigkett vom
Gemüthsleben und durch seine Neigung zur Gläubigkeit dem Fanatismus Ele¬
mente zur Entwickelung dar, besonders wenn Mangel an Bildung hinzutritt. (Als
Beispiel diene: die Frau, welche den Scheiterhaufen von Huß ansteckte, und die
Poissarden der ersten französischen Revolution.) Vorwiegend sind jedoch Männer
in reiferen Jahren zum Fanatismus (wie zu deu Geisteskrankheiten) disponirt. —
Die Psychologen und Aerzte unterscheiden bekanntlich die Geistesrichtungen in vier
Temperamente nach dem Grade der Thatkraft und der Erregbarkeit. Von
diesen sind es natürlich die thatkräftigen und ausdauernden, welche zum Fanatis¬
mus disponiren: sowohl das cholerische Temperament, welches Erregbarkeit und
Heftigkeit mit Willenskraft vereint, als das melancholische, welches bei träger
Erregbarkeit desto ausdauerndere Energie beweist. Hingegen sind die beiden ener¬
gielosen Temperamente auch vom Fanatismus wenig gefährdet, der leicht erreg¬
bare Sanguiniker treibt es vielleicht bis zur Schwärmerei, aber bald wird ihm
etwas Neues einfallen und die fanatische Stimmung wird sich verlieren. Ein
fanatischer Pflegmatiker aber ist gar nicht denkbar. Denn was man in neuester Zeit
mehr witzig als ernsthaft „Fanatiker der Ruhe" gescholten hat, sind Leute,
denen es an Energie nicht fehlt, deren Gemüthsstimmung aber von einem ma߬
losen Haß gegen die Unruhe beherrscht wird. — Unbestreitbar hat die Natio¬
nalität einen großen Einfluß auf die Anlage zum Fanatismus oder deren Feh¬
len. Einen fanatischen Lappländer, Esquimo oder Feuerländer kann man sich
nicht denken, weil dies energielose Völker sind. Hingegen bei dem Spanier, dem
Araber gilt die Anlage zum Fanatismus als nationale Eigenthümlichkeit. Unde-
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