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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Der Fanatiker ist unfähig, etwas seinen Lieblingsideen Entgegengesetztes zu
begreifen und recht zu würdigen, selbst wenn es unbestreitbare Thatsachen wären.
Er ist unduldsam und unbillig gegen jeden Andersdenkenden. Eine ausschließende
Einseitigkeit beherrscht sein Denken, Reden und Handeln. Alles concentrirt sich
für ihn auf einen einzigen Punkt. Wird dieser berührt, so zeigt er sich einerseits
reizbar und aufbrausend gegen Entgegnungen, andererseits unerschöpflich in De¬
monstrationen und Scheingründen. Er zeigt entschiedenen Widerwillen gegen Be¬
lehrung überhaupt, weil er fürchtet, daß sie auch die Stützen seines eigenen Wah¬
nes erschüttern könnte. Er verachtet jedes andre, auf seine Lieblingsüberzengnn-
gen nicht Bezug habende Wissen und Lernen. (Omar verbrannte die große Biblio¬
thek zu Alexandria, weil der Koran Alles, was der Mensch brauche, enthalte.)
Er mißtraut jeder anderen Bestrebung, welche nicht auf denselben Zweck gerichtet
ist. -- Es kümmert ihn nicht, ob seine Bestrebungen ihm selbst oder denen,
welche ihm sonst lieb waren, Schaden zufügen, oder ob sie den allgemeinen Sit¬
tengesetzen zuwider laufen. Oft hält er sich sogar zu Freveln berechtigt, welche
der Menschlichkeit Hohn sprechen. -- Sein Charakter ist, im Vergleich zu sonst,
wie umgewandelt: aus Milde ist Rauheit, aus Wohlwollen Erbitterung geworden.
sein Benehmen gegen die, welche ihm bisher lieb und werth waren, ist verän¬
dert, abstoßend, feindlich. -- Seine Handlungen stehen mit dem Zwecke, den er
eigentlich vorhat, in größerem oder geringerem Widerspruch. (Wie kann da"
Christenthum oder die loyale Gesinnung durch Mord und Brand fortgepflanzt
werden!) -- Seine Thaten sind gewaltsam oder streifen ein Gewaltthätigkeit.
Seine Geberden, seine Bewegungen zeigen Anfälle (Paroxysmen) von Heftigkeit
und Wuth, abwechselnd mit Zwischenräumen von dumpfem Brüten und Jnstch-
versunkenseiu. -- Seine Blicke sind verstört oder fixirt, in der Aufregung auf¬
blitzend und stechend oder verzückt. Sein Aeußeres ist vernachlässigt oder phan¬
tastisch .aufgeputzt.

Diese Charakterzüge siud es, welche in größerer oder geringerer Vollständig¬
keit, den gerichtlichen oder Jrrenarzt bei der Erkenntniß der Geisteskrankheiten zu
leiten pflegen. Sie finden sich auch bei dem Fanatiker mehr oder weniger deut¬
lich ausgeprägt. Und deshalb betrachten wir den Fanatismus als eine
Krankt) eit.

Von eigentlichen Geisteskrankheiten steht dem Fanatismus ganz nahe
die fixe Idee und die dnrch solche hervorgerufene Monomanie (die krankhafte
Willensrichtung anf Verwirklichung einer fixen Idee oder eines blinden Triebes.)
Beide schließen, in der Sphäre des krankhaften Wollens, den freien Vernunft¬
gebrauch mehr oder weniger aus; beide beherrschen den Gedanken in einer einzel¬
ne" Richtung und schließen in dieser Beziehung das Vermögen einer besseren Er¬
kenntniß und einer Belehrung durch entgegenstehende Thatsachen aus. Fana¬
tismus und Monomanie (besonders die chimärische, der Aberwitz) stehen sich da-


Der Fanatiker ist unfähig, etwas seinen Lieblingsideen Entgegengesetztes zu
begreifen und recht zu würdigen, selbst wenn es unbestreitbare Thatsachen wären.
Er ist unduldsam und unbillig gegen jeden Andersdenkenden. Eine ausschließende
Einseitigkeit beherrscht sein Denken, Reden und Handeln. Alles concentrirt sich
für ihn auf einen einzigen Punkt. Wird dieser berührt, so zeigt er sich einerseits
reizbar und aufbrausend gegen Entgegnungen, andererseits unerschöpflich in De¬
monstrationen und Scheingründen. Er zeigt entschiedenen Widerwillen gegen Be¬
lehrung überhaupt, weil er fürchtet, daß sie auch die Stützen seines eigenen Wah¬
nes erschüttern könnte. Er verachtet jedes andre, auf seine Lieblingsüberzengnn-
gen nicht Bezug habende Wissen und Lernen. (Omar verbrannte die große Biblio¬
thek zu Alexandria, weil der Koran Alles, was der Mensch brauche, enthalte.)
Er mißtraut jeder anderen Bestrebung, welche nicht auf denselben Zweck gerichtet
ist. — Es kümmert ihn nicht, ob seine Bestrebungen ihm selbst oder denen,
welche ihm sonst lieb waren, Schaden zufügen, oder ob sie den allgemeinen Sit¬
tengesetzen zuwider laufen. Oft hält er sich sogar zu Freveln berechtigt, welche
der Menschlichkeit Hohn sprechen. — Sein Charakter ist, im Vergleich zu sonst,
wie umgewandelt: aus Milde ist Rauheit, aus Wohlwollen Erbitterung geworden.
sein Benehmen gegen die, welche ihm bisher lieb und werth waren, ist verän¬
dert, abstoßend, feindlich. — Seine Handlungen stehen mit dem Zwecke, den er
eigentlich vorhat, in größerem oder geringerem Widerspruch. (Wie kann da«
Christenthum oder die loyale Gesinnung durch Mord und Brand fortgepflanzt
werden!) — Seine Thaten sind gewaltsam oder streifen ein Gewaltthätigkeit.
Seine Geberden, seine Bewegungen zeigen Anfälle (Paroxysmen) von Heftigkeit
und Wuth, abwechselnd mit Zwischenräumen von dumpfem Brüten und Jnstch-
versunkenseiu. — Seine Blicke sind verstört oder fixirt, in der Aufregung auf¬
blitzend und stechend oder verzückt. Sein Aeußeres ist vernachlässigt oder phan¬
tastisch .aufgeputzt.

