Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Entwickelung unsres Staatslebens und wir wollen Preußen, welches offenbar die
Paragraphen 3. und 4. hereingebracht hat, dafür dankbar sein.

Freilich ist von den übrigen Punkten des Vertrages nicht viel Rühmens zu
machen. Es ist nämlich nicht abzusehn, wie diese Bundescommission von vier
Mitgliedern bei ernsten Conflicten der Bundesstaats- und östreichischen Interessen
zu irgend einer Entscheidung kommen soll. Das Schiedsgericht, aus drei Re¬
genten kleiner Staaten gebildet, wird sich in wichtigen Streitfällen als unbrauchbar
erweisen. Wenn Oestreich z. B. Baiern wählt, und Preußen Baden oder Nassau,
also Verbündete seiner eigenen Politik, so werden die beiden Schiedsrichter in
ihrer Ansicht über den fraglichen Punkt grade so weit von einander entfernt sein,
als die beiden Großmächte, und deshalb werden sie sich über den dritten Schieds-
mann, von welchem die Entscheidung doch allein abhängt, nur schwerlich vereini¬
gen können. Und wenn vollends der Bundesstaat mit Preußens Führerschaft als
kompakte Masse auftritt, wird Oestreich gestatten können, daß der Regent eines
Bundestheiles noch als Richter in solchen Angelegenheiten auftritt, wo der
Bundesstaat selbst die eine Partie ist und Oestreich die.andere? -- Der Passus
über das Schiedsgericht rührt offenbar von Oestreich her, welches an das Zu¬
standekommen des Bundesstaats in seinem Interesse nicht glauben will.

Die öffentliche Meinung in Deutschland hat sich darüber beklagt, daß der
Vertrag so diplomatisch vornehm und heuchlerisch gegen die Vergangenheit sei.
Es sei nur von dem alten Bunde die Rede, der erneuert werden solle, selbst der
Erzherzog Reichsverweser habe in seiner Zustimmung zu dem Vertrage, welche
übrigens schon vom 6. October datirt ist, und von der östreichischen Regierung
am Tage der Ratification sehr zuvorkommend schon bei der Hand gehalten wurde,
der Nationalversammlung zu Frankfurt nicht mit einem Worte gedacht, sondern
seine Rechte und Pflichten so dargestellt, als seien sie ihm nur von der deutschen
Bundesversammlung übertragen worden. -- Man muß aber von einem Vertrage
mit dem Cabinet Schwarzenberg nicht zu viel verlangen. Diesem ist die Natio-
nalversammlang in Frankfurt noch in der Erinnerung eben so unheimlich, als die
jetzigen Einheitswünsche der deutschen Völker. Es versteht sie nicht, es kann sie
nicht lieben und nicht achten.

Beide Regierungen, die von Preußen und Oestreich, sind bei diesem Ver¬
trage zunächst Kämpfer, welche sich ein gesetzliches Feld für den Streit ihrer ent¬
gegengesetzten Interessen geschaffen haben. Die östreichische Negierung hat das
dringende Interesse, die deutschen Staaten nicht zu einer einheitlichen Existenz mit
Volksvertretung kommen zu lassen. Es fürchtet dadurch nicht nur einen äußeren
starken Gegner emporschießen zu sehen, sondern noch mehr das böse Beispiel, wel¬
ches das freiere Leben der Völker in einem deutschen Bundesstaat auf die See¬
len seiner eigenen Staatsbürger ausübe" könnte. So lange das Streben der ein¬
zelnen Theile Oestreichs ist, sich aus Haß gegen den Staat der Habsburger von


21"°

Entwickelung unsres Staatslebens und wir wollen Preußen, welches offenbar die
Paragraphen 3. und 4. hereingebracht hat, dafür dankbar sein.

Freilich ist von den übrigen Punkten des Vertrages nicht viel Rühmens zu
machen. Es ist nämlich nicht abzusehn, wie diese Bundescommission von vier
Mitgliedern bei ernsten Conflicten der Bundesstaats- und östreichischen Interessen
zu irgend einer Entscheidung kommen soll. Das Schiedsgericht, aus drei Re¬
genten kleiner Staaten gebildet, wird sich in wichtigen Streitfällen als unbrauchbar
erweisen. Wenn Oestreich z. B. Baiern wählt, und Preußen Baden oder Nassau,
also Verbündete seiner eigenen Politik, so werden die beiden Schiedsrichter in
ihrer Ansicht über den fraglichen Punkt grade so weit von einander entfernt sein,
als die beiden Großmächte, und deshalb werden sie sich über den dritten Schieds-
mann, von welchem die Entscheidung doch allein abhängt, nur schwerlich vereini¬
gen können. Und wenn vollends der Bundesstaat mit Preußens Führerschaft als
kompakte Masse auftritt, wird Oestreich gestatten können, daß der Regent eines
Bundestheiles noch als Richter in solchen Angelegenheiten auftritt, wo der
Bundesstaat selbst die eine Partie ist und Oestreich die.andere? — Der Passus
über das Schiedsgericht rührt offenbar von Oestreich her, welches an das Zu¬
standekommen des Bundesstaats in seinem Interesse nicht glauben will.

Die öffentliche Meinung in Deutschland hat sich darüber beklagt, daß der
Vertrag so diplomatisch vornehm und heuchlerisch gegen die Vergangenheit sei.
Es sei nur von dem alten Bunde die Rede, der erneuert werden solle, selbst der
Erzherzog Reichsverweser habe in seiner Zustimmung zu dem Vertrage, welche
übrigens schon vom 6. October datirt ist, und von der östreichischen Regierung
am Tage der Ratification sehr zuvorkommend schon bei der Hand gehalten wurde,
der Nationalversammlung zu Frankfurt nicht mit einem Worte gedacht, sondern
seine Rechte und Pflichten so dargestellt, als seien sie ihm nur von der deutschen
Bundesversammlung übertragen worden. — Man muß aber von einem Vertrage
mit dem Cabinet Schwarzenberg nicht zu viel verlangen. Diesem ist die Natio-
nalversammlang in Frankfurt noch in der Erinnerung eben so unheimlich, als die
jetzigen Einheitswünsche der deutschen Völker. Es versteht sie nicht, es kann sie
nicht lieben und nicht achten.

Beide Regierungen, die von Preußen und Oestreich, sind bei diesem Ver¬
trage zunächst Kämpfer, welche sich ein gesetzliches Feld für den Streit ihrer ent¬
gegengesetzten Interessen geschaffen haben. Die östreichische Negierung hat das
dringende Interesse, die deutschen Staaten nicht zu einer einheitlichen Existenz mit
Volksvertretung kommen zu lassen. Es fürchtet dadurch nicht nur einen äußeren
starken Gegner emporschießen zu sehen, sondern noch mehr das böse Beispiel, wel¬
ches das freiere Leben der Völker in einem deutschen Bundesstaat auf die See¬
len seiner eigenen Staatsbürger ausübe» könnte. So lange das Streben der ein¬
zelnen Theile Oestreichs ist, sich aus Haß gegen den Staat der Habsburger von