Diese Charakterzüge siud es, welche in größerer oder geringerer Vollständig¬
keit, den gerichtlichen oder Jrrenarzt bei der Erkenntniß der Geisteskrankheiten zu
leiten pflegen. Sie finden sich auch bei dem Fanatiker mehr oder weniger deut¬
lich ausgeprägt. Und deshalb betrachten wir den Fanatismus als eine
Krankt) eit.

Von eigentlichen Geisteskrankheiten steht dem Fanatismus ganz nahe
die fixe Idee und die dnrch solche hervorgerufene Monomanie (die krankhafte
Willensrichtung anf Verwirklichung einer fixen Idee oder eines blinden Triebes.)
Beide schließen, in der Sphäre des krankhaften Wollens, den freien Vernunft¬
gebrauch mehr oder weniger aus; beide beherrschen den Gedanken in einer einzel¬
ne» Richtung und schließen in dieser Beziehung das Vermögen einer besseren Er¬
kenntniß und einer Belehrung durch entgegenstehende Thatsachen aus. Fana¬
tismus und Monomanie (besonders die chimärische, der Aberwitz) stehen sich da-


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[0177] Der Fanatiker ist unfähig, etwas seinen Lieblingsideen Entgegengesetztes zu begreifen und recht zu würdigen, selbst wenn es unbestreitbare Thatsachen wären. Er ist unduldsam und unbillig gegen jeden Andersdenkenden. Eine ausschließende Einseitigkeit beherrscht sein Denken, Reden und Handeln. Alles concentrirt sich für ihn auf einen einzigen Punkt. Wird dieser berührt, so zeigt er sich einerseits reizbar und aufbrausend gegen Entgegnungen, andererseits unerschöpflich in De¬ monstrationen und Scheingründen. Er zeigt entschiedenen Widerwillen gegen Be¬ lehrung überhaupt, weil er fürchtet, daß sie auch die Stützen seines eigenen Wah¬ nes erschüttern könnte. Er verachtet jedes andre, auf seine Lieblingsüberzengnn- gen nicht Bezug habende Wissen und Lernen. (Omar verbrannte die große Biblio¬ thek zu Alexandria, weil der Koran Alles, was der Mensch brauche, enthalte.) Er mißtraut jeder anderen Bestrebung, welche nicht auf denselben Zweck gerichtet ist. — Es kümmert ihn nicht, ob seine Bestrebungen ihm selbst oder denen, welche ihm sonst lieb waren, Schaden zufügen, oder ob sie den allgemeinen Sit¬ tengesetzen zuwider laufen. Oft hält er sich sogar zu Freveln berechtigt, welche der Menschlichkeit Hohn sprechen. — Sein Charakter ist, im Vergleich zu sonst, wie umgewandelt: aus Milde ist Rauheit, aus Wohlwollen Erbitterung geworden. sein Benehmen gegen die, welche ihm bisher lieb und werth waren, ist verän¬ dert, abstoßend, feindlich. — Seine Handlungen stehen mit dem Zwecke, den er eigentlich vorhat, in größerem oder geringerem Widerspruch. (Wie kann da« Christenthum oder die loyale Gesinnung durch Mord und Brand fortgepflanzt werden!) — Seine Thaten sind gewaltsam oder streifen ein Gewaltthätigkeit. Seine Geberden, seine Bewegungen zeigen Anfälle (Paroxysmen) von Heftigkeit und Wuth, abwechselnd mit Zwischenräumen von dumpfem Brüten und Jnstch- versunkenseiu. — Seine Blicke sind verstört oder fixirt, in der Aufregung auf¬ blitzend und stechend oder verzückt. Sein Aeußeres ist vernachlässigt oder phan¬ tastisch .aufgeputzt. Diese Charakterzüge siud es, welche in größerer oder geringerer Vollständig¬ keit, den gerichtlichen oder Jrrenarzt bei der Erkenntniß der Geisteskrankheiten zu leiten pflegen. Sie finden sich auch bei dem Fanatiker mehr oder weniger deut¬ lich ausgeprägt. Und deshalb betrachten wir den Fanatismus als eine Krankt) eit. Von eigentlichen Geisteskrankheiten steht dem Fanatismus ganz nahe die fixe Idee und die dnrch solche hervorgerufene Monomanie (die krankhafte Willensrichtung anf Verwirklichung einer fixen Idee oder eines blinden Triebes.) Beide schließen, in der Sphäre des krankhaften Wollens, den freien Vernunft¬ gebrauch mehr oder weniger aus; beide beherrschen den Gedanken in einer einzel¬ ne» Richtung und schließen in dieser Beziehung das Vermögen einer besseren Er¬ kenntniß und einer Belehrung durch entgegenstehende Thatsachen aus. Fana¬ tismus und Monomanie (besonders die chimärische, der Aberwitz) stehen sich da-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/177>, abgerufen am 15.01.2025.