21"°
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279715"/>
          <p xml:id="ID_561" prev="#ID_560"> Entwickelung unsres Staatslebens und wir wollen Preußen, welches offenbar die<lb/>
Paragraphen 3. und 4. hereingebracht hat, dafür dankbar sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_562"> Freilich ist von den übrigen Punkten des Vertrages nicht viel Rühmens zu<lb/>
machen. Es ist nämlich nicht abzusehn, wie diese Bundescommission von vier<lb/>
Mitgliedern bei ernsten Conflicten der Bundesstaats- und östreichischen Interessen<lb/>
zu irgend einer Entscheidung kommen soll. Das Schiedsgericht, aus drei Re¬<lb/>
genten kleiner Staaten gebildet, wird sich in wichtigen Streitfällen als unbrauchbar<lb/>
erweisen. Wenn Oestreich z. B. Baiern wählt, und Preußen Baden oder Nassau,<lb/>
also Verbündete seiner eigenen Politik, so werden die beiden Schiedsrichter in<lb/>
ihrer Ansicht über den fraglichen Punkt grade so weit von einander entfernt sein,<lb/>
als die beiden Großmächte, und deshalb werden sie sich über den dritten Schieds-<lb/>
mann, von welchem die Entscheidung doch allein abhängt, nur schwerlich vereini¬<lb/>
gen können. Und wenn vollends der Bundesstaat mit Preußens Führerschaft als<lb/>
kompakte Masse auftritt, wird Oestreich gestatten können, daß der Regent eines<lb/>
Bundestheiles noch als Richter in solchen Angelegenheiten auftritt, wo der<lb/>
Bundesstaat selbst die eine Partie ist und Oestreich die.andere? &#x2014; Der Passus<lb/>
über das Schiedsgericht rührt offenbar von Oestreich her, welches an das Zu¬<lb/>
standekommen des Bundesstaats in seinem Interesse nicht glauben will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_563"> Die öffentliche Meinung in Deutschland hat sich darüber beklagt, daß der<lb/>
Vertrag so diplomatisch vornehm und heuchlerisch gegen die Vergangenheit sei.<lb/>
Es sei nur von dem alten Bunde die Rede, der erneuert werden solle, selbst der<lb/>
Erzherzog Reichsverweser habe in seiner Zustimmung zu dem Vertrage, welche<lb/>
übrigens schon vom 6. October datirt ist, und von der östreichischen Regierung<lb/>
am Tage der Ratification sehr zuvorkommend schon bei der Hand gehalten wurde,<lb/>
der Nationalversammlung zu Frankfurt nicht mit einem Worte gedacht, sondern<lb/>
seine Rechte und Pflichten so dargestellt, als seien sie ihm nur von der deutschen<lb/>
Bundesversammlung übertragen worden. &#x2014; Man muß aber von einem Vertrage<lb/>
mit dem Cabinet Schwarzenberg nicht zu viel verlangen. Diesem ist die Natio-<lb/>
nalversammlang in Frankfurt noch in der Erinnerung eben so unheimlich, als die<lb/>
jetzigen Einheitswünsche der deutschen Völker. Es versteht sie nicht, es kann sie<lb/>
nicht lieben und nicht achten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_564" next="#ID_565"> Beide Regierungen, die von Preußen und Oestreich, sind bei diesem Ver¬<lb/>
trage zunächst Kämpfer, welche sich ein gesetzliches Feld für den Streit ihrer ent¬<lb/>
gegengesetzten Interessen geschaffen haben. Die östreichische Negierung hat das<lb/>
dringende Interesse, die deutschen Staaten nicht zu einer einheitlichen Existenz mit<lb/>
Volksvertretung kommen zu lassen. Es fürchtet dadurch nicht nur einen äußeren<lb/>
starken Gegner emporschießen zu sehen, sondern noch mehr das böse Beispiel, wel¬<lb/>
ches das freiere Leben der Völker in einem deutschen Bundesstaat auf die See¬<lb/>
len seiner eigenen Staatsbürger ausübe» könnte. So lange das Streben der ein¬<lb/>
zelnen Theile Oestreichs ist, sich aus Haß gegen den Staat der Habsburger von</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 21"°</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] Entwickelung unsres Staatslebens und wir wollen Preußen, welches offenbar die Paragraphen 3. und 4. hereingebracht hat, dafür dankbar sein. Freilich ist von den übrigen Punkten des Vertrages nicht viel Rühmens zu machen. Es ist nämlich nicht abzusehn, wie diese Bundescommission von vier Mitgliedern bei ernsten Conflicten der Bundesstaats- und östreichischen Interessen zu irgend einer Entscheidung kommen soll. Das Schiedsgericht, aus drei Re¬ genten kleiner Staaten gebildet, wird sich in wichtigen Streitfällen als unbrauchbar erweisen. Wenn Oestreich z. B. Baiern wählt, und Preußen Baden oder Nassau, also Verbündete seiner eigenen Politik, so werden die beiden Schiedsrichter in ihrer Ansicht über den fraglichen Punkt grade so weit von einander entfernt sein, als die beiden Großmächte, und deshalb werden sie sich über den dritten Schieds- mann, von welchem die Entscheidung doch allein abhängt, nur schwerlich vereini¬ gen können. Und wenn vollends der Bundesstaat mit Preußens Führerschaft als kompakte Masse auftritt, wird Oestreich gestatten können, daß der Regent eines Bundestheiles noch als Richter in solchen Angelegenheiten auftritt, wo der Bundesstaat selbst die eine Partie ist und Oestreich die.andere? — Der Passus über das Schiedsgericht rührt offenbar von Oestreich her, welches an das Zu¬ standekommen des Bundesstaats in seinem Interesse nicht glauben will. Die öffentliche Meinung in Deutschland hat sich darüber beklagt, daß der Vertrag so diplomatisch vornehm und heuchlerisch gegen die Vergangenheit sei. Es sei nur von dem alten Bunde die Rede, der erneuert werden solle, selbst der Erzherzog Reichsverweser habe in seiner Zustimmung zu dem Vertrage, welche übrigens schon vom 6. October datirt ist, und von der östreichischen Regierung am Tage der Ratification sehr zuvorkommend schon bei der Hand gehalten wurde, der Nationalversammlung zu Frankfurt nicht mit einem Worte gedacht, sondern seine Rechte und Pflichten so dargestellt, als seien sie ihm nur von der deutschen Bundesversammlung übertragen worden. — Man muß aber von einem Vertrage mit dem Cabinet Schwarzenberg nicht zu viel verlangen. Diesem ist die Natio- nalversammlang in Frankfurt noch in der Erinnerung eben so unheimlich, als die jetzigen Einheitswünsche der deutschen Völker. Es versteht sie nicht, es kann sie nicht lieben und nicht achten. Beide Regierungen, die von Preußen und Oestreich, sind bei diesem Ver¬ trage zunächst Kämpfer, welche sich ein gesetzliches Feld für den Streit ihrer ent¬ gegengesetzten Interessen geschaffen haben. Die östreichische Negierung hat das dringende Interesse, die deutschen Staaten nicht zu einer einheitlichen Existenz mit Volksvertretung kommen zu lassen. Es fürchtet dadurch nicht nur einen äußeren starken Gegner emporschießen zu sehen, sondern noch mehr das böse Beispiel, wel¬ ches das freiere Leben der Völker in einem deutschen Bundesstaat auf die See¬ len seiner eigenen Staatsbürger ausübe» könnte. So lange das Streben der ein¬ zelnen Theile Oestreichs ist, sich aus Haß gegen den Staat der Habsburger von 21"°

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/167
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/167>, abgerufen am 15.01.2025.